Vereinigtes Königreich / USA 17.06.2022

Britische Regierung will Assange ausliefern

Auf einer Demonstration in Aachen fordern Demonstrierende Freiheit für Julian Assange, dazu hält eine Person ein Schild mit diesem Spruch und einem Foto von Assange.
Auf einer Demonstration in Aachen fordern Demonstrierende Freiheit für Julian Assange. © picture alliance / Sven Simon / Malte Ossowski

Reporter ohne Grenzen (RSF) ist bestürzt über die Entscheidung der britischen Regierung vom 17. Juni, die Auslieferung von Julian Assange an die USA zu erlauben. Dort würden dem WikiLeaks-Gründer wegen der Veröffentlichung von Informationen von großem öffentlichen Interesse bis zu 175 Jahre Haft drohen. Assange hat nun 14 Tage Zeit, gegen die Entscheidung von Innenministerin Priti Patel vorzugehen. RSF dringt darauf, den seit über einem Jahrzehnt andauernden, zutiefst politischen Prozess gegen Assange endgültig einzustellen und ihn aus der zermürbenden Haft zu entlassen.

„Es ist eine beschämende Entscheidung, auch wenn sie uns leider nicht überrascht“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die britische Regierung sendet erneut ein niederschmetterndes Signal an alle Journalistinnen und Journalisten weltweit. Wir hoffen nun, da die Politik versagt hat, dass sich die britischen Gerichte für die Pressefreiheit einsetzen. Wir stehen weiter fest an der Seite von Julian Assange und werden dafür kämpfen, dass er endlich und endgültig in Freiheit leben darf.“

Ein Sprecher des britischen Innenministeriums erklärte, dass nach Ansicht der Gerichte eine Auslieferung von Assange weder repressiv noch ungerecht sei und auch keinen Missbrauch des Verfahrens bedeute. Patels Vorgänger, der frühere Innenminister Sajid Javid, hatte im Juli 2019 grünes Licht für den Auslieferungsantrag der USA gegeben und ihn zur gerichtlichen Prüfung freigegeben.

Am 24. Januar hatte ein Berufungsgericht entschieden, dass Julian Assange beim Obersten Gerichtshof, dem höchsten Gericht Großbritanniens, Berufung gegen seine drohende Auslieferung an die USA einlegen darf. Dabei sollte es um offene Fragen hinsichtlich der diplomatischen Zusicherungen gehen, mit denen die US-Regierung Bedenken über die Behandlung von Assange im Falle seiner Auslieferung ausräumen wollte.

Am 14. März hatte der Oberste Gerichtshof die Berufung jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass der Berufungsantrag „keine strittige Rechtsfrage“ aufwerfe. Die Verteidigung hatte angeführt, dass die Zusicherungen der USA zum Umgang mit Assange nach einer Auslieferung noch nicht vorgelegen hatten, als ein Gericht in erster Instanz die Auslieferung abgelehnt hatte. Anschließend wurde der Fall an Innenministerin Priti Patel zurückgeschickt.

Niederschmetterndes Signal für die Pressefreiheit

Dass sich Innenministerin Patel nun tatsächlich für eine Auslieferung entschieden hat, ist ein erneuter schwerer Rückschlag für Assanges Kampf gegen seine Auslieferung an die USA. Dort droht ihm im Zusammenhang mit der Veröffentlichung geheimer militärischer und diplomatischer Dokumente durch Wikileaks im Jahr 2010 eine Haftstrafe von bis zu 175 Jahren. Sollte Assanges Berufung abgelehnt werden und er tatsächlich an die USA ausgeliefert werden, wäre das ein niederschmetterndes Signal für die Pressefreiheit weltweit. RSF hat in mehreren Petitionen eine weit über sechsstellige Zahl an Unterschriften gegen die Auslieferung von Julian Assange und für seine Freilassung gesammelt.

RSF ist der Ansicht, dass die USA Assange wegen seines Beitrags zum Journalismus verfolgt haben. Die Veröffentlichung von Hunderttausenden geleakten Dokumenten durch Wikileaks im Jahr 2010 hatte eine umfassende Berichterstattung auf der ganzen Welt zur Folge. Sie lag in höchstem Maße im öffentlichen Interesse, weil dadurch Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt wurden, für die nie jemand strafrechtlich belangt wurde. Sollte Assange in den USA vor Gericht gestellt werden, könnte er sich nicht darauf berufen, dass die Veröffentlichung dem öffentlichen Interesse gedient habe, weil das US-Spionagegesetz eine solche Bestimmung schlichtweg nicht enthält. Eine Anklage in den USA würde die ohnehin schon weitreichenden Auswirkungen des Falls auf den Journalismus und die Pressefreiheit auf der ganzen Welt noch verschärfen.

Julian Assanges geistige und körperliche Gesundheit hat unter der langen Haft im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh sichtbar gelitten. Sein Zustand würde sich noch erheblich verschlechtern, wenn es den USA gelänge, seine Auslieferung zu erreichen. Im Dezember wurde bekannt, dass Assange während der Berufungsanhörung im Gefängnis einen Mini-Schlaganfall erlitten hatte.

Bundesregierung muss sich stärker für Assange einsetzen

RSF fordert auch von der deutschen Bundesregierung, sich für Julian Assange starkzumachen. Damals noch in der Opposition, forderten die Grünen, Partei von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, Assange müsse freigelassen werden. Unter dem im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Stichwort „wertebasierte Außenpolitik“ sollte diese Haltung nun auch die Regierung vertreten. Wertebasierte Außenpolitik schließt mit ein, verbündete Regierungen wie Großbritannien und die USA zu kritisieren. Das versäumt die Regierung ganz offensichtlich.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht das Vereinigte Königreich auf Platz 24 von 180 Staaten. Die USA belegen Rang 42.



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