Russland
03.02.2022
DW-Sendeverbot ist zutiefst unverhältnismäßig
Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilt das am Donnerstag (03.02.) verkündete Sendeverbot für die Deutsche Welle in Russland als überaus unverhältnismäßig. Allen DW-Mitarbeitenden in Russland sollen die Akkreditierungen entzogen werden, zudem soll ein Verfahren eingeleitet werden, das die DW zum „ausländischen Agenten“ erklären würde. Laut dem russischen Außenministerium ist dieser Schritt eine direkte Reaktion auf die Entscheidung der „Kommission für Zulassung und Aufsicht“ (ZAK). Diese hatte am 1. Februar die Verbreitung des deutschsprachigen Programms des russischen Staatssenders RT DE ohne Lizenz untersagt. RT DE hat bislang weder eine Lizenz für Deutschland beantragt noch diese erhalten.
“Es ist inakzeptabel, dass die russische Regierung auf eine Frage der Medienregulierung in Deutschland mit der de-facto-Kriminalisierung eines ganzen Senders reagiert”, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. “Wir appellieren an das russische Außenministerium, das Sendeverbot zurückzunehmen. In einem Land, in dem die Pressefreiheit schon auf ein absolutes Minimum beschränkt ist, ist das ein herber Schlag für die Informationsfreiheit und die Pluralität der Medien. Auch die Drohungen des Außenministeriums mit weiteren Gegenmaßnahmen verheißen nichts Gutes.”
Aus Sicht von RSF ist die russische Reaktion unverhältnismäßig und aus mehreren Gründen nicht gleichzusetzen mit der Entscheidung der ZAK. Denn während Mitarbeitende von RT DE (ehemals Russia Today) seit 2015 in Deutschland im geschützten Raum der Pressefreiheit ihrer Arbeit nachgehen können, darf die DW in Zukunft in Russland nicht mehr journalistisch tätig sein. RT DE kann sich dazu entschließen, eine Sendelizenz in Deutschland zu beantragen, zudem wie bisher eine Webseite betreiben, (Video-) Inhalte produzieren und verbreiten, nur nicht live streamen, sowie Journalistinnen und Reporter in Deutschland ohne vorherige Akkreditierung beschäftigen. In Russland unterliegen ausländische Korrespondentinnen und Korrespondenten einer generellen Akkreditierungspflicht, wobei solche Genehmigungen häufig intransparent vergeben wurden.
Weitere Sanktionen angedroht
RT DE kann auf dem Rechtsweg die Entscheidung der Landesmedienanstalt von einem unabhängigen Gericht überprüfen lassen. Die DW hat dagegen keinerlei Optionen, gegen das Sendeverbot, eine politische Entscheidung des russischen Außenministeriums, vorzugehen. Obwohl die Maßnahmen der russischen Regierung viel weitreichender sind als die Aufforderung der ZAK, eine Sendelizenz zu beantragen, werden noch weitere Sanktionen angedroht. Zudem forderte das Außenministerium die Vertretungen der deutschen Medien in Moskau auf, ihm bis zum 8. Februar um zwölf Uhr „ausführliche Informationen“ über eine „direkte oder indirekte“ Finanzierung des Mediums durch die Bundesregierung „oder ein anderes Land“ zu übermitteln, „unter anderem mittels des Abschlusses von Werbeverträgen“.
Sowohl die DW als auch RT DE sind jeweils staatlich finanzierte Auslandssender, allerdings schwerlich miteinander vergleichbar. Die DW unterliegt durch den Rundfunkrat gesellschaftlicher Kontrolle. Der Intendant ist allein dem Rundfunkrat gegenüber verantwortlich. Laut dem Deutsche-Welle-Gesetz ist die DW verpflichtet, “deutschen und anderen Sichtweisen zu wesentlichen Themen vor allem der Politik, Kultur und Wirtschaft sowohl in Europa wie in anderen Kontinenten ein Forum geben mit dem Ziel, das Verständnis und den Austausch der Kulturen und Völker zu fördern”. RT DE und Sputniknews vertreten die offizielle Linie der Russischen Föderation: Sie werden aus dem russischen Staatshaushalt finanziert, sind organisatorisch in das vom Kreml kontrollierte Mediennetzwerk eingebunden und arbeiten eng mit der Zentrale in Moskau zusammen. Aus Sicht von RSF sind die russischen Staatsmedien im Ausland von der russischen Regierung sowohl finanziell als auch inhaltlich abhängig.
Der Fall mahnt deutlich an, mögliche Regulierungslücken auf europäischer Ebene zu schließen und die Lizenzvergabe zu harmonisieren. Denn TV Novosti und russische Regierungsvertreter berufen sich auf eine am 6. Dezember 2021 in Serbien ausgestellte Sendeerlaubnis auf der Grundlage des „Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen“ von 1989. Europäische Medienaufsichtsbehörden sollten sich auf ein einheitliches Vorgehen einigen, um nicht aufgrund einer unklaren Rechtslage gegeneinander ausgespielt zu werden.
Russland hat 115 Medien und Einzelpersonen zu “ausländischen Agenten” erklärt
Laut dem Register „Ausländischer Medien, die die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen“, sind derzeit (Stand: 26.01.) insgesamt 115 Medien und Einzelpersonen in Russland zu “ausländischen Agentinnen und Agenten” erklärt worden. Dazu gehören fast alle Medien, die regierungskritisch oder investigativ aus Russland berichten – oder bis vor kurzem berichtet haben, etwa Meduza, VTimes, Mediazona, Proekt, The Insider, Otkrytye Media oder TV Doschd. Etliche von ihnen haben ihre Arbeit inzwischen eingestellt. Seit dem 8. Oktober 2021 steht auch das internationale Recherche-Netzwerk Bellingcat auf der Liste.
Rund zwei Drittel der Einträge im Register betreffen Einzelpersonen. Sie sind verpflichtet, regelmäßig detaillierte Rechenschafts- und Finanzberichte vorzulegen – ein hoher bürokratischer Aufwand, den besonders Einzelpersonen kaum leisten können. Weisen die Unterlagen Fehler auf oder unterlassen es Betroffene, sämtliche Inhalte, die sie veröffentlichen, mit dem Zusatz „ausländischer Agent“ zu versehen, drohen hohe Geldstrafen und bis zu fünf Jahre Haft.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf Platz 150 von 180 Staaten.
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