Griechenland
18.11.2022
Griechenland muss Spionageskandal aufarbeiten
Nicht weniger als 13 Medienschaffende sind Berichten zufolge in Griechenland mit der Spionagesoftware Predator ins Visier genommen worden, die der griechische Geheimdienst erworben haben soll. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die griechischen Behörden auf, rasch eine unabhängige Untersuchung dieser willkürlichen Überwachung durchzuführen. Die europäischen Behörden müssen zudem ein Moratorium für den Einsatz von Spionagesoftware verhängen.
„Dieser umfassende willkürliche Einsatz von Spähsoftware gegen Medienschaffende ist beispiellos in Europa und ein Schandfleck für die griechische Demokratie. Die griechischen Behörden müssen so schnell wie möglich in Zusammenarbeit mit Europol eine gründliche und unabhängige Untersuchung in die Wege leiten“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Da die nationalen Behörden im Verdacht stehen, an der Überwachung beteiligt zu sein, und wenig Bereitschaft zur Aufklärung zeigen, muss jetzt die Europäische Union handeln und dem Einsatz von Spionageprogrammen gegen Journalistinnen und Journalisten rasch ein Ende setzen.“
Einem Bericht der investigativen Nachrichtenseite Inside Story vom 15. November zufolge hat der griechische Geheimdienst EYP Predator für sieben Millionen Euro vom Vertreiber Intellexa gekauft, gefolgt von monatlichen Zahlungen von 150.000 Euro für zehn wechselnde Ziele pro Monat. Dieser Kauf wurde im Rahmen eines anderen vom EYP unterzeichneten Vertrags versteckt. Die Software wurde Berichten zufolge auf Rechnern in einem staatlichen Gebäude in Agia Paraskevi, einer Kleinstadt am nordöstlichen Stadtrand von Athen, installiert.
Regierungssprecher Ioannis Oikonomou zufolge hat die griechische Justiz mit Unterstützung der verantwortlichen Behörden bereits eine Untersuchung über den Einsatz der Spionagesoftware eingeleitet. Aus Sicht von RSF wird diese Untersuchung wie auch die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses allerdings nicht mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt. Somit waren Journalistinnen und Journalisten in Griechenland bislang die einzigen, die zu einer Aufklärung des Skandals beigetragen haben. Umso empörender ist es, dass die Regierung in Richtung dieser Journalistinnen und Journalisten angedroht hat, nicht nur die Beteiligten zu bestrafen, sondern auch „diejenigen, die falsche und verleumderische Behauptungen verbreiten“.
Die griechische Regierung hat gegenüber RSF und anderen angekündigt, die Gesetzgebung zur Überwachung zu ändern und Spionagesoftware komplett zu verbieten. Staatsminister George Gerapetridis, der laut Wochenzeitung Documento ironischerweise selbst Zielscheibe von Predator war, versprach am 3. November gegenüber Europaabgeordneten, innerhalb von zwei Wochen einen Gesetzentwurf vorzulegen. Die Delegation des Europäischen Parlaments hatte Griechenland Anfang des Monats im Auftrag des Pega-Untersuchungsausschusses zum Einsatz von Pegasus und ähnlicher Spähsoftware besucht, um sich über den Überwachungsskandal zu informieren.
Der schließlich am 15. November veröffentlichte Gesetzesentwurf scheint es bedauerlicherweise zu erlauben, dass eine überwachte Person erst drei Jahre später informiert wird. Eine eingehende Analyse des Entwurfs durch RSF ist in Arbeit.
RSF fordert zudem ein Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe, den Export und den Einsatz von Cyber-Überwachungstechnologie durch die Europäische Union. RSF begrüßt den ersten Entwurf des Berichts des Pega-Untersuchungsausschusses, der ebenfalls ein solches Moratorium vorschlägt.
13 Journalisten aller Mediengattungen ins Visier genommen
Berichten zufolge waren nicht weniger als 13 Medienschaffende Ziel von Predator. Neben dem Enthüllungsjournalisten Thanasis Koukakis, dessen Fall bereits im Frühjahr aufgedeckt wurde, hat Documento in seinen Ausgaben vom 7. und 14. November über die Überwachung von zwölf weiteren Medienschaffenden berichtet. Immer neue Rechercheergebnisse zeigen, dass die Überwachung von Journalistinnen und Journalisten unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis ein noch nie dagewesenes Ausmaß angenommen hat.
Ins Visier genommen wurden Journalistinnen und Journalisten, die für Medien aller möglichen Gattungen und Ausrichtungen arbeiten. Dazu gehörten beispielsweise Alexis Papachelas, Chefredakteur der bekannten Mitte-Rechts-Zeitung Kathimerini, und Antonis Dellatolas, Journalist der Satirezeitung To Pontiki.
Einige der Medienschaffenden, die Opfer des umfassenden Überwachungsnetzes wurden, wurden eindeutig mit dem Ziel ausgespäht, Informationen über einen ihrer Kontakte zu erhalten. Dies war der Fall bei Yannis Kourtakis, dem Herausgeber der Zeitung Parapolitika, der wegen seiner mutmaßlichen Nähe zu Evangelos Marinakis ausspioniert wurde. Dem Geschäftsmann gehören unter anderem die Zeitungen Ta Nea und To Vima. Eva Antonopoulou, Star-Moderatorin des nationalen Fernsehsenders SKAI, wurde wahrscheinlich ins Visier genommen, um Informationen über ihren Ehemann zu erhalten, der das Management der Covid-19-Pandemie in Griechenland koordinierte.
Auch Spyros Sideris, der für EURACTIV.gr und iEidiseis über internationale Politik berichtet, wurde überwacht. Er ist inzwischen dem Beispiel von Thanasis Koukakis gefolgt und hat wegen seiner Überwachung Klage eingereicht.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Griechenland auf Platz 108 von 180 Ländern und damit auf dem letzten Platz aller EU-Mitgliedstaaten.
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