Belarus 20.01.2021

Bundesregierung muss Journalisten schnell helfen

Maryna Solatawa, Chefredakteurin der belarusischen Nachrichtenseite Tut.by. steht mit verschränkten Armen vor der Kamera.
Maryna Solatawa, Chefredakteurin der belarusischen Nachrichtenseite Tut.by. © RSF

Reporter ohne Grenzen fordert die Bundesregierung auf, verfolgte Medienschaffende in Belarus schnell und unbürokratisch zu unterstützen. Gestern (19. Januar) wurde der beliebtesten belarusischen Nachrichtenseite, Tut.by, endgültig der Status als Massenmedium entzogen. In der vergangenen Woche durchsuchte die Polizei die Redaktion der ältesten unabhängigen Nachrichtenagentur des Landes, BelaPAN. Gegen einen Mitarbeiter wurde ein Strafverfahren eröffnet. Neun Journalistinnen und Journalisten sitzen derzeit in Belarus im Gefängnis. Das Auswärtige Amt hatte am Wochenende angekündigt, 21 Millionen Euro für die Förderung der belarusischen Zivilgesellschaft zur Verfügung zu stellen.

„Die Hilfsgelder für Belarus, die das Auswärtige Amt in Aussicht gestellt hat, müssen jetzt schnell und flexibel eingesetzt werden“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Bundesregierung muss damit jene Journalistinnen und Journalisten unterstützen, die Lukaschenkos Regime zum Schweigen bringen will. Sie muss unabhängige Medien fördern, die über die Situation berichten – egal ob diese vor Ort in Belarus, aus dem Exil in Nachbarländern oder von Deutschland aus arbeiten. Vor allem muss diese Hilfe unbürokratisch eingesetzt werden und über bereits bestehende Programme hinausgehen.“

Staatlicher Druck auf unabhängige Online-Medien

Am Dienstag (19. Januar) verlor die reichweitenstärkste belarusische Nachrichtenseite Tut.by endgültig ihren Status als Massenmedium. Nach der umstrittenen Präsidentenwahl am 9. August hatte das Informationsministerium Tut.by mehrmals wegen angeblicher Verstöße gegen das Mediengesetz verwarnt. Anfang Oktober entzog der zuständige Minister der Seite für zunächst drei Monate den Status als Massenmedium, am 3. Dezember bestätigte ein Gericht in Minsk diese Entscheidung. Eine Beschwerde von Tut.by gegen das Urteil wurde nun abgelehnt. Tut.by-Chefredakteurin Maryna Solatawa beschreibt in diesem Video die Situation.

Internetportale haben in Belarus seit einer Verschärfung des Mediengesetzes im Sommer 2018 die Möglichkeit, sich als Medien registrieren zu lassen. Ihre Mitarbeitenden erhalten dadurch – zumindest auf dem Papier – besondere Rechte bei der Berichterstattung von Demonstrationen sowie in Bezug auf den Schutz ihrer Quellen. Das im Jahr 2000 gegründete Portal Tut.by, das nach eigenen Angaben inzwischen rund 70 Prozent der Internetnutzerinnen und -nutzer in Belarus erreicht, wurde im Januar 2019 als Massenmedium registriert und will seine Arbeit auch ohne diesen Status fortsetzen. Die unabhängige Belarusische Journalistenvereinigung (BAJ), eine Partnerorganisation von RSF, weist darauf hin, dass die Registrierung als Massenmedium freiwillig ist und die Journalistinnen und Journalisten von Tut.by weiterhin legal in Belarus arbeiten.

Immer mehr Strafverfahren gegen Medienschaffende

Am vergangenen Donnerstag (14. Januar) durchsuchten Sicherheitskräfte drei Stunden lang die Redaktion von BelaPAN, der ältesten unabhängigen Nachrichtenagentur des Landes. Sie nahmen diverse Dokumente sowie zwölf Festplatten mit. Die Arbeit der Agentur sei „gelähmt“, sagte BelaPAN-Direktor Dsmitry Nawaschylau der BAJ. Die Durchsuchung war Teil des Strafverfahrens gegen Andrej Aljaksandrau. Der Journalist, von 2015 bis 2018 stellvertretender Direktor der Agentur, heute ihr freier Mitarbeiter, war am 12. Januar festgenommen worden. Das Ermittlungskomitee wirft ihm vor, Protestdemonstrationen finanziert zu haben und hat ein Verfahren nach Artikel 342 des belarusischen Strafgesetzbuches eingeleitet. Erst zwei Tage nach seiner Festnahme durfte Aljaksandrau seine Anwältin sehen, angeblich wegen der Corona-Pandemie.

Neun Journalistinnen und Journalisten sitzen derzeit in Belarus im Gefängnis. Zu ihnen gehören die Belsat-Reporterinnen Kazjaryna Andrejewa und Darja Tschulzowa, gegen die am 12. Januar ebenfalls ein Strafverfahren nach Artikel 342 des belarusischen Strafgesetzbuches („Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen oder eine aktive Teilnahme daran“) eröffnet wurde. Beide sind seit Mitte November in Haft. Ebenso lange wird die Tut.by-Journalistin Kazjaryna Barysewitsch bereits in einem Gefängnis des Geheimdienstes festgehalten. Sie hatte über den Tod eines Oppositionellen berichtet, der nach seiner Festnahme verprügelt unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen war. Barysewitsch zitierte einen Arzt mit der Aussage, im Blut des 31-Jährigen sei – anders als von den Behörden behauptet – kein Alkohol festgestellt worden. Nun ist sie Verdächtige im Strafverfahren gegen den Arzt.

Rigoroses Vorgehen gegen Presseclub Belarus

Gleich sechs Mitglieder des unabhängigen Presseclubs Belarus waren am 21. Dezember festgenommen worden: die Gründerin und Vorsitzende Julia Sluzkaja, Finanzdirektor Sjarhej Alscheuski, Akademie-Direktor Sjarhej Jakupau, Programmchefin Alla Scharko, Kameramann Pjatro Sluzki sowie TV-Journalistin Ksenia Luzkina, die früher beim staatlichen Fernsehen arbeitete und zusammen mit dem Presseclub einen unabhängigen TV-Sender aufbauen wollte. Mehrere Privatwohnungen und die Büroräume des Presseclubs wurden durchsucht. Gegen Direktorin Sluzkaja wurde ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung in großem Stil eröffnet, die anderen Inhaftierten sind der Beihilfe dazu angeklagt. Der Direktor der Akademie des Presseclubs, Sjarhej Yakupau, wurde am 31. Dezember freigelassen und nach Russland ausgewiesen. Er erhielt ein Einreiseverbot für die kommenden zehn Jahre.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Belarus auf Rang 153 von 180 Staaten.



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