Polen vor der Präsidentenwahl: 25.06.2020

Aufwiegelung im öffentlichen Fernsehen

© picture alliance / PAP | Wojciech Olkusnik

Reporter ohne Grenzen (RSF) ist besorgt über den Zustand der Pressefreiheit in Polen kurz vor der Präsidentenwahl am kommenden Sonntag. Das öffentliche Fernsehen berichtet einseitig zugunsten des Amtsinhabers Andrzej Duda von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und schürt Ressentiments gegen dessen wichtigsten Herausforderer. Duda selbst hat ausländischen Medien verzerrende Berichterstattung vorgeworfen, nachdem sie über abfällige öffentliche Äußerungen des Präsidenten zu sexuellen Minderheiten berichtet hatten. Mehrere Medienschaffende wurden wegen angeblicher Verletzung von Abstands- und Hygieneregeln von Polizei und Justiz schikaniert, nachdem sie über regierungskritische Proteste berichtet hatten. 

„Polens Regierung missbraucht das öffentliche Fernsehen systematisch zur einseitigen Berichterstattung und setzt unabhängige Medien unter permanenten Druck“, kritisierte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das polnische Parlament sollte den Nationalen Rundfunkrat wieder zu einer wirklich unabhängigen Kontrollinstanz aufwerten. Die Europäische Union muss von Polen viel entschiedener Respekt für die Medienfreiheit einfordern und dieses Thema endlich in ihr Rechtsstaatlichkeitsverfahren einbeziehen.“

Verschwörungstheorien gegen Oppositionskandidat 

Ungeachtet seines gesetzlichen Neutralitätsauftrags hat der öffentliche Fernsehsender TVP in den vergangenen Wochen unverhohlen einseitig zugunsten von Amtsinhaber Duda von der regierenden PiS berichtet, der sich bei der Wahl am 28. Juni um eine zweite Amtszeit bewirbt. Einen Tiefpunkt in dieser Hinsicht markierte ein mehrminütiger Nachrichtenbeitrag am 9. Juni, in dem TVP behauptete, Dudas aussichtsreichster Konkurrent Rafal Trzaskowski von der liberalen Bürgerplattform diene den Interessen einer „mächtigen ausländischen Lobby“. Dazu rückte der Sender Trzaskowski unter anderem in die Nähe des Finanzinvestors George Soros und der Bilderberg-Gruppe – beides beliebte Projektionsflächen für Verschwörungstheorien und Ressentiments nationalistischer Kräfte. Für Kritik sorgten auch die antisemitischen Untertöne des Beitrags.

Laut einem Bericht des Medienbeobachtungsdienstes Press-Service Monitoring Mediów stellte TVP 1 in seiner Hauptnachrichtensendung „Wiadomości“ zwischen dem 3. und dem 16.  Juni Amtsinhaber Duda in 97 Prozent der Beiträge über ihn positiv dar. Sein Herausforderer Trzaskowski – über den die Sendung deutlich seltener berichtete – wurde zu 87 Prozent in ein negatives Licht gerückt

Die von TVP ausgerichtete Fernsehdebatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten weckte bei vielen Beobachterinnen und Beobachtern den Eindruck, die Fragen seien gezielt auf bevorzugte Themen Dudas wie Migrationspolitik, gleichgeschlechtliche Ehen und Religionsunterricht zugeschnitten gewesen. Im Anschluss an die Debatte veröffentlichte der Sender eine Blitz-Umfrage – nur, um sie mit Verweis auf technische Gründe für ungültig zu erklären, nachdem Trzaskowski darin mit Abstand am besten abschnitt. 

Wüste Vorwürfe gegen Privatsender und LGBT-Community

Mitte April griff TVP an fünf aufeinanderfolgenden Tagen in seinen Hauptnachrichten den regierungskritischen privaten Fernsehsender TVN frontal an. So bezeichnete TVP den privaten, zum US-Medienkonzern Discovery gehörenden Sender als „Fake-News-Fabrik“, warf ihm mangelnde Professionalität vor und behauptete, er unterhalte Verbindungen zu Eliten aus der Zeit des Kommunismus. 

Präsident Duda persönlich warf am 14. Juni internationalen Medien wie der New York Times, der Financial Times, dem Guardian, Reuters und AP in einem englischsprachigen Tweet vor, sie rissen seine Äußerungen „als Teil eines schmutzigen politischen Kampfes“ aus dem Zusammenhang. Ihr vermeintliches Vergehen: Sie hatten tags zuvor zutreffend über eine Wahlkampfrede Dudas berichtet, in der er die LGBT-Bewegung als „Ideologie“ und als „eine Art Neobolschewismus“ bezeichnet hatte, die es ebenso abzuwehren gelte wie vor 1989 den kommunistischen Polizeistaat.

