USA / Vereinigtes Königreich 29.09.2021

Schockierender Anschlag auf die Pressefreiheit

Julien Assange  bei seiner letzten Anhörung am 11. August 2021.
Assange bei seiner letzten Anhörung am 11. August 2021. ©picture alliance/empics/Elizabeth Cook

Einem aktuellen Bericht von Yahoo News zufolge gab es CIA-intern im Jahr 2017 Überlegungen, Wikileaks-Gründer Julian Assange aus seinem Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London zu entführen oder ihn sogar zu ermorden. Sollten diese Schilderungen zutreffen, würde dies die schlimmsten Befürchtungen bestätigen, die Assange und sein Unterstützerkreis mit einer Auslieferung an die USA verbinden. Zudem wäre es ein Warnsignal an Medienschaffende weltweit, die über Enthüllungen zu geheimen Aktivitäten der USA berichten. Reporter ohne Grenzen (RSF) wiederholt deshalb seine Forderung an die USA, die Anklage gegen Julian Assange fallenzulassen, und die an Großbritannien, ihn umgehend aus seiner Haft zu entlassen.

„Wenn es wirklich so sein sollte, dass die CIA Julian Assange nach dem Leben trachtete, unterstreicht das für uns noch einmal, in welch konkreter Gefahr er sich befindet – und erst recht befinden würde, sollten die USA mit ihrem Auslieferungsantrag erfolgreich sein. Es würde nichts anderes bedeuten, als dass die USA einen Anschlag auf die Pressefreiheit in Erwägung zogen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Biden-Regierung muss sich umgehend davon distanzieren. Sie muss die Anklage gegen Julian Assange endlich fallenlassen und seine Entlassung aus dem Gefängnis möglich machen.“

Der von Yahoo News am Sonntag (26.09.) veröffentlichte Artikel zitiert mehr als 30 ehemalige US-Beamte, die von einem vom damaligen CIA-Direktor Mike Pompeo angeführten Rachefeldzug gegen Assange und Wikileaks berichten. Dieser soll stattgefunden haben, als die USA noch nicht Anklage gegen Assange erhoben hatten und eine Reaktion auf die Wikileaks-Veröffentlichung von geheimen CIA-Hacking-Tools im Jahr 2016 gewesen sein, die als „Vault 7“ bekannt wurde und als „größter Datenverlust in der CIA-Geschichte“ bezeichnet wurde. Der Artikel führt schockierende, angeblich geplante Szenarien aus, darunter die mögliche Entführung oder Ermordung von Assange und umfangreiches Ausspionieren von Personen, die mit Wikileaks in Verbindung stehen. „Es schien keine Grenzen zu geben“, wird ein ehemaliger hochrangiger Beamter der US-Spionageabwehr zitiert.

Der Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum Schutz von Whistleblowerinnen und Whistleblowern, Pieter Omtzigt, zeigte sich am Dienstag entsetzt über die Nachricht und die implizierte massive Verletzung grundlegender Menschenrechtsprinzipien.

Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson schrieb auf Twitter: „Eine Premiere in meinen 30 Jahren als Journalist: Ich lese über die detaillierten Pläne der CIA, Julian Assange und andere WikiLeaks-Mitarbeiter/-Verbündete zu entführen oder zu ermorden, und frage mich, ob ich auch auf der Todesliste stand.“ Assanges Rechtsberaterin Jennifer Robinson zeigte sich in einem Fernsehinterview nicht überrascht. Das Anwaltsteam habe solch außergerichtliches Vorgehen seitens der CIA befürchtet, nachdem der damalige CIA-Chef Mike Pompeo Wikileaks zu einem „feindlichen Geheimdienst“ erklärt habe. Dass die USA Assange und sein Umfeld in der ecuadorianischen Botschaft illegal überwachten, sei schon lange bekannt gewesen.

Unabhängig davon, wie realistisch die Umsetzung dieser angeblichen Pläne gewesen wäre, ist es besorgniserregend, dass sie tatsächlich die Anklage der USA gegen Julian Assange beeinflusst haben könnten. Diesbezüglich heißt es in dem Artikel, dass einige Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats befürchteten, dass die Vorschläge der CIA, Assange zu entführen, nicht nur illegal wären, sondern auch eine strafrechtliche Verfolgung gefährden könnten. Aus Sorge, die Pläne der CIA könnten ein potenzielles Strafverfahren zum Scheitern bringen, habe das Justizministerium die Ausarbeitung der Anklage beschleunigt. So habe man sicherstellen wollen, dass eine Anklage vorliegt, sollte Assange in die Vereinigten Staaten gebracht werden.

Das Auslieferungsverfahren von Julian Assange wird am 27. und 28. Oktober in zweiter Instanz vor dem High Court in London fortgesetzt werden. RSF plant, auch die Berufungsverhandlung zu beobachten, nachdem die Organisation im vergangenen Jahr die einzige NGO war, die trotz zahlreicher Widrigkeiten das gesamte Auslieferungsverfahren beobachtet hat.

RSF ist fest davon überzeugt, dass Assange wegen seiner Beiträge zur Berichterstattung über Enthüllungen von großem öffentlichen Interesse ins Visier genommen wurde, um eine abschreckende Wirkung auf andere Medienschaffende zu erzielen, die über Themen nationaler Sicherheit berichten. Eine Auslieferung und strafrechtliche Verfolgung Assanges in den USA wären ein schwerer Schlag für die Pressefreiheit und die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten weltweit.



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