Press Freedom Awards
09.11.2021
RSF gibt Nominierungen 2021 bekannt
Die Nominierten für die Press Freedom Awards 2021 von Reporter ohne Grenzen (RSF) stehen fest. Die neunköpfige Jury unter dem Vorsitz von RSF-Präsident Pierre Haski, die sich aus international prominenten Journalisten und Pressefreiheitsaktivistinnen zusammensetzt, hat vier Journalistinnen, zwei Journalisten und sechs Medienunternehmen oder Journalistenorganisationen aus insgesamt elf Ländern nominiert. Der Preis wird in den Kategorien „Journalistischer Mut“ („journalistic courage“), „Wirkung“ („impact“) und „Unabhängigkeit“ („independence“) verliehen. Die Gewinnerinnen und Gewinner werden am 18. November 2021 bekanntgegeben.
Nominiert in der Kategorie journalistischer Mut:
KAY ZON NWAY (MYANMAR)
Die junge Reporterin ist ein Symbol für den mutigen Kampf für die Pressefreiheit in Myanmar. Kay Zon Nway wurde inhaftiert, nachdem sie am 26. Februar während eines Live-Streams von einem Protest gegen den Militärputsch festgenommen wurde. Am 1. Juli wurde sie nach 124 Tagen Haft freigelassen. Sie ist das Symbol einer Generation von Reporterinnen und Reportern, die während der zehn Jahre der Demokratie in Myanmar (von 2011 bis zum Staatsstreich im Februar dieses Jahres) begonnen haben, journalistisch zu arbeiten, und sich nicht der von der Junta auferlegten Zensur unterwerfen wollen. Kay Zon Nway arbeitet für Myanmar Now, ein Medienunternehmen, das selbst eine historische Rolle im langen Kampf für die Pressefreiheit in Myanmar gespielt hat.
ZHANG ZHAN (CHINA)
Die Anwältin und Journalistin Zhang Zhan wurde im Dezember 2020 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie „Streit angezettelt und Ärger provoziert“ haben soll, indem sie im Februar 2020 über den ersten Ausbruch von Covid-19 in der Stadt Wuhan berichtet hatte. Trotz ständiger Drohungen der Behörden streamte sie Live-Videoberichte auf YouTube, WeChat und Twitter über die Verhältnisse in den Straßen und Krankenhäusern der Stadt und zeigte die Schikanen, denen die Familien von Erkrankten ausgesetzt waren. Ihre Berichterstattung, die in den sozialen Medien weit verbreitet wurde, war zu dieser Zeit eine der wichtigsten Quellen für unabhängige Informationen über die Lage in Wuhan. Im Mai 2020 festgenommen, wurde sie mehrere Monate ohne Angabe eines offiziellen Grundes und ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Als sie in einen Hungerstreik trat, wurde sie schließlich fixiert und zwangsernährt. Sie befindet sich weiterhin im Gefängnis und verweigert fast jegliche Nahrung, sodass ihr Leben akut bedroht ist.
PATRICIA DEVLIN (NORDIRLAND, VEREINIGTES KÖNIGREICH)
Patricia Devlin ist Kriminal-Journalistin bei der Sunday World in Belfast, hat aber schon auf der ganzen irischen Insel gearbeitet. In ihrer Berichterstattung über organisierte Kriminalität und paramilitärische Aktivitäten hat sie enormem Druck standgehalten und großen Mut bewiesen. Sie spricht offen über die geschlechtsspezifische Gewalt und die Drohungen gegen sie und ihre Familie, denen sie im Zusammenhang mit ihrer Arbeit ausgesetzt ist. Juristisch ging sie gegen die Polizei von Nordirland vor, die die Drohungen gegen sie nicht ordnungsgemäß untersuchte, sowie gegen Facebook, um die Identität des Nutzers herauszufinden, der ihr Vergewaltigungsdrohungen gegen ihren neugeborenen Sohn geschickt hatte.
CONFIDENCIAL (NICARAGUA)
Confidencial ist eine 1996 gegründete Wochenzeitung in Nicaragua, die für ihren investigativen Journalismus bekannt und eines der wenigen verbliebenen nicht-staatlichen Medien des Landes ist. Am 20. Mai durchsuchte die Regierung von Daniel Ortega die vom Journalisten Carlos Fernando Chamorro gegründete Redaktion. Zudem wurden Journalistinnen und Journalisten festgenommen, die über den Vorfall berichteten. Die Polizei beschlagnahmte unter anderem Computer und Kameras. Im Dezember 2018 war die Redaktion zum ersten Mal ohne Gerichtsbeschluss von der Polizei durchsucht worden. Zensur und Angriffe auf unabhängige Medien nehmen in Nicaragua seit 2018 zu.
