Vietnam 30.10.2020

Facebook sperrt regierungskritische Beiträge

IPhone mit Facebook-Symbol
© picture alliance / Ostalb Network

Reporter ohne Grenzen (RSF) hält es für inakzeptabel, dass Facebook in Vietnam Beiträge gesperrt hat, die Links zu regierungskritischen Artikeln deutscher Medien enthalten. Nach RSF-Informationen wurden Mitte Oktober vier Facebook-Posts des in Deutschland lebenden vietnamesischen Journalisten Trung Khoa Le „aufgrund lokaler rechtlicher Beschränkungen“ in Vietnam blockiert. Einer der Beiträge enthält einen Link zu einem Deutsche-Welle-Artikel über die Festnahme der prominenten vietnamesischen Journalistin Pham Doan Trang, ein weiterer verlinkt auf die deutsche Seite von Reporter ohne Grenzen. Die Organisation hat Trang 2019 in Berlin mit dem Press Freedom Award für besonders wirkungsvollen Journalismus ausgezeichnet.

„Soziale Medien wie Facebook eröffnen gerade in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit vielen Journalistinnen und Journalisten die Chance auf freie Berichterstattung. Facebook muss sich dieser Verantwortung bewusst sein, sich klar zur Pressefreiheit bekennen und darf sich möglichen Zensurvorgaben autoritärer Regime nicht beugen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das soziale Netzwerk ist in Ländern wie Vietnam auch deshalb so populär, weil staatliche Zensur hier über klassische Wege nicht greift. Regierungen haben nur die Option, Facebook ganz zu sperren – doch davor schrecken sie meist zurück.“

Ans Licht kamen die Sperrungen, nachdem sich Trung Khoa Le im Oktober unter anderem an Reporter ohne Grenzen wandte. Der in Berlin ansässige Journalist betreibt die Nachrichtenseite thoibao.de, die über politische Entwicklungen in Vietnam berichtet, und teilt diese und weitere Beiträge auch mit seinen rund 50.000 Abonnentinnen und Abonnenten auf Facebook.

Nach RSF-Informationen hat Facebook in Vietnam vier Posts von Trung Khoa Le blockiert, die jeweils einen Link zu deutschen Artikeln enthielten: zu einem Artikel der taz über angebliche Verstrickungen eines Verwandten des vietnamesischen Innenministers in Drogen-Schmuggel, einem Artikel auf tagesschau.de über eine Hackergruppe aus Vietnam, die offenbar gezielt Regimekritikerinnen und -kritiker in Deutschland ausspioniert, einem Artikel der Deutschen Welle über die Festnahme der prominenten vietnamesischen Journalistin Pham Doan Trang sowie einem Bericht von Reporter ohne Grenzen über die Nominierung Trangs für den Press Freedom Award der Organisation im Jahr 2019. Jedes Mal erhielt Le auf Facebook den Hinweis: „Aufgrund lokaler rechtlicher Beschränkungen wurde der Zugriff auf deinen Beitrag in Vietnam eingeschränkt.“

Auf Nachfrage von RSF ist Facebook weder auf die Gründe für die Sperrung der einzelnen Beiträge noch darauf eingegangen, was genau mit „lokalen rechtlichen Beschränkungen“ gemeint ist. Eine Unternehmenssprecherin sagte aber, dass „die letzten Monate in Vietnam eine besondere Herausforderung“ für Facebook gewesen seien, und verwies dabei auf Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters, wonach das Unternehmen in Vietnam in der Vergangenheit unter Druck gesetzt wurde. Laut dem Bericht haben staatliche Kommunikationsunternehmen Anfang des Jahres lokale Facebook-Server in Vietnam mehrere Wochen abgeschaltet, wodurch die Nutzung der Seite stark eingeschränkt wurde. Widerwillig sei Facebook daraufhin der Aufforderung der vietnamesischen Regierung nachgekommen, den Zugang zu „illegalen“ Inhalten einzuschränken.

