Verfassungsschutzgesetz 22.10.2019

Aushöhlung des Redaktionsgeheimnisses stoppen

Server und Kabel
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Reporter ohne Grenzen fordert die Bundesregierung auf, die Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus nicht zum Vorwand für eine Aushöhlung des Redaktionsgeheimnisses zu nehmen. Plänen des Bundesinnenministeriums zufolge sollen deutsche Geheimdienste Medien im In- und Ausland künftig digital ausspionieren können. Nach monatelanger Blockade durch das Bundesjustizministerium ist der entsprechende Gesetzentwurf nun unter dem Eindruck des Anschlags von Halle in die Ressortabstimmung gegeben worden.

„Das Bundesinnenministerium will auf dem Umweg über die Online-Durchsuchung den Schutz von Journalistinnen und Journalisten vor Überwachung aushöhlen. Es wäre verheerend für die Pressefreiheit in Deutschland, wenn diese maßlosen Pläne Regierungspolitik würden“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Mit einer digitalen Aushöhlung des Redaktionsgeheimnisses würden Medienschaffende und ihre Quellen die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verlieren.“

Mihr ergänzte: „Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen deutsche Geheimdienste journalistische Arbeit in Deutschland und anderen Ländern illegitim bespitzelt haben. Als Reaktion auf diese Skandale sollte die Bundesregierung die Rechte von Journalistinnen und Journalisten stärken und nicht schleifen. Das Bundeskabinett muss diese Pläne des Innenministeriums unverzüglich stoppen.“

Laut dem Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“ sollen deutsche Inlands- und Auslandsgeheimdienste Server, Computer und Smartphones von Verlagen, Rundfunksendern sowie freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten hacken dürfen. Sie sollen dabei verschlüsselte Kommunikation abfangen oder verdeckt nach digitalen Daten suchen können. Das Redaktionsgeheimnis und damit eine der Säulen der Pressefreiheit in Deutschland würde auf diese Weise faktisch wirkungslos: Während es verboten bliebe, mit einer Redaktionsdurchsuchung die Identität journalistischer Quellen zu ermitteln, könnte dies mit einer Online-Durchsuchung digital umgangen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass laut Entwurf das Innenministerium das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei deutlich aufweichen will, sodass die Strafverfolgung von Medienschaffenden erleichtert würde.

Regierung muss Referentenentwurf grundsätzlich überarbeiten

Reporter ohne Grenzen hat schon Ende Mai eine ausführliche Stellungnahme zu allen Kritikpunkten an dem Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums einschließlich Vorschlägen zu seiner Verbesserung erstellt. In einer konsolidierten Version der drei maßgeblichen Geheimdienstgesetze mit allen geplanten Änderungen können die BMI-Pläne detailliert nachvollzogen werden. Grundlage ist ein Leak des Referentenentwurfs bei netzpolitik.org von Ende März 2019.

In ihren Reaktionen auf die ROG-Kritik hatten Vertreter des Bundesinnenministeriums es vermieden, sich von den Plänen zur Online-Durchsuchung von Redaktionen zu distanzieren.

Medienberichten zufolge sind die Pläne innerhalb der Großen Koalition hoch umstritten und wurden monatelang vom SPD-geführten Bundesjustizministerium blockiert. Nach dem rechtsextremistisch und antisemitisch motivierten Anschlag von Halle dringen Unionspolitikerinnen und -politiker sowie Vertreter der Sicherheitsbehörden nun verstärkt auf zusätzliche Befugnisse zur digitalen Kommunikationsüberwachung. Am Wochenende berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, der Gesetzentwurf des Innenministeriums befinde sich nun in der Ressortabstimmung und es gebe Verhandlungen zwischen Justiz- und Innenministerium über den Inhalt. Die SPD sei mittlerweile zu Zugeständnissen dabei.

Mit Trojanern sollen Geheimdienste an sensible Unterlagen gelangen

Bei der sogenannten Online-Durchsuchung dringen Ermittlungsbehörden verdeckt in digitale Geräte ein, um sie umfassend zu durchleuchten. Dazu können sie zum Beispiel einen Trojaner auf den Computer aufspielen, um alle auf der Festplatte gespeicherten Informationen zu durchsuchen. Im Falle von Journalistinnen und Journalisten können sie damit gespeicherte Dokumente, Interviewmitschnitte oder auch gespeicherte Browser-Verläufe von Internetrecherchen durchsehen. Die Maßnahme ist umstritten, wurde jedoch 2017 bereits im Strafverfahren eingeführt. Bei Medien wurde sie dabei explizit verboten, um das Redaktionsgeheimnis auch digital zu wahren.

