Russland
12.06.2019
Freilassung von Investigativ-Journalist
Reporter ohne Grenzen ist erleichtert darüber, dass alle Anschuldigungen gegen den Investigativ-Journalisten Iwan Golunow in Moskau fallen gelassen wurden. Der russische Innenminister Wladimir Kolokolzew sprach am Dienstagnachmittag von einem Mangel an Beweisen in dem Fall und kündigte an, zwei leitende Polizeibeamte der Stadt zu entlassen. Der Hausarrest gegen den Journalisten werde aufgehoben und das staatliche Ermittlungskomitee werde den Fall untersuchen.
„An Golunows Unschuld bestand für uns kein Zweifel, wir freuen uns sehr, dass er wieder frei ist“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Entscheidend ist jetzt, dass die Verantwortlichen für seine Festnahme gefunden werden und die Ermittlungen nicht im Sande verlaufen, sobald die internationale Aufmerksamkeit für den Fall nachlässt.“
Solidarität im In- und Ausland
Golunows Festnahme hatte zu einer beispiellosen Welle der Solidarität geführt. Die führenden Wirtschaftszeitungen Russlands (Kommersant, Wedomosti, RBK) erschienen am Montag mit identischer Titelseite, auf der in großen Buchstaben stand: „Wir sind Iwan Golunow“. Der Fernsehsender NTW, sonst ein verlässliches Sprachrohr für Verlautbarungen aus dem Kreml, kritisierte die Festnahme in scharfen Worten. Bemerkenswert fanden Beobachter, dass sich selbst die Chefredakteurin des russischen Auslandssenders RT, Margarita Simonjan, für Golunow einsetzte. Fast 4.000 Journalisten hatten schon am Freitag in einem offenen Brief die Freilassung ihres Kollegen gefordert.
Zeitungen druckten aus Protest Golunows Berichte nach – das Nachrichtenportal Meduza, für das Golunow schrieb, hatte sie zur freien Nutzung online gestellt. Eine Petition, die die Freilassung des Journalisten forderte, unterschrieben bis Dienstagabend rund 180.000 Menschen. In Moskau versammelten sich Hunderte spontan zu öffentlichen Protesten.
Ohne Anwalt und Nahrunf in Gewahrsam
Iwan Golunow war am Donnerstag in der Moskauer Innenstadt auf dem Weg zum Gespräch mit einem Informanten festgenommen worden. Die Polizei behauptete, im Rucksack des 36-Jährigen und in dessen Wohnung Kokain und die Partydroge Mephedron gefunden zu haben. Er wurde unter dem Vorwurf festgehalten, Drogenhandel in großem Stil vorbereitet zu haben – dafür drohen in Russland bis zu 20 Jahre Haft.
Erst rund 13 Stunden nach Golunows Festnahme informierten die Beamten die Freundin des Journalisten über dessen Verbleib, sodass diese einen Anwalt einschalten konnte. 24 Stunden lang durfte Golunow in Polizeigewahrsam weder essen noch schlafen und wurde nach eigenen Angaben von Beamten geschlagen. Zur Vernehmung am Samstag erschien er völlig entkräftet und kommentierte, er habe nicht damit gerechnet, dass er einmal bei seiner eigenen Beerdigung dabei sein würde.
Fall mit zahlreichen Unregelmäßigkeiten
Golunow, einer der angesehensten Investigativ-Journalisten Russlands, recherchierte unter anderem zu Korruption im Beerdigungs- und Baugeschäft in der russischen Hauptstadt. In seinen Texten ging er Geldflüssen nach und nannte die Namen derer, in deren Taschen öffentliche Mittel illegal flossen. Beobachter vermuteten, Golunows Festnahme habe nicht die Staatsspitze angeordnet, vielmehr sei sie von Männern aus der mittleren Leitungsebene der Geheimdienste ausgegangen, die Golunows Recherchen hätten stoppen wollen.
Reporter ohne Grenzen hatte bereits am Freitag auf diverse Unregelmäßigkeiten in dem Fall hingewiesen. So wurde Golunow die Bitte, Gewebeproben von seinen Händen und seinem Rucksack zu nehmen, zunächst abgeschlagen. Die Beamten entnahmen die Proben erst, nachdem seine Festnahme international für Empörung gesorgt hatte – und Innenminister Kolokolzew zitierte eben jene negativen Proben schließlich als Grund für Golunows Freilassung. Außerdem musste die Polizei zugeben, dass eine Reihe der Bilder, die sie zunächst im Zusammenhang mit dem Fall veröffentlicht hatte, gar nicht aus Golunows Wohnung stammten. Auch, dass das Gericht am Samstag keine Untersuchungshaft, sondern Hausarrest für den Journalisten anordnete, überraschte viele.
Harsche Strafen für Regimekritiker
In Russland werden immer wieder Regimekritikerinnen und -kritiker unter dem Vorwand verhaftet, sie würden Drogen besitzen oder mit ihnen handeln. Jüngst traf dies den Vertreter der Menschenrechtsorganisation Memorial in Tschetschenien, Ojub Titijew, der in einem umstrittenen Verfahren im März zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Mit welch drakonischen Strafen regimekritische Journalistinnen und Journalisten rechnen müssen, zeigt der Fall des Herausgebers Igor Rudnikow aus Kaliningrad, für den die Staatsanwaltschaft in einem klar politisch motivierten Verfahren zehn Jahre Lagerhaft fordert. Das Urteil in seinem Prozess wird am 17. Juni erwartet.
Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf Platz 149 von 180 Staaten.
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