Türkei
18.04.2018
Prozess gegen ROG-Korrespondent erneut vertagt
Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert die einschüchternde Wirkung des seit rund eineinhalb Jahren andauernden Gerichtsverfahrens gegen den langjährigen Türkei-Korrespondenten der Organisation, Erol Önderoglu. Am Mittwoch vertagte ein Gericht in Istanbul das Verfahren zum sechsten Mal auf den 9. Oktober. Die absurden Anschuldigungen gegen Önderoglu bleiben damit bestehen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm wegen der Teilnahme an einer Solidaritätsaktion für die pro-kurdische Zeitung Özgür Gündem „Propaganda für eine terroristische Organisation“ vor. Zusammen mit Önderoglu sind die Vorsitzende der Türkischen Menschenrechtsstiftung, Sebnem Korur Fincanci, und der Cumhuriyet-Kolumnist Ahmet Nesin angeklagt. Ihnen drohen bis zu vierzehneinhalb Jahre Haft.
„Ziel der Solidaritätskampagne für Özgür Gündem war es, den stark gefährdeten Medienpluralismus in der Türkei zu verteidigen. Für ihren Mut werden die Teilnehmer wie Kriminelle behandelt. Je länger das Verfahren dauert, desto mehr schüchtert es all jene ein, die sich für Medienfreiheit im Land einsetzen wollen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Justiz muss die absurden Vorwürfe endlich fallenlassen.“
Önderoglu hatte mit Dutzenden weiteren Journalisten und Prominenten jeweils für einen Tag symbolisch den Posten des Chefredakteurs von Özgür Gündem übernommen, um ihre Solidarität mit der Zeitung zu demonstrieren, die bereits unter wachsendem Druck der Behörden stand. Ende Oktober 2016 wurde das Blatt per Regierungsdekret geschlossen.
Im Juni 2016 waren Önderoglu, Fincanci und Nesin verhaftet worden. Nach internationalen Protesten unter anderem vom damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon waren sie nach zehn Tagen freigelassen worden.
Zu Prozessbeginn am 8. November 2016 in Istanbul hatte Önderoglu die Anschuldigungen gegen ihn zurückgewiesen und betont, er habe nur sein Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt. Den Antrag der Verteidigung, die Anklage fallen zu lassen, lehnte das Gericht ab.
Önderoglu ist seit 1996 Türkei-Korrespondent von Reporter ohne Grenzen. Daneben verfasst er die Quartalsberichte der alternativen türkischen Nachrichtenagentur Bianet zum Stand der Meinungsfreiheit in der Türkei, arbeitet regelmäßig mit der OSZE zusammen und ist Vorstandsmitglied von IFEX (International Freedom of Expression Exchange), einem weltweiten Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Meinungsfreiheit einsetzen und bei dem ROG Mitglied ist.
Über 40 Journalisten und Intellektuelle vor Gericht
In demselben Istanbuler Gericht waren im Januar bereits die Journalisten Ragıp Duran und Ayşe Düzkan zu Haftstrafen von jeweils 18 Monaten verurteilt worden. Auch sie hatten an der Solidaritätsaktion für Özgür Gündem teilgenommen. In seiner Begründung sagte das Gericht, sie hätten nicht genug Reue gezeigt.
Die Richter verurteilten Duran und Düzkan wegen Terrorpropaganda für die verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wegen Kolumnen, die an dem Tag in der Zeitung erschienen waren, als sie symbolisch die Chefredaktion übernommen hatten. Mit ihnen auf der Anklagebank saßen die Autoren der Kolumnen, Mehmet Ali Çelebi and Hüseyin Bektaş, die ebenfalls zu Gefängnisstrafen von je 18 Monaten verurteilt wurden. Die Journalisten haben gegen das Urteil Berufung eingelegt und müssen die Haftstrafe noch nicht antreten, bis darüber in einigen Monaten entschieden wird. Insgesamt nahmen 56 Journalisten, Schriftsteller und Intellektuelle zwischen Mai und August 2016 an der Solidaritätsaktion bei, 41 von Ihnen sitzen auf der Anklagebank.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 155 von 180 Staaten.
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