TVP flankiert den Wahlkampf zum wiederholten Male mit Stoff zu den bevorzugten Reizthemen der PiS. Schon kurz vor der Parlamentswahl im vergangenen Oktober hatte der Sender mit einer suggestiven Fernsehdokumentation unter dem Titel „Invasion“ Stimmung gegen die LGBT-Community geschürt. In dem heftig umstrittenen Film behauptete der Sender, die „Ziele, Methoden und Gelder“ aufzudecken, die hinter den Aktivistinnen und Aktivisten für die Rechte sexueller Minderheiten stünden. Am 8. Juni verfügte ein Gericht in Warschau nun, TVP müssen den Film auf YouTube löschen und dürfe ihn ein Jahr lang nicht mehr zeigen.

Justizschikanen wegen angeblicher Verstöße gegen Corona-Einschränkungen

Mehrere Medienschaffende bekamen es in den vergangenen Wochen mit der Justiz zu tun, weil sie kurz vor dem ursprünglich geplanten Wahltermin 10. Mai angeblich gegen Coronavirus-bedingte Einschränkungen verstießen, als sie über Proteste gegen die Regierung berichteten. Wojciech Jakub Atys, Fotograf bei der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, musste vor Gericht erscheinen, nachdem er am 29. Mai über eine Protestaktion vor dem Haus des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczynski gegen kurzfristige Änderungen des Wahlrechts berichtete. 

Einer nicht namentlich genannten Videoreporterin des unabhängigen Nachrichtenportals OKO.press warf die Justiz vor, sie habe Abstandsregeln missachtet und eine öffentliche Versammlung organisiert. Sie hatte über eine weitere Protestaktion vor Kaczynskis Haus am 10. April berichten wollen, die letztlich gar nicht stattfand. Den freien Journalisten Włodzimierz Ciejka hielt die Polizei zwei Stunden lang wegen angeblicher Verletzung von Corona-Auflagen fest, nachdem er am 28. März eine Protestaktion gefilmt hatte.

Die OKO.press-Reporterin Dominika Sitnicka wurde beschimpft und tätlich angegriffen, als sie am 7. Juni vor einem Auftritt eines rechtsgerichteten Komikers die aufgeheizte Stimmung zwischen dessen Fans und einer kleinen Gruppe von Demonstrantinnen und Demonstranten dokumentierte. 

Öffentliche Medien zielstrebig unter Kontrolle gebracht

Nachdem die PiS Ende 2015 die Regierung übernommen hatte, brachte sie den öffentlichen Rundfunk und insbesondere das Fernsehen zielstrebig unter Kontrolle. Mehr als 200 seiner Journalistinnen und Journalisten wurden in den Monaten nach dem Regierungswechsel entlassen, zur Kündigung gezwungen oder degradiert, um die Berichterstattung auf eine unhinterfragt nationalistische Linie zu bringen. Eine der aufsehenerregendsten Personalien in jüngerer Zeit war die plötzliche Entlassung des bekannten Theaterkritikers Wojciech Majcherek beim Sender TVP Kultura.

Auch strukturell griff die PiS in die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien ein: Seit einer Medienreform gleich zu Beginn der PiS-Regierung ernennt der Finanzminister die Senderchefs und kann sie jederzeit wieder entlassen. Den Rundfunkrat KRRiT entmachtete die PiS-Regierung und besetzte ihn ausschließlich mit ihr nahestehenden Mitgliedern. Obwohl nominell weiterhin unabhängig, gilt der KRRiT deshalb inzwischen als politisch beeinflusst. Weil die auf dem Papier obligatorische Rundfunkgebühr in der Praxis nur von wenigen Menschen gezahlt wird, hat das Parlament zuletzt jährlich über einen Großteil des TVP-Budgets entschieden und mit der Mehrheit der PiS den Steuerzuschuss an den Sender deutlich erhöht

Auch private regierungskritische Medien stehen stark unter Druck – unter anderem durch den Entzug von Werbeanzeigen, aber auch durch zunehmende Justizschikanen bis hin zu Strafermittlungen. Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit ist Polen seit 2015 um 34 Plätze auf Platz 62 von 180 Ländern abgestürzt.



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