USA 22.10.2020

Hunderte Übergriffe gegen Journalisten

Mann mit "Make America great again"-Kappe hält ein Schild hoch auf dem u.a. The New York Times und CNN als "Fake News" bezeichnet werden
© picture alliance / AP Photo

Knapp zwei Wochen vor der Präsidentenwahl in den USA ist Reporter ohne Grenzen (RSF) äußerst besorgt über die hohe Zahl von Übergriffen gegen Journalistinnen und Journalisten. Seit Jahresbeginn haben Pressefreiheitsorganisationen in den Vereinigten Staaten mindestens 371 Übergriffe gegen Medienschaffende dokumentiert, darunter 223 tätliche Angriffe und 73 Festnahmen. Noch nie zuvor in der US-Geschichte ist die Pressefreiheit so massiv unter Beschuss geraten.

„Die erschreckende Feindseligkeit und Gewalt, die Journalistinnen und Journalisten für die bloße Ausübung ihres Berufs entgegenschlägt, ist bezeichnend für die immer schlechter werdende Lage der Pressefreiheit in den USA“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „In den Wochen vor den Präsidenten- und Kongresswahlen hat sich die Situation weiter verschärft. Alle Kandidatinnen und Kandidaten sollten zur Deeskalation beitragen, indem sie sich öffentlich zum Schutz der Pressefreiheit bekennen.“

Die Zahl von 371 dokumentierten Übergriffen spiegelt das Ausmaß der Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten in den USA nur unvollständig wider. Insgesamt hat das auch von RSF mitgetragene Projekt U.S. Press Freedom Tracker für dieses Jahr schon 868 Meldungen über Übergriffe gesammelt, von denen jedoch wegen der großen Zahl viele noch nicht verifiziert werden konnten. Den größten Teil an diesen Übergriffen machen vorsätzliche tätliche Angriffe – davon die meisten durch die Polizei – auf eindeutig als Medienvertreter erkennbare Journalistinnen und Journalisten aus. Insbesondere seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einer Polizeikontrolle und dem Beginn der darauffolgenden „Black Lives Matter“-Proteste ist die Zahl der Übergriffe sprunghaft angestiegen.

Aggressive Pöbeleien am Rande von Wahlkampfauftritten Trumps

Doch die Vorfälle beschränken sich nicht auf Demonstrationen. Zu den jüngsten Beispielen gehören aggressive verbale Pöbeleien gegen eine Reporterin und einen Reporter am Rande von Wahlkampfauftritten von Präsident Donald Trump in den vergangenen Tagen. In Ocala (Florida) rief ein Mann Will Steakin vom Fernsehsender ABC News während eines Interviews mit Wartenden vor einer Wahlkampfveranstaltung zu, er solle sich eine Kugel in den Kopf jagen. In Newport Beach (Kalifornien) verfolgte ein Mann eine Journalistin der Los Angeles Times mehrere Minuten lang durch eine Menge von Trump-Unterstützerinnen und -Unterstützern, rief immer wieder „fake news“ und ermunterte andere, es ihm gleichzutun.

Die aggressive Grundstimmung gegen Medienschaffende wird nicht zuletzt von der Regierung Trump befeuert, die Journalistinnen und Journalisten routinemäßig mit Kampfbegriffen wie „Volksfeinde“ und „fake news“ verunglimpft. Vor diesem Hintergrund, aber auch angesichts der vielen Fälle von Polizeigewalt gegen Medienschaffende hat Reporter ohne Grenzen Regierungsvertreterinnen und -vertreter auf allen staatlichen Ebenen wiederholt aufgefordert, die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten bei Demonstrationen zu garantieren und Verstöße gegen den verfassungsmäßigen Schutz der Pressefreiheit zu untersuchen.

Die Endphase des Wahlkampfs in den USA begleitet RSF zudem mit der Kampagne #PressFreedomPact, in der die Organisation alle Kandidatinnen und Kandidaten für die bevorstehenden Wahlen aufruft, ein öffentliches Bekenntnis zur Pressefreiheit zu unterzeichnen.

Gericht in Portland bestätigt Verfügung zum Schutz bei Protesten

Ein wichtiges Signal für den Schutz der Pressefreiheit durch staatliche Stellen gab vergangene Woche ein Berufungsgericht in Portland, das eine richterliche Verfügung zum Schutz der Berichterstattung über die Proteste in der Stadt vorläufig bestätigte. Diese verbietet es Polizeikräften der US-Bundesregierung, mit Gewalt, Drohungen oder Platzverweisen gegen Journalistinnen und Journalisten bei den Protesten vorzugehen. In das Verfahren hatten sich auch RSF und andere Nichtregierungsorganisationen mit einer gemeinsamen Stellungnahme eingeschaltet.

Der politische Widerstand gegen Schritte zum Schutz der freien Berichterstattung bleibt jedoch groß. So verweigerte der Gouverneur von Kalifornien Ende September einem vom dortigen Senat verabschiedeten Gesetz die Unterschrift, das Journalistinnen und Journalisten vor Verhaftungen bei Demonstrationen geschützt hätte.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die USA auf Platz 45 von 180 Staaten.



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