Türkei 26.01.2016

Cumhuriyet-Chef seit zwei Monaten in Haft

Can Dündar (Mitte) und Erdem Gül (links dahinter, mit Bart). © picture alliance / ZUMA press

Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die türkische Justiz auf, die seit zwei Monaten willkürlich inhaftierten Zeitungsjournalisten Can Dündar und Erdem Gül sofort freizulassen. Cumhuriyet-Chefredakteur Dündar und sein Büroleiter in Ankara sitzen seit dem 26. November in Untersuchungshaft; 40 Tage davon wurden sie in Isolationshaft gehalten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Spionage, Verbreitung von Staatsgeheimnissen und Unterstützung einer terroristischen Organisation vor, hat für diese Anschuldigungen aber bis heute keine Belege vorgelegt.

„Can Dündar und Erdem Gül sitzen seit zwei Monaten nur deshalb im Gefängnis, weil sie ihre Arbeit getan haben“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Dass diese Journalisten in Haft sind, wird mit jedem weiteren Tag unerträglicher. Die Justiz sollte die absurden Anschuldigungen gegen sie sofort fallen lassen.“

Im Falle einer Verurteilung drohen Dündar und Gül schlimmstenfalls lebenslange Haftstrafen. Ihre Zeitung hatte Ende Mai Indizien veröffentlicht, die eine Beteiligung des türkischen Geheimdienstes an Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien nahelegten. Daraufhin drohte Staatspräsident Tayyip Erdogan im TRT-Fernsehen, Chefredakteur Dündar werde einen hohen Preis für die Veröffentlichung bezahlen und nicht ungestraft davonkommen.

Prozesse wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung

Dündar steht außerdem in zwei Fällen wegen des Vorwurfs der  Beleidigung von Erdogan und dessen Sohn Bilal vor Gericht. Dabei geht es um mehrere Kommentare und Artikel aus dem Sommer 2014 zu den seinerzeit kursierenden Korruptionsvorwürfen gegen den Präsidenten und seinen Sohn. Wegen dieser Anschuldigungen drohen Dündar bis zu fünf Jahre und vier Monate Haft.

Kritische Stimmen in der Türkei warnen inzwischen, der Strafrechtsartikel 299 über die Beleidigung von Staatsorganen nehme zunehmend die frühere Funktion des notorischen Artikels 301 über die „Beleidigung des Türkentums“ ein: Artikel 299 diene inzwischen als Grundlage für Hunderte Klagen gegen kritische Journalisten und andere Bürger wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung. Damit sei er ein wichtiges Werkzeug zur Einschüchterung von Regierungskritikern geworden.

Vor Gericht wegen Artikel über Google-Suchvorschläge

Ein besonders absurder Fall von Strafverfolgung wegen vermeintlicher Präsidentenbeleidigung ist die Klage gegen Onur Erem, einen Redakteur der Tageszeitung Bir Gün. Erem hatte darüber berichtet, dass die „Autovervollständigen“-Funktion der Internet-Suchmaschine Google bei der Eingabe „Dieb“ und „Mörder“ die Wörter „Erdogan“ und „AKP“ als weitere Suchbegriffe vorschlägt.

Haftstrafen drohen auch den Cumhuriyet-Kolumnisten Ceyda Karan und Hikmet Cetinkaya. Sie hatten nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar 2015 Titelbilder des französischen Satiremagazins in ihren Kolumnen veröffentlich. Deshalb stehen sie nun wegen der „Verletzung der religiösen Gefühle eines Teils der Gesellschaft“ vor Gericht. Auf diesen Straftatbestand stehen in der Türkei bis zu viereinhalb Jahre Haft. Reporter ohne Grenzen hatte die Zeitung Cumhuriyet im November als Medium des Jahres ausgezeichnet.

Derzeit sitzen in der Türkei mindestens sechs Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 149 von 180 Staaten.



nach oben