Türkei 09.03.2018

Freilassungen im Cumhuriyet-Prozess

Ahmet Şık und Murat Sabuncu wurden freigelassen © picture alliance/ AA

Reporter ohne Grenzen ist erleichtert über die Entscheidung eines Gerichts in der Türkei, im Prozess gegen 18 Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet deren Chefredakteur Murat Sabuncu und den Investigativjournalisten Ahmet Şık aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Zugleich appelliert ROG an die türkische Justiz, auch Cumhuriyet-Herausgeber Akın Atalay freizulassen und die Vorwürfe gegen alle Angeklagten bedingungslos fallenzulassen.

„Wir freuen uns mit den Familien der Freigelassenen und sind erleichtert, dass sie nach so vielen Monaten das Gefängnis verlassen dürfen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr, der den Prozesstag am Freitag in Silivri bei Istanbul beobachtete. „Allerdings macht diese Entscheidung auch deutlich: Die Freilassungen sind in diesem Prozess ebenso willkürlich wie die Inhaftierungen. Faktisch sind die Angeklagten schon durch die lange Untersuchungshaft bestraft worden, lange bevor es überhaupt ein Urteil gibt. Außerdem dürfen sie weiterhin nicht ausreisen, und über ihnen hängt unverändert das Damoklesschwert langer Haftstrafen."

Mit Blick auf den geplanten EU-Türkei-Gipfel Ende des Monats fügte Mihr hinzu: "Die Europäische Union sollte den Verlauf solcher Strafprozesse gegen Journalisten sehr genau verfolgen, bevor sie über eine Normalisierung der Beziehungen zur Türkei nachdenkt." 

Den 18 angeklagten Cumhuriyet-Mitarbeitern drohen Haftstrafen zwischen siebeneinhalb und 43 Jahren. Ihnen werden regierungskritische Artikel und „Terrorpropaganda“ wegen vermeintlicher Parteinahme für drei ideologisch völlig konträre Gruppierungen zur Last gelegt, die von den türkischen Behörden als terroristisch eingestuft werden: der religiösen Gülen-Bewegung, der militanten kurdischen Untergrundbewegung PKK und der linksextremen Splittergruppe DHKP/C. An allen drei Gruppierungen hat Cumhuriyet stets deutliche Kritik geübt. Die Anklageschrift ist von sachlichen Fehlern durchzogen und stützt sich vor allem auf falsche Interpretationen von Zeitungsartikeln sowie auf Kontakte zwischen Journalisten und ihren Informanten. Der Prozess soll am 16. März fortgesetzt werden.

Weiterer Massenprozess gegen Journalisten endet mit 25 Haftstrafen

Ebenfalls am Freitag hob das Oberste Gericht der Türkei in Ankara ein Urteil von 2016 gegen den ehemaligen Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar auf und forderte, den Prozess gegen ihn neu aufzurollen und um den Vorwurf der Spionage zu erweitern. Dündar war 2016 wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden, der Ankara-Büroleiter der Zeitung, Erdem Gül, zu fünf Jahren. Anlass war ein Artikel über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Rebellen in Syrien. Bei einem Schuldspruch wegen Spionage würden Dündar, der inzwischen in Deutschland im Exil lebt, bis zu 20 Jahre Haft drohen (http://ogy.de/gdzc).

In einem weiteren Massenprozess hatte ein Gericht in Istanbul am Donnerstagabend 25 oppositionelle Journalisten wegen Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung der Gülen-Bewegung zu Haftstrafen zwischen zwei und sieben Jahren verurteilt (http://ogy.de/g1de). Nur einer der insgesamt 26 angeklagten Journalisten wurde freigesprochen.

In keinem anderen Land sitzen so viele professionelle Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis wie in der Türkei. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht sie Platz 155 von 180 Staaten.



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