Die Facebook-Sprecherin sagte RSF, das Unternehmen arbeite daran, die Meinungsfreiheit weltweit zu verteidigen, und werde „weiterhin alles in unserer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass unsere Dienste den Menschen in Vietnam, die täglich auf sie angewiesen sind, weiterhin zur Verfügung stehen.“ Doch es ist nicht das erste Mal, dass kritische Stimmen aus Vietnam im Ausland auf Facebook eingeschränkt werden. Im Dezember 2018 berichtete Reporter ohne Grenzen, dass Facebook offenbar systematisch missbraucht wurde, um im Exil lebende Bloggerinnen und Blogger aus Vietnam zu zensieren. Demnach hatte das soziale Netzwerk wegen angeblicher Verletzungen der „Community Standards“ Beiträge gelöscht oder ganze Accounts gesperrt.

Facebook räumte damals ein, Opfer eines „böswilligen Angriffs“ geworden zu sein, und kündigte Verbesserungen an. Details zu den möglichen Angreifern nannte Facebook nicht. Methodik und Versiertheit der Angreifer sprachen nach Recherchen von Reporter ohne Grenzen jedoch für einen politischen Hintergrund. Unter den Betroffenen waren neben Trung Khoa Le damals auch die ebenfalls in Deutschland lebenden vietnamesischen Blogger Bui Thanh Hieu und Nguyen Van Dai.

Zahlreiche inhaftierte Bloggerinnen und Blogger

Zwei der nun im Oktober gesperrten Facebook-Beiträge enthielten Links zu Informationen über Pham Doan Trang. Die prominente Journalistin wurde am 6. Oktober in Vietnam wegen angeblicher „Propaganda gegen den Staat“ festgenommen. Reporter ohne Grenzen fordert ihre sofortige und bedingungslose Freilassung. Die Gründerin des Magazins Luât Khoa und Redakteurin bei thevietnamese berät ihre Mitmenschen juristisch und tritt für Minderheiten ein. Dafür wurde die Journalistin bereits mehrfach willkürlich verhaftet. „Ich will Freiheit nicht nur für mich selbst, das ist zu einfach. Nein, ich will etwas Größeres – Freiheit für Vietnam“, schrieb Trang im Mai 2019 in einem Brief mit der Absicht, dass dies im Falle ihrer Festnahme veröffentlicht werden sollte.

Vietnam gehört neben China, Saudi-Arabien, Ägypten und Syrien zu den Ländern, in denen weltweit die meisten Medienschaffenden wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen, derzeit sind es mindestens 24. Die meisten von ihnen sind Bloggerinnen und Blogger sowie Bürgerjournalistinnen und -journalisten – oft die einzigen Quellen für unabhängig recherchierte Informationen, da sich Vietnams Medien an die Anweisungen der Kommunistischen Partei halten. Um ihre Inhaftierung zu rechtfertigen, greift das Regime auf Vorwürfe wie „Propaganda gegen den Staat“ oder „Aktivitäten, die den Sturz der Regierung herbeiführen sollen“, zurück, die mit langen Haftstrafen geahndet werden können. Immer wieder werden Bloggerinnen und Blogger im Gefängnis misshandelt.

Eine rund 10.000 Personen starke „Cyber-Armee“ unter dem Kommando des Ministeriums für öffentliche Sicherheit spürt zudem „Verstöße“ und „reaktionäre Kräfte“ in den sozialen Netzwerken auf – also alle Kräfte, die in Opposition zur vietnamesischen Regierung stehen. Ein 2019 in Kraft getretenes Gesetz gegen Internetkriminalität schreibt ausländischen Online-Plattformen vor, die Daten einheimischer Nutzerinnen und Nutzer auf Servern in Vietnam zu speichern und sie den Behörden auf Anweisung auszuhändigen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Vietnam auf Platz 175 von 180 Staaten.



nach oben