Den Plänen des Innenministeriums zufolge soll dies ausgerechnet bei den ohnehin schwächer kontrollierten Geheimdiensten anders werden: Die Verfassungsschutzämter auf Bundes- und Landesebene sowie der Bundesnachrichtendienst müssten dann nicht mehr prinzipiell Halt machen vor den Geräten von Journalistinnen und Journalisten. Stattdessen sollen Hacks auch bei ihnen in jedem Einzelfall geprüft werden – und würden erlaubt, wenn die Geheimdienste ihr Interesse an den gehackten Informationen als wichtiger einschätzen als den möglichen Schaden für die Pressefreiheit. Besonders gering sind die Hürden für den Bundesnachrichtendienst (BND), der ausländische Medien digital angreifen können soll, um die „Handlungsfähigkeit Deutschlands“ zu gewährleisten. Es wäre dem BND also beispielsweise erlaubt, die Server der Washington Post zu hacken, wenn dies im außenpolitischen Interesse läge.

Abfrage von Daten über Recherchereisen

Die Online-Durchsuchung ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Der Referentenentwurf listet eine Reihe weiterer Maßnahmen auf, mit denen Geheimdienste journalistische Arbeit bespitzeln dürften: So sollen sie verschlüsselte Kommunikation zwischen Medienschaffenden und Quellen überwachen dürfen und Buchungsdaten von Recherchereisen per Bahn oder Mietwagen abfragen können.

Zusätzlich will der Entwurf das historische Trennungsgebot zwischen Strafverfolgung und Geheimdiensten aufweichen, indem zum Beispiel Polizeibehörden und Inlandsgeheimdienste dauerhaft gemeinsame Datenbanken aufbauen können. Damit könnten Strafverfolgerinnen und Strafverfolger bald Informationen über Medienschaffende erhalten, die eigentlich nur Geheimdienste verwerten dürfen – und umgekehrt. Dieser Informationsaustausch soll auch internationalisiert werden: Deutsche Geheimdienste sollen Daten über Medienschaffende in internationale Datenbanken einpflegen können, woran dann wiederum ausländische Geheimdienste teilnehmen. Damit könnten ausländische Staaten zum Beispiel an Daten über Journalistinnen und Journalisten gelangen, die aus ihrer Heimat vor Verfolgung geflohen sind und nun im deutschen Exil arbeiten.

Die demokratische Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes ist seit Jahren ein Schwerpunktthema von Reporter ohne Grenzen. Der internationale Datenaustausch ist auch Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gegen das neue BND-Gesetz, die ROG als Teil eines zivilgesellschaftlichen Bündnisses eingereicht hat. Mit einem Urteil wird im Laufe dieses Jahres gerechnet.

Mehr Überwachung, weniger Kontrolle

Die Ausweitung der Befugnisse ist umso erstaunlicher, weil es in den vergangenen Jahren eine Reihe von Überwachungsskandalen gegeben hat. So wurde Journalistinnen und Journalisten auf dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 die Akkreditierung entzogen, weil in Datenbanken falsche Daten über sie gespeichert waren und die Inlandsgeheimdienste falsche Sicherheitseinschätzungen abgaben. Eine Prüfung des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten stellte systematische Mängel fest und sah gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Hierzu finden sich im Referentenentwurf jedoch überhaupt keine Verbesserungen.

Auch die Auskunftspflichten der Geheimdienste sollen nicht verstärkt werden: In einer Vielzahl von Fällen müssen sie nicht preisgeben, ob sie Medienschaffende überwachen oder nicht. Fälle wie der der Hamburger Journalistin Marily Stroux, die jahrzehntelang vom Hamburger Verfassungsschutz beschattet wurde und nie das gesamte Ausmaß der Überwachung erfuhr, bleiben damit möglich. Reporter ohne Grenzen fordert, dass Medienschaffende verstärkte Auskunftsansprüche gegenüber Geheimdiensten erhalten, weil sie einerseits rasch ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden gelangen, eine Beschattung sich andererseits aber besonders negativ auf das eigene Verhalten und das Vertrauensverhältnis mit Quellen auswirkt.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 13 von 180 Staaten.



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