Iran
23.08.2023
Rachsucht und Gewalt in den Gefängnissen
Dank ihr weiß die Welt von Folter und Gewalt in den iranischen Gefängnissen: Die Journalistin Narges Mohammadi hat in einem Brief aus dem Gefängnis erneut die Misshandlungen von inhaftierten Frauen im Iran angeprangert. Sie schrieb am 18. August: „Das Ausmaß an körperlicher Gewalt bei der Festnahme und in den illegalen Haftanstalten ist eine Form der systemischen Folter, mit der Einschüchterung und Terror erzeugt werden sollen.“ Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die Behörden auf, diese Gewalt zu beenden und Mohammadi sowie alle im Iran inhaftierten Medienschaffenden freizulassen.
„Je lauter Narges Mohammadi spricht, desto härter bestrafen sie die Behörden“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wie jeder Mensch hat auch sie das Recht, ihre Meinung zu sagen, auch aus der Haft heraus. Narges Mohammadi hat bewiesen, dass sie sich dem Druck nicht beugen wird. Dank ihres Mutes weiß die Welt, was in den iranischen Gefängnissen vor sich geht.“
Gewalt und Einschüchterung sind Kern des iranischen Justizsystems
Narges Mohammadi ist Autorin des Buches „Weiße Folter“, das Interviews mit 16 inhaftierten Frauen versammelt. Sie berichten von systematischer psychischer und physischer Gewalt. Laut Mohammadi schweigen die meisten öffentlich über das Leid, das sie während der Haft erleiden – aus Angst, bedroht oder wegen neuer Anschuldigungen vor Gericht gestellt zu werden. „Auch ihre Familien vermeiden es, ihre Geschichten zu teilen“, schreibt Mohammadi.
Narges Mohammadi sitzt seit 2011 mit Unterbrechungen fast dauerhaft im Gefängnis. Ihre aktuelle Haftstrafe verbüßt sie seit dem 16. November 2021. RSF hat die Journalistin Ende vergangenen Jahres mit dem RSF Press Freedom Award in der Kategorie Mut ausgezeichnet. Kurz zuvor, am 3. Dezember 2022, hatte sie auf ihrem von ihrer Familie verwalteten Instagram-Account einen Text veröffentlicht, der sexuelle Gewalt von Sicherheitskräften an weiblichen Gefangenen anprangert. Im April folgte ein weiterer Brief, in dem sie zur „Rettung des Iran“ aufrief. Im August 2023 erhöhte die zuständige Zweigstelle 29 des Revolutionsgerichts unter der Leitung von Richter Ali Muzlum deshalb ihre Haftstrafe um ein Jahr. Mohammadi ist nun rechtskräftig zu zehn Jahren und neun Monaten Gefängnis und 145 Peitschenhieben verurteilt.
Laut ihrem Ehemann Taghi Rahmani wurden die Peitschenhiebe dank der großen internationalen Solidarität bislang nicht vollstreckt. Dennoch sorgt sich Rahmani über die Haftbedingungen seiner Frau: „Narges zahlt den Preis für ihre Überzeugungen, für ihre Entscheidung, ihre Stimme zu erheben.“ Die Journalistin darf seit 15 Monaten keine internationalen Telefonanrufe mehr entgegennehmen. Sie kann daher nicht mehr direkt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern, die in Frankreich leben, kommunizieren.
Angesichts der unwürdigen Haftbedingungen wandte sich RSF am 7. Juni an die für den Schutz der Menschenrechte zuständigen Instanzen der Vereinten Nationen (UN). Am 5. Juli äußerte eine unabhängige, von der UN eingerichtete Untersuchungskommission vor dem Menschenrechtsrat ihre Besorgnis über die „anhaltende Inhaftierung von Menschenrechtsverteidigern und Anwälten, die Demonstranten verteidigen, sowie von mindestens 17 Journalisten“.
Gewalt gegen inhaftierte Journalistinnen
Was Narges Mohammadi in ihren Briefen und ihrem Buch berichtet, vervollständigt das Bild systematischer staatlicher Gewalt gegen Journalistinnen innerhalb und außerhalb der Gefängnisse. Wie unnachgiebig, aber auch bewusst willkürlich die Behörden mit Journalist*innen umgehen, zeigt das Beispiel von Nazila Maroufian. Erstmals war die Rouydad24-Journalistin am 30. Oktober 2022 festgenommen worden, weil sie den Vater von Jina Mahsa Amini interviewt hatte. Wegen des mutmaßlichen Mordes an der damals 22-jährigen Kurdin Amini kommt es seit 16. September 2022 zu landesweiten Protesten gegen die diktatorische Herrschaft des Regimes in Teheran. Maroufian kam am 9. Januar 2023 gegen Kaution frei, wurde Ende Januar wegen „Verbreitung von Propaganda gegen das System“ zu zwei Jahren Haft verurteilt und später im Rahmen einer Reihe von Amnestien begnadigt.
Am 7. Juli 2023 wurde sie jedoch erneut wegen „illegaler Absprachen und Propaganda gegen das Regime“ festgenommen. Im Gefängnis wurde sie selbst Opfer von Gewalt. Maroufian litt an Herz- und Atemwegsproblemen und wurde Anfang August ins Krankenhaus gebracht, nur wenige Tage vor ihrer vorläufigen Entlassung am 13. August. Schon einen Tag später wurde sie erneut 24 Stunden lang willkürlich festgehalten, weil sie aus Freude über ihre Entlassung ein Foto von sich ohne Schleier ins Internet gestellt hatte. Am 15. August wurde sie zur Polizeistation 106 in Teheran bestellt, um dort ihr beschlagnahmtes Smartphone abzuholen. Als sie eintraf, habe sie ein Beamter „von hinten heftig geschlagen“.
Aktuell sind im Iran 25 Medienschaffende inhaftiert, darunter sechs Journalistinnen: Elahe Mohammadi von der Zeitung Ham-Mihan und Nilufar Hamedi von der Zeitung Shargh, die derzeit auf die Urteile in ihren Prozessen warten, Malika Haschemi von der Shahr News Agency und die freien Journalistinnen Farzane Yahyabadi, Maliheh Daraki und Saida Schafiei.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht der Iran seit vielen Jahren auf den hintersten Plätzen, derzeit auf Rang 177 von 180.
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