Turkmenistan
22.01.2025
Giftanschlag auf Journalistin
Um Soltan Achilova an Reisen ins Ausland zu hindern, sind offenbar keine Maßnahmen zu extrem: Der turkmenische Geheimdienst hat Ende 2024 mutmaßlich versucht, die unabhängige Journalistin zu vergiften. Nach dem Scheitern der Vergiftungspläne wurde Achilova gegen ihren Willen aus ihrer Wohnung in der Hauptstadt Aschgabat in ein Krankenhaus gebracht. Mit der zwangsweisen Einweisung verhinderten die turkmenischen Behörden im dritten aufeinanderfolgenden Jahr eine Reise der Journalistin nach Genf. In der Stadt in der Schweiz wollte sie den Martin-Ennals-Preis entgegennehmen, der ihr 2021 für die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in Turkmenistan zuerkannt wurde.
„Soltan Achilovas versuchte Vergiftung und zwangsweise Einweisung in ein Krankenhaus sind selbst für turkmenische Verhältnisse extreme Maßnahmen“, sagt Anja Osterhaus, RSF-Geschäftsführerin. „Die Diktatur scheut vor keinem Verbrechen zurück, um unabhängige Berichterstattung zu unterbinden. Das ist absolut inakzeptabel. Die Behörden dürfen Soltan Achilovas Arbeit nicht weiter behindern und sie nicht an Reisen hindern.“
Vergiftete Teigtaschen
Mehrere Tage vor ihrem geplanten Flug nach Genf wurde die 75-Jährige insgesamt drei Mal von einem Mann in ihrer Wohnung aufgesucht. Der Besucher habe um Unterstützung in einer Auseinandersetzung mit einem korrupten Polizisten gebeten, berichtet Achilova in einem Videobeitrag des Exilmediums Chronika Turkmenistana vom Dezember 2024. Der Beamte soll angeblich den Pass des Mannes eingezogen haben. Die Journalistin erhält oft Anfragen von turkmenischen Bürgerinnen und Bürgern, die Probleme mit Behörden haben.
Während seines letzten Besuches soll der Mann Achilova einen Beutel mit Teigtaschen geschenkt haben. Eine Nachbarin kostete von diesen, verlor das Bewusstsein und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Misstrauisch geworden, untersuchte die Journalistin daraufhin Saftpakete, die wenige Tage zuvor als Wohltätigkeitsspende von Unbekannten in der Nachbarschaft verteilt wurden. Dabei entdeckte sie Einstichstellen in den Paketen und einen öligen Film auf dem Saft. Achilova vermutet, dass der Geheimdienst sie vergiften wollte.
Obwohl Achilova keinerlei Symptome einer Krankheit zeigte, wurde sie am 20. November 2024 – dem Tag des geplanten Fluges nach Genf – von Männern in weißen Kitteln abgeholt und zwangsweise in eine Klinik gebracht. Die 75-Jährige leide angeblich an einer hoch infektiösen Krankheit und benötige dringend medizinische Behandlung, so die offizielle Begründung. Achilova wurde insgesamt sechs Tage lang in der Klinik festgehalten. Zugang zu Internet und Telefon hatte sie während dieser Zeit nicht. Einem Bericht des turkmenischen Exilmediums Turkmen.news zufolge sollen schon am Vortag von Achilovas Einweisung auf Anweisung des Geheimdiensts Krankenzimmer für sie vorbereitet worden sein.
Keine Angst vor offener Kritik
Soltan Achilova gehört zu den wenigen Medienschaffenden in Turkmenistan, die trotz massiver Repressionen unter ihrem realen Namen arbeiten und die Regierung offen kritisieren. Die 75-Jährige arbeitet für das in den Niederlanden angesiedelte Exilmedium Chronika Turkmenistana und war als Korrespondentin für Radiosy Azatlyk tätig, den turkmenischen Dienst des US-finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL). Seit Beginn ihrer Arbeit im Jahr 2006 dokumentierte RSF mehr als 20 Fälle von Gewalt, Drohungen und anderen Repressionen gegen Achilova und ihre Angehörigen. Die Journalistin wurde mehrmals an Reisen ins Ausland gehindert.
Brutale Repressionen und das langsamste Internet der Welt
Das zentralasiatische Turkmenistan gehört zu den repressivsten Staaten der Welt. Das Regime von Präsident Serdar Berdimuhamedow schottet das Land vom Rest der Welt völlig ab und kontrolliert sämtliche Medien im Land. Die Benutzung des Internets ist stark eingeschränkt, es gilt als das langsamste der Welt. Die Nutzung von VPN-Diensten ist mit Geldstrafen belegt, soziale Netzwerke und Messengerdienste sind gesperrt. Eine offene unabhängige Berichterstattung ist weitgehend unmöglich.
Die wenigen verbliebenen unabhängigen Medienschaffenden riskieren Repressionen, Gefängnis und Folter. Sie arbeiten zumeist anonym für Medien aus dem Ausland. Im Januar 2025 wurde Nurgeldi Halykov an der Ausreise nach Dubai gehindert, wo er eine Stelle in der Hotel- und Restaurantbranche antreten wollte. Der frühere freie Mitarbeiter des Exilmediums Turkmen.news war erst im Juni 2024 nach der Verbüßung einer vierjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden. Halykov wurde wegen Betrugs verurteilt, nachdem er ein im Internet frei zugängliches Foto vom Besuch einer Delegation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) während der Corona-Epidemie an seine Redaktion schickte.
Zweieinhalb Monate Folter mit Elektroschocks
Im August 2024 erlag der ehemalige Journalist Khudayberdy Allashov nach Angaben von Bekannten den langfristigen Folgen von Folter und Haft. Der zum Todeszeitpunkt 35-Jährige war im Jahr 2016 insgesamt drei Monate für Radiosy Azatlyk tätig. Die Behörden störten sich unter anderem an seinen Berichten über Zwangsarbeit und Versorgungsengpässe. Allashov wurde verhaftet und zweieinhalb Monate lang mit Schlägen und Elektroschocks gefoltert. Er trug schwere Nierenprobleme davon. Auch nach seiner Entlassung wurde er weiterhin verfolgt, wiederholt festgenommen und verprügelt.
In der Rangliste der Pressefreiheit von 2024 rangiert Turkmenistan auf Platz 175 von insgesamt 180 Ländern.
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