Usbekistan
10.04.2025
Medienschaffende in Karakalpakstan verstummen
Seit der gewaltsamen Niederschlagung regierungskritischer Proteste im Juli 2022 dringen kaum noch unabhängige Nachrichten aus Karakalpakstan. In der Teilrepublik im Westen Usbekistans demonstrierten im Sommer 2022 tausende Menschen aus der Minderheit der Karakalpaken gegen eine Beschneidung ihrer Autonomie. Ursache waren Pläne von Präsident Schawkat Mirsijojew, die autonome Region per Verfassungsänderung zu einer gewöhnlichen usbekischen Provinz herabzustufen. Amtlichen Angaben zufolge kamen bei der Unterdrückung der Demonstrationen mindestens 18 Menschen ums Leben, 240 wurden verletzt und 516 festgenommen. Eine unabhängige Berichterstattung über die Ursachen der Proteste wird bis heute nicht zugelassen.
Bekannter Videoblogger stirbt in Haft
Die Repressionen gegen Medienschaffende halten seit der Unterdrückung der Proteste unvermindert an. Zuletzt kam im Februar 2025 Karakalpakstans bekanntester Youtuber Mustafa Tursynbayev in Haft ums Leben. Er betrieb den Youtube-Kanal Nukus online und berichtete auf Karakalpakisch unter anderem über Behördenversagen, ökologische Probleme und Drogenmissbrauch in der Teilrepublik. Tursynbayev soll der offiziellen Version zufolge während eines Arbeitseinsatzes von den Trümmern einer herabstürzenden Mauer schwer verletzt worden sein. Der Videoblogger fiel ins Koma und erlag seinen Verletzungen. Er wurde 41 Jahre alt. Tursynbayev war im März 2024 zusammen mit dem Videoblogger Salamat Seitmuratov zu fünf Jahren Haft wegen angeblicher Erpressung, Bestechung und Betrug verurteilt worden. Seitmuratov betrieb den inzwischen gelöschten Youtube-Kanal Halyk TV.
Beide Blogger hatten an den Protesten im Juli 2022 nicht teilgenommen. Trotzdem wurden sie in dieser Zeit für fünf Tage festgenommen, verprügelt und gefoltert. Im November 2023 nahmen Polizisten sie zum zweiten Mal fest. Sämtliche Informationen über den Verbleib der Blogger wurden von den Behörden unter Verschluss gehalten. Auch die offiziellen Medien schwiegen. Die Verurteilung der Medienschaffenden wurde erst publik, nachdem Usbekistans Oberstes Gericht die Bestätigung des Urteils im Berufungsverfahren im Juli 2024 im Internet veröffentlichte.
Kritische Zeitung im Visier
In einem großen Prozess gegen angebliche Rädelsführer der Proteste wurden im März 2023 mehrere Journalisten der karakalpakstanischen Zeitung El Khyzmetinde verurteilt. Diese war wegen ihrer kritischen Berichterstattung über soziale Missstände und Umweltprobleme den Behörden schon seit Langem ein Dorn im Auge. Der amtierende Chefredakteur Abdimalik Khojanazarov und sein Vorgänger Yesimqan Qanaatov – mittlerweile für die Tageszeitung Ishonch tätig – erhielten fünf Jahre Hausarrest wegen angeblicher Anstiftung und Organisation von Massenunruhen sowie der Verbreitung von Inhalten, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Außerdem müssen sie jeweils umgerechnet mehr als 18.000 Dollar Strafe zahlen.
16 Jahre Haft für Zeitungsgründer
Im ersten großen Prozess gegen vorgebliche Drahtzieher der Proteste im Januar 2023 war zuvor der Rechtsanwalt Dauletmurat Tazhimuratov verurteilt worden. Der Gründer der Zeitung El Khyzmetinde muss wegen angeblicher Verschwörung zum Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung, Organisation von Massenunruhen, Veruntreuung und Geldwäsche für 16 Jahre in Haft. Außerdem wurde ihm die Zahlung einer Geldstrafe von umgerechnet mehr als 20.000 Dollar auferlegt. Im selben Prozess wurde der Blogger Bakhtiyar Kadirbergenov wegen der angeblichen Organisation von Massenunruhen, Rowdytum und Widerstand gegen einen Staatsvertreter zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Betreiber des inzwischen gelöschten Seite Ayama.uz war beim Filmen der Proteste im Juli 2022 festgenommen worden. Ein Berufungsgericht wandelte seine Strafe im Juni 2023 in fünf Jahre Hausarrest um.
Auch die Journalistin Lolagul Kallykhanova wurde in dem Prozess im Januar 2023 verurteilt. Sie erhielt eine achtjährige Bewährungsstrafe wegen der angeblichen Organisation von Protesten, Verschwörung zur Machtergreifung und der Verbreitung sozial gefährlicher Materialien. Kallykhanova betreibt die Nachrichtenseite Makan.uz, welche auf Telegram intensiv über die Proteste berichtete. Die Medienschaffende wurde im Juni 2022 nach einem kritischen Post über die geplante Verfassungsänderung in Usbekistans Hauptstadt Taschkent festgenommen. Makan.uz ist inzwischen nicht mehr zugänglich.
Britische Journalistin festgehalten
Während der Proteste hielten Polizisten die britische Journalistin Joanna Lillis am 4. Juli 2022 in Karakalpakstans Hauptstadt Nukus für etwa eine Stunde fest und verhörten sie. Lillis schreibt unter anderem für The Economist und Eurasianet und hatte Interviews mit Einheimischen aufgezeichnet. Die Beamten zwangen sie, Fotos und Videos von ihrem Telefon zu löschen. Beim Verlassen der Polizeistation wurde ihr mehrmals gesagt, sie solle vorsichtig sein, was ihrer Meinung nach eine versteckte Warnung gewesen sein könnte.
Usbekistan belegt in der Rangliste der Pressefreiheit Platz 148 von 180 Staaten.
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