Indien
06.12.2024
Online-Hetze gegen Journalistin
Doxxing, Drohungen, falsche Gerüchte: Die Online-Hetze gegen die indische Journalistin Rana Ayyub hält an. Anfang November veröffentlichte ein Influencer aus dem Umfeld der regierenden Hindunationalisten ihre Telefonnummer auf der Plattform X und ermutigte seine Follower, Ayyub zu belästigen. Die Washington-Post-Kolumnistin erhielt daraufhin mehr als 200 Anrufe und obszöne Nachrichten.
„Wir verurteilen die jüngste Online-Hetze gegen Rana Ayyub aufs Schärfste“, sagte RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. „Rana Ayyub steht symbolisch für die brutalen digitalen Angriffe gegen Journalistinnen in Indien. Die Behörden müssen diese Kampagnen untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.“
Hinter dem jüngsten Angriff auf X steht der Account @HPhobiaWatch. Dieser wird von dem Pseudonym Hindutva Knight betrieben. Hindutva ist die politische Ideologie der regierenden Hindunationalisten.
Zusätzlich zu den Anrufen und Nachrichten, die Ayyub bekam, zirkulierte in sozialen Netzwerken ein Screenshot eines Deepfake-Pornovideos mit dem Bild der Journalistin. Kurz darauf veröffentlichten weitere Accounts, die offenbar ebenfalls mit der Ideologie sympathisieren, Bilder von Ausweisdokumenten Ayyubs und Passwörter ihrer Konten in sozialen Medien. Falsche Gerüchte über die Journalistin und Tweets, in denen ihr unwahre Aussagen zugeschrieben wurden, gingen viral.
Am 9. November erstattete die 40-Jährige Anzeige bei der Polizei in Mumbai und nannte den Namen des Administrators hinter dem X-Account @HPhobiaWatch. Das Faktencheck-Portal Alt News hatte seine Identität aufgedeckt. Der Täter arbeitete eng mit der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP) zusammen: Er war als Content Analyst für die sozialen Netzwerke der Partei zuständig. Auf Anfrage von RSF teilte die Polizei mit, dass die Ermittlungen andauern und bisher niemand festgenommen wurde.
Mitte November wehrte sich Ayyub auf Instagram gegen die Angriffe: „Wie bringt man eine Frau zum Schweigen, die sich weigert, nachzugeben. Man versucht, ihren Charakter anzugreifen, macht ihr Angst, ihre Konten in sozialen Medien zu nutzen, verbreitet Gerüchte über ihre Moral und den Mythos, dass sie herumschläft, um an Geschichten zu kommen – das älteste Klischee der Welt“, schrieb die Journalistin. „Danke, dass ihr mir gezeigt habt, dass meine Arbeit etwas bewirkt, dass meine Worte euch Angst machen.“
Die Journalistin wird seit Jahren digital und juristisch angegriffen, bedroht und verfolgt. Im Oktober etwa berichtete sie aus dem Bundesstaat Manipur. Ayyub erzählte RSF, dass sie dort gestalkt worden sei. Personen, die sich als lokale Geheimdienstmitarbeiter ausgaben, seien ihr durchgehend gefolgt, sogar bis zur Toilette. Sie hätten auch den Besitzer des Hotels nach Informationen zu ihrem Aufenthalt gefragt. Besonders unangenehm wurde die Situation für die Journalistin, als sich auch ihre Quellen bedroht fühlten. Laut Ayyub habe die Hälfte der geplanten Treffen nicht stattfinden können. „Wie kann man journalistisch arbeiten, wenn man so intensiv überwacht wird?“
Dutzende weitere indische Medienschaffende haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Hasskampagnen gegen Journalistinnen und Journalisten bis hin zu Mordaufrufen sind in sozialen Netzwerken alltäglich und werden von Trollarmeen aus dem Umfeld der hindunationalistischen Regierung befeuert. RSF zählt diese sogenannten Yoddhas (Krieger) zu den größten Feinden des Internets. Die koordinierten Kampagnen sind besonders bösartig, wenn sie sich gegen Frauen richten.
Die Journalistin und ehemalige RSF-Stipendiatin Srishti Jaswal etwa berichtete 2022 im RSF-Podcast, wie einer ihrer Tweets aus dem Kontext gerissen wurde und eine Welle des Hasses über sie hereinbrach. Internetnutzer stellten Jaswal als „anti-Hindu“ dar und warfen ihr vor, eine ganze Religion beleidigt zu haben. Sie bekam Tausende von Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Unbekannte veröffentlichten private Fotos von ihr, auf der Facebook-Seite ihrer Stadtgemeinde wurde die Journalistin als „Schande“ bezeichnet. Ihrem Vater wurde gedroht, dass sein Haus bald in Flammen stehen könne.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Indien auf Platz 159 von 180 Staaten. Das Land gehört zu den gefährlichsten Ländern für Medienschaffende. Mindestens 28 Journalistinnen und Journalisten wurden dort seit dem Amtsantritt von Premier Narendra Modi 2014 ermordet.
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