Überwachungstechnik 29.10.2018

Bundesregierung gegen Exportkontrolle

©ROG / Picture Alliance / AP Images

Deutschland lobbyiert in der EU aktiv gegen schärfere Regelungen beim Export von Überwachungstechnologie in autokratische Regime. Das belegen interne Verhandlungsprotokolle und Strategiepapiere der Bundesregierung, die Reporter ohne Grenzen veröffentlicht. Damit behindert die Bundesregierung einen Prozess, den sie 2015 selbst angestoßen hatte: Mit der Reform der so genannten Dual-Use-Verordnung will die EU den Verkauf europäischer Spähsoftware an Staaten verhindern, in denen Menschenrechte missachtet und Journalisten überwacht werden. Die veröffentlichten Dokumente zeigen, dass Deutschland zentrale Punkte der Reform torpediert und damit bisher vor allem Wünsche der Industrie erfüllt hat.

„Digitale Überwachung gefährdet die Arbeit von Journalisten auf der ganzen Welt und endet im schlimmsten Fall in Verfolgung und Folter. Es ist erschütternd, dass die Bundesregierung die Pläne der EU zugunsten von Industrieinteressen verwässern möchte“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „In der letzten Verhandlungsrunde im November muss Deutschland sein enormes wirtschaftliches Gewicht nutzen und retten, was zu retten ist. Der europäischen Überwachungsindustrie müssen endlich klare Grenzen bei Geschäften mit Diktatoren gesetzt werden.“

 

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ROG liegen hunderte Seiten vertraulicher Strategiepapiere der Bundesregierung sowie Positionspapiere Deutschlands und anderer EU-Staaten vor, welche die Verhandlungen zur Reform der sogenannten Dual-Use-Verordnung nachzeichnen. Aus ihnen geht hervor, dass sich die Bundesregierung entgegen ihrer Ankündigung 2015 offenbar doch nicht mit aller Konsequenz für eine restriktivere Exportkontrolle von Überwachungstechnologie auf europäischer Ebene einsetzt. Aufgrund des hohen öffentlichen Interesses an der Thematik veröffentlicht Reporter ohne Grenzen gemeinsam mit netzpolitik.org sämtliche Papiere im Volltext. 

Aktuelle Regelung hat diverse Schlupflöcher

Zwar werden seit Anfang 2015 schon manche Späh-Technologien beim Verkauf außerhalb der EU kontrolliert, doch eine auf deutsche Initiative hin erstellte Studie der EU-Kommission stellte 2016 erhebliche Mängel der europäischen Exportkontrolle beim Handel mit Überwachungstechnologie fest. Das Thema bewegt die EU insbesondere seit dem Arabischen Frühling. Damals war bekannt geworden, dass europäische Firmen – auch aus Deutschland – jahrelang mit autokratischen Staaten Geschäfte gemacht und deren Geheimdienste digital hochgerüstet hatten. Als die Proteste ausbrachen, konnten Journalisten und Aktivisten gehackt und ganze Demonstrationszüge überwacht werden. Dies war blamabel und erschütternd zugleich für die EU, denn der Markt war bis dahin völlig unreguliert gewesen.

Seit September 2016 liegt daher ein Gesetzesentwurf der EU-Kommission für eine neue Dual-Use-Verordnung vor, welcher Verkäufe von Überwachungstechnologie verhindern soll, wenn in den Zielländern Menschen illegal bespitzelt werden. Es geht hier um diverse Technologien, von klassischer Ausrüstung für eine Telefonüberwachung bis hin zu Trojanern, mit denen auch modernste Smartphones gehackt werden können. Werden Journalisten damit angegriffen, nützt ihnen selbst die stärkste Verschlüsselung nichts mehr, sodass sie selbst und ihre Quellen in Lebensgefahr geraten können. 

Bundesregierung sieht „keinen Bedarf“ an menschenrechtlicher Verbesserung

Der Gesetzesentwurf der EU-Kommission möchte mit mehreren Ansätzen bestehende Schlupflöcher in der Exportkontrolle stopfen. Das Prozedere der EU-Gesetzgebung sieht vor, dass zunächst das EU-Parlament Änderungsvorschläge zu einem Kommissionsentwurf einbringt, ehe dann die Mitgliedsstaaten im Rat der Europäischen Union eine Position erarbeiten. Das Europäische Parlament stimmte Anfang 2018 mit einer überwältigenden Mehrheit von 91 Prozent für ergänzende Regelungen, die den Gesetzesentwurf der EU-Kommission weiter schärften.

Wie aus den nun veröffentlichten Dokumenten hervorgeht, übernahm die Bundesregierung in den darauf folgenden Verhandlungen der Mitgliedsstaaten von Beginn an eine Führungsrolle – und warb in der ersten Sitzung um breite Unterstützung, eine der zentralen Forderungen der EU-Kommission abzulehnen. Hierbei geht es darum, die Verletzung von Menschenrechten als explizites Prüfkriterium in der Verordnung zu verankern. Schon heute können Exporte verboten werden, wenn Güter, die nicht auf einer Kontroll-Liste auftauchen, für den Bau von Massenvernichtungswaffen geeignet sind. Dieser Ansatz aus der konventionellen Waffenkontrolle schlägt bei digitalen Produkten jedoch fehl, weshalb EU-Kommission und Parlament erstmals auch die mögliche Verletzung von Menschenrechten als Prüfkriterium gesetzlich verankern wollen (sog. menschenrechtliche Catch-All-Klausel). Die Bundesregierung hingegen führte in ihrem Positionspapier aus, an einer solchen Regelung bestehe „kein Bedarf“ (engl. „no need“). 

Deutsche Taktik gefährdet gesamte Reform

Mit dieser ablehnenden Haltung setzte die Bundesregierung, für die in Brüssel das Bundeswirtschaftsministerium verhandelt, gleich zu Beginn eine Kernforderung des Bundes der Deutschen Industrie um. Die von ROG veröffentlichten Dokumente zeichnen den weiteren Verlauf der Verhandlungen nach. Offensichtlich bestand die deutsche Strategie darin, den schwächsten aller Kommissionsvorschläge anzunehmen, alle anderen hingegen abzulehnen oder nur halbherzig zu verfolgen. Damit verkalkulierten sich die deutschen Verhandlungsführer aber: Schweden und Finnland machten mit einem Gegenvorschlag offensiv Stimmung gegen die deutsche Position und sprechen sich grundsätzlich gegen neue Menschenrechtsstandards aus. Laut dem letzten Verhandlungsprotokoll konnten sie im Oktober erstmals eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten auf ihre Seite ziehen.

Im November treffen die Mitgliedsstaaten wahrscheinlich zur vorerst letzten Sitzung zusammen, um über ihre Position zu beraten. Es besteht die Gefahr, dass keine einzige der menschenrechtlichen Forderungen in der Position der Mitgliedsstaaten Niederschlag findet. Damit droht die Bundesregierung einen historischen Prozess ad absurdum zu führen, den sie vor drei Jahren unter dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel selbst angestoßen hatte.

Die Dokumente im Volltext sind auf netzpolitik.org abrufbar. Daniel Moßbrucker, ROG-Referent für Informationsfreiheit im Internet, hat die Protokolle ausgewertet und sie in einem Gastbeitrag für netzpolitik.org analysiert.

Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 15 von 180 Staaten. 



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