Indonesien 06.02.2024

Kandidaten müssen Pressefreiheit stärken

Die drei Präsidentschaftskandidaten mit ihren Kandidaten für die Vizepräsidentschaft. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Tatan Syuflana

Im Superwahljahr 2024 können mehr als vier Milliarden Menschen weltweit ihre Stimme abgeben. Unter ihnen sind auch 205 Millionen Indonesierinnen und Indonesier: Mitte Februar wählt das Land ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten. Doch auch in der drittgrößten Demokratie der Welt wird die Medienfreiheit auf vielfältige Weise bedroht. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert daher die Kandidaten auf, sich für die Pressefreiheit einzusetzen und entsprechende Reformen anzustoßen. Diese sollten die physische und digitale Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten stärken und den Missbrauch von Verleumdungsprozessen stoppen.

„Die Amtszeit von Präsident Joko Widodo war auch geprägt durch Verletzungen der Pressefreiheit, entsprechende Wahlversprechen wurden nicht eingehalten“, sagt RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Die Kandidaten müssen sich für mehr Sicherheit von Medienschaffenden einsetzen und missbräuchliche Verfahren gegen Reporterinnen und Reporter verhindern. Beides stärkt die Medienbranche und trägt damit zur Festigung der indonesischen Demokratie bei.“

Eine lebendige Medienlandschaft

Seit Indonesien mit dem Ende des Suharto-Regimes 1998 den Übergang zur Demokratie einleitete, ist eine lebendige Medienlandschaft mit Hunderten von unabhängigen Medien entstanden. Die rund 275 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner leben auf mehr als 12.000 Inseln. Insbesondere das Radio spielt eine entscheidende Rolle dabei, sie zu informieren. Mehr als 300 Zeitungen erscheinen im Land, unter ihnen auch das Magazin Tempo, das für investigative Recherchen bekannt ist.

Die Zahl der Journalistinnen und Journalisten in Indonesien wird auf 100.000 geschätzt. Doch Medienschaffende erleben immer wieder Gewalt und Einschüchterungsversuche, sie werden auf Grundlage problematischer Gesetze inhaftiert oder stoßen in ihren Recherchen auf Tabuthemen in der Gesellschaft, etwa die Geschlechtsidentität.

Im Januar 2023 explodierte eine Bombe neben dem Haus des Journalisten Victor Mambor in der Provinz Papua. Mambor und seine Familie wurden nicht verletzt. Nach Angaben der Journalistenvereinigung AJI wurde der Gründer einer unabhängigen Nachrichtenseite bereits mehrmals Opfer von digitalen Angriffen wie Doxing, Hacking und Belästigungen im Netz. Im vergangenen Jahr zerstörte zudem ein Brandanschlag das Haus des Journalisten Weren Timo. Kurz zuvor war er wegen seiner Berichterstattung über illegales Glücksspiel bedroht worden.   

Im März 2022 berichtete das von Studierenden herausgegebene Magazin Lintas einer Universität in der Provinz Maluku über die weit verbreitete sexuelle Belästigung auf dem Campus. Wie der Guardian mit Verweis auf das Magazin berichtete, waren unter den mutmaßlichen Tätern acht Dozenten. Nachdem sich die damalige Chefredakteurin Yolanda Agne weigerte, Details über die Taten wie etwa die Namen der Opfer zu nennen, ließ die Universität das Magazin schließen, meldete neun Journalismusschülerinnen und -schüler wegen Verleumdung bei der Polizei und suspendierte Agne und zwei ihrer Kollegen. Agne stand kurz vor ihrem Abschluss.

Schwierige Recherchen zu Umweltthemen und Korruption

Auch die Recherche bestimmter Umweltthemen kann gefährlich werden. So starb 2018 im indonesischen Teil Borneos der Journalist Muhammad Yusuf im Gefängnis. Er war wegen des Vorwurfs inhaftiert worden, ein lokales Palmölunternehmen in seiner Berichterstattung über illegale Landnahme diffamiert zu haben. Seine Frau ist überzeugt, dass er nicht eines natürlichen Todes gestorben ist.

Im August 2020 verurteilte ein Gericht den Journalisten Diananta Putra Sumedi zu dreieinhalb Monaten Haft, unter anderem, weil er angeblich zu Hass angestiftet haben soll. Sumedi arbeitete für die Nachrichtenseite BanjarHits.id und als Korrespondent für Tempo. Er hatte in einem Artikel über einen Landdisput zwischen dem Palmölkonzern Jhonlin und den Dayak berichtet, einer indigenen Volksgruppe auf der Insel Borneo. Palmöl spielt eine wichtige Rolle für die Wirtschaft Indonesiens: Das Land ist der weltweit größte Produzent und Exporteur des Rohstoffes.  

