Deutschland
19.05.2020
Massenüberwachung verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat die Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst (BND) für verfassungswidrig erklärt. Das maßgebliche BND-Gesetz missachte die Telekommunikationsfreiheit in Artikel 10 des Grundgesetzes, weil es die Bindung der Auslandsüberwachung an das Grundgesetz nicht anerkenne. Bei der Neufassung des BND-Gesetzes müsse der Gesetzgeber beachten, dass eine anlasslose Auslandsüberwachung nur in eng begrenzten Fällen möglich sei. Auch müssten verletzliche Personengruppen wie Journalistinnen und Journalisten besonders geschützt werden. Weiter müsse die Auslandsüberwachung wesentlich effektiver durch unabhängige Gremien mit eigener Budgethoheit kontrolliert werden. Das Urteil setzt damit neue Standards im internationalen Menschenrechtsschutz und für die Freiheit der Presse. Der Gesetzgeber muss das BND-Gesetz nun entsprechend den Maßgaben des Gerichts nachbessern.
Anlass für die Entscheidung war eine Verfassungsbeschwerde, die ein Bündnis aus Reporter ohne Grenzen und der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sowie vier weiteren Medienorganisationen eingereicht hatte. Der Fall warf unter anderem die Grundsatzfrage auf, ob deutsche Behörden im Ausland überhaupt an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden sind. Das hat das Bundesverfassungsgericht für Artikel 10 des Grundgesetzes nun unmissverständlich bejaht. „Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung der Pressefreiheit wieder einmal unterstrichen. Wir freuen uns, dass Karlsruhe der ausufernden Überwachungspraxis des Bundesnachrichtendienstes im Ausland einen Riegel vorschiebt“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.
Neue Standards für die Arbeit des BND
Gerade dass der BND sich im Ausland nicht an die Grundrechte gebunden sah, hatte die klagenden ausländischen Journalistinnen und Journalisten zu ihrer Verfassungsbeschwerde motiviert. Die umfassende Überwachung durch Nachrichtendienste kann die Arbeit freier Medien behindern, weil Medienschaffende und ihre Quellen kaum noch vertraulich kommunizieren können. Die Journalistinnen und Journalisten freuen sich darüber, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts neue Standards für die Arbeit des BND setzt, und hoffen auf eine internationale Signalwirkung für die Tätigkeit der Nachrichtendienste anderer Länder.
Das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts ist das erste zur BND-Überwachung seit über 20 Jahren. „Die Bundesregierung bekommt mit dem Urteil die Quittung für ihre jahrelange Weigerung, die digitale Massenüberwachung einzuhegen“, so Mihr weiter. „Wir fordern, dass bei der nun fälligen Reform der Schutz journalistischer Kommunikation im BND-Gesetz verankert wird.“
Edward Snowdens Enthüllungen standen am Anfang
Über sieben Jahre, nachdem Edward Snowden ein globales System geheimdienstlicher Massenüberwachung enthüllt hat, hat das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der deutschen Beteiligung daran höchstrichterlich entschieden. Im Zuge des NSA-Skandals hatte ein Untersuchungsausschuss des Bundestages ans Licht gebracht, dass der BND als Steigbügelhalter der NSA fungierte, woraufhin die damalige Große Koalition ein neues BND-Gesetz verabschiedete.
Doch anstatt dem Auslandsgeheimdienst klare Schranken zu setzen, wollte die Bundesregierung die praktisch flächendeckende Auslandsüberwachung einfach pauschal legalisieren – trotz massiver Proteste aus der Zivilgesellschaft und ohne die Grenzen der Verfassung zu beachten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte koordinierte daraufhin ein Bündnis aus international renommierten Journalistinnen und Journalisten sowie fünf Medienorganisationen, darunter Reporter ohne Grenzen. Gemeinsam reichten sie Ende 2017 Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz ein. Die Klägerinnen und Kläger fürchten unter anderem eine Aushöhlung des Quellenschutzes.
Teil des Bündnisses sind neben der GFF und Reporter ohne Grenzen auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), die Deutsche Journalistinnen und Journalisten Union dju in ver.di, das Journalistennetzwerk n-ost sowie das netzwerk recherche. Zu den Beschwerdeführerinnen und -führern gehört unter anderem die Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Khadija Ismajilova. Verfahrensbevollmächtigter ist der Mainzer Hochschullehrer Prof. Dr. Matthias Bäcker; Reporter ohne Grenzen wird daneben vertreten von Rechtsanwalt Dr. Bijan Moini (GFF).
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