Israel / Palästinensische Gebiete 14.05.2021

Journalisten nicht zu Konfliktparteien machen

Straßenkampfszene
Palästinenser stoßen mit israelischen Sicherheitskräften vor der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zusammen © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Mahmoud Illean

Angesichts der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Jerusalem und im Gazastreifen fordert Reporter ohne Grenzen die israelischen Sicherheitskräfte auf, Medienschaffende besser zu schützen. In den vergangenen Tagen hatte die israelische Polizei mehrere von ihnen an der Berichterstattung gehindert und zum Teil auch direkt attackiert.

„Journalistinnen und Journalisten dürfen niemals als Teil einer Konfliktpartei behandelt werden“, sagt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Vor allem palästinensische Medien können häufig nur unter erschwerten Bedingungen berichten. Wenn sich die in der Region vorherrschende Spannung wieder einmal in Gewalt entlädt, stehen sie in der Schusslinie. Die israelischen Behörden müssen auch sie besser schützen.“

Mindestens sieben Journalistinnen und Journalisten sind am 7. Mai von Gummigeschossen verletzt worden, als die israelische Armee am Tempelberg in der Altstadt von Jerusalem gegen Demonstrierende vorging. Unter den Verletzten sind die palästinensischen Freelancer Saleh Zighari, Atta Awisat, Baraah Abo Ramouz und Abdul Afu Zughayer.

Am gleichen Tag hinderte die israelische Polizei den freien Journalisten Ibrahim Sinjlawi insgesamt viermal an der Berichterstattung. Er wollte die Auseinandersetzungen zwischen Anwohnerinnen und Anwohnern und der Polizei im Ost-Jerusalemer Stadtteil Scheikh Jarrah filmen. Einer der Hintergründe des aktuellen Konflikts sind bevorstehende Zwangsräumungen mehrerer dort lebender palästinensischer Familien. Jüdinnen und Juden, die vor dem Krieg von 1948 in diesen Häusern gewohnt haben, haben nach israelischer Ansicht eine Recht auf Rückkehr. Eine nationalistische jüdische Organisation fordert dieses Recht nun ein. Der Oberste Gerichtshof hat die Räumungen zwar kurzfristig ausgesetzt, dennoch haben sich die Unruhen mittlerweile verschärft.

Blendgranate und Tränengas gegen Journalisten

Im Zuge ihrer Berichterstattung über die Auseinandersetzungen in Ost-Jerusalem sind drei Journalisten der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu verwundet worden: der türkische Fotograf Turgut Alp Boyraz sowie seine palästinensischen Kollegen Mustafa al-Kharouf, ebenfalls Fotograf, und der Kameramann Faiz Abu Rmeleh. Tags zuvor, am 6. Mai, haben die israelischen Sicherheitskräfte die Journalisten Mahmoud Maatan und Ahmed Al-Safdi kurze Zeit festgehalten und so an ihrer Arbeit gehindert.

Am 10. Mai ist der türkische Fotograf Esat Firas von einer Blendgranate getroffen worden. In Richtung der palästinensischen Freelancer Usaid Amarneh, Mohammad Samreen, Liwa Abu Armila, Ethar Abu Gharbia und Ahmed Jaradat schossen die Sicherheitskräfte Tränengas. Auf einem Video vom gleichen Tag ist zu sehen, wie zwei israelische Polizisten den freien Fotografen Rami Al-Khatib an eine Wand drücken und auf ihn einschlagen.

Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen

Nach der Eskalation in Ost-Jerusalem hat die Hamas begonnen, aus dem Gazastreifen heraus Raketen auf Israel zu schießen. Die israelischen Streitkräfte reagierten ihrerseits mit Beschuss. Am 11. und 12. Mai trafen israelische Kampfflugzeuge das al-Jawhara- und das al-Shorouk-Bürogebäude in Gaza-Stadt und zerstörten dabei die Räume von über einem Dutzend internationaler und lokaler Medien. Medienangaben zufolge wurden die Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels kurz zuvor gewarnt. Ob Journalistinnen oder Journalisten verletzt wurden, ist nicht bekannt.

Gerichtshof untersucht mögliche Kriegsverbrechen der vergangenen Jahre

Anfang März hat die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, Fatou Bensouda, Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in den palästinensischen Gebieten eingeleitet. Details zu Verdächtigen oder konkreten Vorwürfen gab sie nicht bekannt. In der Vergangenheit hatte Bensouda allerdings darauf hingewiesen, dass es begründeten Verdacht für Verbrechen gebe. Als mögliche Täter benannte sie Mitglieder der israelischen Armee, israelische Behörden, Hamas und palästinensische bewaffnete Gruppen. Palästina ist seit 2015 Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs, Israel erkennt ihn nicht an.

Reporter ohne Grenzen hatte den IStGH bereits im Mai 2018 aufgefordert, Ermittlungen aufzunehmen. Damals hatten israelische Scharfschützen bei Zusammenstößen an der Grenze des Gazastreifens auf insgesamt 20 palästinensische Journalistinnen und Journalisten geschossen. Reporter ohne Grenzen betrachtet dies als Kriegsverbrechen gemäß dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Israel auf Platz 86 von 180 Ländern, die Palästinensergebiete stehen auf Platz 132.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version der Pressemitteilung hieß es im ersten Absatz, die Armee habe Journalist*innen an der Berichterstattung gehindert. Richtig muss es heißen: die Polizei. Auch fordern nicht jüdische Familien ihr Recht auf Rückkehr ein, sondern eine nationalistische jüdische Organisation.



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