Türkei 12.02.2018

Politische Geiselhaft von Deniz Yücel beenden

Plakate mit dem Porträtfoto des Journalisten Deniz Yücel © dpa

Kurz vor dem Jahrestag der Festnahme von Deniz Yücel fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) die türkische Justiz erneut auf, den deutsch-türkischen Journalisten sofort freizulassen. Yücel kam am 14. Februar 2017 in Polizeigewahrsam, nachdem er sich in ein Polizeipräsidium in Istanbul begeben hatte, um sich Fragen der Ermittler zu stellen. Zwei Wochen später ordnete ein Haftrichter Untersuchungshaft für ihn an. Seitdem sitzt der Korrespondent der Zeitung Die Welt ohne Anklageschrift im Gefängnis. Die Justiz wirft ihm Terrorpropaganda und Aufwiegelung der Bevölkerung vor. 

„Die fast ein Jahr anhaltende politische Geiselhaft von Deniz Yücel ist unerträglich. Dass immer noch keine Anklageschrift vorliegt und die türkische Justiz an den haltlosen Anschuldigungen festhält, ist eine Schande für die Türkei,“ sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Bundesregierung muss trotz des diplomatischen Tauwetters zwischen Berlin und Ankara den Druck auf die türkische Regierung aufrechterhalten. Die türkische Justiz muss Deniz Yücel sofort freilassen und die Vorwürfe gegen ihn fallenlassen.“

Yücel war vor seiner Festnahme im Zusammenhang mit seinen Berichten über eine Hacker-Attacke auf ein E-Mail-Konto des türkischen Energieministers gesucht worden. Ebenso wie viele andere Journalisten internationaler Medien hatte er über den Inhalt der auf Wikileaks öffentlich zugänglichen E-Mails berichtet, in denen es unter anderem um die Kontrolle türkischer Medienkonzerne und die Beeinflussung der Öffentlichkeit durch fingierte Nutzer im Kurznachrichtendienst Twitter ging.

Am 27. Februar 2017 ordnete ein Haftrichter Untersuchungshaft für Yücel an und stützte sich dabei auf Artikel, die Yücel geschrieben hatte. Jedoch werden in der richterlichen Begründung weder die Hacker-Attacke noch der Energieminister genannt, sondern Yücels Artikel zum Kurdenkonflikt und dem Putschversuch im Juli 2016. Einer der Artikel ist ein Interview mit einem PKK-Anführer aus dem Jahr 2015. Yücel arbeitet seit Mai 2015 als Türkei-Korrespondent der Welt

Kurz nach der Entscheidung des Haftrichters hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Yücel öffentlich vorverurteilt. In einer Rede bezeichnete er ihn als „PKK-Vertreter“ und „deutschen Agent“. Mitte April 2017 hat Erdogan eine Auslieferung Yücels an Deutschland mit den Worten „Auf keinen Fall, solange ich in diesem Amt bin niemals“ ausgeschlossen.  

Yücel sitzt im Hochsicherheitsgefängnis Silivri in der Nähe von Istanbul. Mittlerweile erhält Yücel laut Angaben der Welt vereinzelt Briefe. Anfang Dezember 2017 wurde er in eine Zelle verlegt, die über einen Innenhof mit zwei anderen Zellen verbunden ist. Zuvor hatte Yücel keine Möglichkeit, Kontakt zu Mitgefangenen aufzunehmen. Mitte Januar hat der deutsche Generalkonsul in Istanbul, Georg Birgelen, Yücel im Gefängnis besucht. 

Hoffnung auf den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof

Yücel hat wie viele der inhaftierten Journalisten das türkische Verfassungsgericht angerufen und im März 2017 Beschwerde gegen seine Untersuchungshaft eingereicht. Seine Anwälte argumentieren, die Inhaftierung Yücels verletze „sein Recht auf körperliche Unversehrtheit und seine persönliche Freiheit“, wie die Welt berichtet. Anfang Januar 2018 hat die türkische Regierung ihre Stellungnahme zu Yücels Haftbeschwerde vor dem Gericht eingereicht, ohne neue Vorwürfe oder Beweismittel zu nennen.  

Im April 2017 hat Yücel zudem Beschwerde vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) gegen seine Inhaftierung eingelegt, dessen Entscheidungen bindend für die Türkei sind. Das Gericht hat die Klage angenommen und die türkische Regierung zu einer Stellungnahme aufgefordert. Wie die Zeitung Die Welt berichtet, bringt Ankara in der Ende November eingereichten Stellungnahme keine neuen Beweise vor, sondern wiederholt die Vorwürfe des Haftbefehls, Terrorpropaganda und Volksverhetzung. Zuvor hat Ende Oktober Reporter ohne Grenzen zusammen mit weiteren Menschenrechtsorganisationen beim EGMR eine Stellungnahme im Verfahren Yücels eingereicht.

Anfang Februar hat auch die Bundesregierung ihre Stellungnahme im Fall Yücel vor dem EGMR abgegeben und weist darin darauf hin, dass Yücel ausschließlich aufgrund seiner Berichterstattung inhaftiert wurde.
Die Türkei ist Mitglied des Europarats. Kommt der EGMR zu dem Schluss, dass eine Grundrechtsverletzung vorliegt, wäre die Türkei verpflichtet, Yücel aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Der EGMR wird voraussichtlich bis Ende Juli über die Klage des Journalisten entscheiden

Prozesse gegen Journalisten gehen weiter

In der Vergangenheit spielte das Verfassungsgericht eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der Pressefreiheit. Doch nach der Verhängung des Ausnahmezustands im Juli 2016 war das Gericht gelähmt. Mitte Januar ordnete es schließlich die Freilassung des Zaman-Journalisten Sahin Alpay und des Kolumnisten Mehmet Altan an und sprach nach anderthalb Jahren Schweigen zum ersten Mal seit Beginn des Ausnahmezustands ein Urteil. Doch zwei Strafgerichte in Istanbul ignorieren die Anordnung des Verfassungsgerichts. Sie weigern sich, Alpay und Altan freizulassen

Am Montag (12.02.) geht in Istanbul der Prozess gegen Mehmet Altan, seinen Bruder Ahmet Altan und den bekannten Journalisten Nazli Ilicak weiter. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft. Ein Urteil wird diese Woche erwartet. Am 5. April geht das Verfahren gegen Alpay und 29 weitere Angeklagte weiter.

Mehr als 100 Journalisten in Haft

Neben Yücel ist eine weitere deutsche Medienschaffende wegen ihrer Arbeit ins Visier der türkischen Justiz geraten. Die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu war Ende April in Istanbul festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr laut Anklageschrift Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation und Terror-Propaganda vor. Mitte Dezember entschied ein Gericht in Istanbul, Tolu unter Auflagen freizulassen. Sie darf die Türkei jedoch nicht verlassen und muss sich einmal pro Woche bei der Polizei melden. Die nächste Anhörung ist am 26. April.

Die Türkei gehört zu den fünf Ländern, in denen weltweit die meisten Medienschaffenden wegen ihrer Arbeit inhaftiert sind. Mehr als 100 Journalisten sitzen derzeit in der Türkei im Gefängnis. Viele warten monatelang in Untersuchungshaft, bevor eine Anklageschrift vorliegt. Im August 2017 hatte Erdogan per Dekret die Dauer der Untersuchungshaft auf sieben Jahre verlängert. Seit dem Putschversuch wurden rund 150 Medien geschlossen und Hunderte Presseausweise annulliert. 

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 155 von 180 Staaten.



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