Auch Medienschaffende, die Korruptionsfälle auf lokaler Ebene recherchieren, erleben häufig verschiedene Formen der Einschüchterung durch Polizei oder Soldaten. Ende 2021 verurteilte etwa ein Gericht in der zentralindonesischen Provinz Südsulawesi den Reporter Muhammad Asrul wegen angeblicher Verleumdung zu drei Monaten Haft, nachdem er einen Korruptionsfall in Bauprojekten aufgedeckt hatte.

Verleumdung und Blasphemie: Gesetze erschweren journalistische Arbeit

Grundlage der Urteile gegen gegen Asrul und Sumedi war das Gesetz über „elektronische Informationen und Transaktionen“ (ITE-Gesetz). Nach diesem Gesetz können Medienschaffende wegen Online-Verleumdung (Artikel 27) oder Online-Hassrede (Artikel 28) mit Gefängnis bestraft werden. RSF kritisiert, dass das ITE-Gesetz häufig von lokalen Behörden genutzt wurde, um Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer unliebsamen Berichterstattung zu schikanieren.  

Im Dezember 2023 appellierten RSF und dutzende weitere Organisationen an die indonesische Regierung, das Gesetz zu überarbeiten. Insbesondere die Artikel, die Verleumdung, Hassrede und Falschnachrichten regulieren, „haben das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung systematisch behindert und Verteidiger der Menschenrechte zum Schweigen gebracht.“

Im Dezember 2022 hat das indonesische Parlament zudem eine Reform des Strafgesetzbuches beschlossen, die auch die Pressefreiheit bedroht. Mehrere Bestimmungen zur „Blasphemie“ und zur „Bekämpfung von Falschnachrichten“ gefährden aus Sicht von RSF den investigativen Journalismus. Beleidigung des Präsidenten und staatlicher Institutionen können demnach mit Gefängnis bestraft werden. Verboten werden sollen auch Äußerungen, die der Staatsideologie zuwiderlaufen: Diese sogenannte Pancasila schreibt unter anderem den Glauben an einen Gott vor.

Wenig Informationen aus Westpapua

Besonders alarmierend ist die Situation in der Region Westpapua im Osten Indonesiens. Trotz der Wahlversprechen des amtierenden Präsidenten Joko Widodo ist es für Journalistinnen und Journalisten weiterhin sehr schwierig, aus der Region zu berichten, etwa über das brutale Vorgehen des Militärs gegen die Separatistenbewegung in Papua.

Im August 2019 demonstrierten Tausende Menschen vor Ort gegen Polizeigewalt und für Unabhängigkeit. Daraufhin verhängten die indonesischen Behörden zwischenzeitlich eine Internetsperre in der Region.

Forderungen von RSF

RSF richtet sich mit den Forderungen an die drei Präsidentschaftskandidaten. Einer von ihnen, der aktuelle Verteidigungsminister Prabowo Subianto, tritt zusammen mit Gibran Rakabuming – dem Sohn des amtierenden Präsidenten – als Kandidat für die Vizepräsidentschaft an.

  • Die Präsidentschaftskandidaten sollten sicherstellten, dass Journalistinnen und Journalisten vor allen Formen von Gewalt und Schikanen geschützt sind. Die Verantwortlichen für Gewaltverbrechen gegen Medienschaffende müssen unabhängig ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden.
  • Die Kandidaten sollten das Recht auf Informationsfreiheit auch in Westpapua durchsetzen und sicherstellen, dass alle Journalistinnen und Journalisten in der Praxis ungehindert Zugang zu der Region haben. Das Internet – einschließlich sozialer Medien – darf nicht blockiert werden.
  • Die Kandidaten sollten die Verleumdungsgesetze reformieren, indem sie die Gefängnis- und die unverhältnismäßigen Geldstrafen im ITE-Gesetz abschaffen.
  • Die Kandidaten sollten Vorschriften gegen Desinformation einführen, die den internationalen Standards für Meinungsfreiheit entsprechen und auf den Empfehlungen des Berichts der Initiative „Information und Demokratie“ basieren.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Indonesien auf Platz 108 von 180 Staaten.



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