Nominiert in der Kategorie Wirkung:
PEGASUS-PROJEKT (INTERNATIONAL)
Das Pegasus-Projekt ist ein Rechercheprojekt eines internationalen Konsortiums von mehr als 80 Journalistinnen und Journalisten von 17 Medien in elf verschiedenen Ländern, das von der NGO Forbidden Stories mit technischer Unterstützung des Security Lab von Amnesty International koordiniert wurde. Basierend auf einem Leak von mehr als 50.000 Telefonnummern, die von der Spähsoftware Pegasus des israelischen Unternehmens NSO Group ins Visier genommen wurden, enthüllte das Pegasus-Projekt, dass fast 200 Medienschaffende von elf Regierungen – autokratischen wie demokratischen – ausspioniert wurden. Diese Recherche hat die Öffentlichkeit weltweit auf das Ausmaß der Überwachung aufmerksam gemacht, der Medienschaffende in vielen Ländern ausgesetzt sind. Zudem veranlasste sie zahlreiche Medien sowie RSF, Klagen einzureichen und erneut ein Moratorium für den Verkauf von Überwachungstechnologien zu fordern.
BELARUSSISCHE JOURNALISTENVEREINIGUNG (BAJ) (BELARUS)
Die belarussische Journalistenvereinigung BAJ wurde 1995 gegründet, um unabhängigen Journalismus zu unterstützen. Sie spielte eine entscheidende Rolle bei der Dokumentation der beispiellosen Zahl von Angriffen gegen und Verhaftungen von Medienschaffenden in Belarus, die seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im August 2020 ständig angestiegen. BAJ hat alle Formen der Verfolgung sorgfältig aufgelistet – von willkürlichen Durchsuchungen über Zensur und Gewalt bis hin zu Inhaftierungen – und dies trotz Schikanen durch die Behörden. Die Arbeit von BAJ hat dazu beigetragen, die belarussische Bevölkerung, internationale NGOs und ausländische Regierungen auf die fatale Lage der Pressefreiheit in Belarus aufmerksam zu machen.
BELLINGCAT (NIEDERLANDE)
Bellingcat ist ein unabhängiges internationales Kollektiv von Rechercheurinnen, Investigativjournalisten und Bürgerjournalistinnen, das zu einer Vielzahl von Themen publiziert. Mit innovativen Ansätzen wie öffentlich zugänglichen Open-Source-Daten sowie Recherchen auf Social Media und durch Bürgerjournalistinnen und Bürgerjournalisten haben sie es geschafft, ein umfassendes Bild der Gewalt gegen Medienschaffende während der Black-Lives-Matter-Proteste in den USA zu zeichnen. Die mit neuartigen Features und Visualisierungen gespickten Geschichten zeigten, wie die US-Strafverfolgungsbehörden bei diesen Protesten gezielt Journalistinnen und Journalisten ins Visier nahmen. Vergangenes Jahr arbeitete Bellingcat mit einem Team von Freiwilligen sowie einer Partnerorganisation zusammen, um Hunderte weiterer Fälle von Polizeigewalt gegen Demonstrantinnen, Umstehende und Reporter während der Proteste im Mai und Juni 2020 zu kartieren.
THE INTERCEPT BRASIL (TIB) (BRASILIEN)
Die Recherchen von The Intercept Brasil (TIB) zu geleakten Nachrichten, die im Rahmen des „Operation Lava Jato“ genannten Korruptionsskandals zwischen Ermittlungsbehörden ausgetauscht wurden, deckten die Voreingenommenheit des zuständigen Bundesrichters Sérgio Moro und seine Nähe zur Staatsanwaltschaft auf. Im Juni 2019 berichtete TIB, dass die zuständigen Ermittler und Moro sich verschworen hatten, um Ex-Präsident Lula hinter Gitter zu bringen und zu verhindern, dass er an der Präsidentschaftswahl 2018 teilnehmen konnte. Das Team von TIB wurde nach den Enthüllungen bedroht, belästigt und musste sich sogar juristischen Ermittlungen stellen. Glenn Greenwald, damals Chefredakteur, erhielt Morddrohungen. Aber die Nachrichten-Webseite veröffentlichte weiter. Als Konsequenz hob im April 2021 der Oberste Gerichtshof Brasiliens die Verurteilung Lulas auf und erklärte Richter Moro für parteiisch.
Nominiert in der Kategorie Unabhängigkeit:
STAND NEWS (HONGKONG)
Stand News wurde im Dezember 2014 in Hongkong gegründet und ist eine unabhängige, gemeinnützige, kantonesisch-chinesische Nachrichten-Webseite. Sie verpflichtet sich, die Grundwerte Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit zu verteidigen und ein Raum zu sein, in dem Journalistinnen und Journalisten unabhängig von Unternehmen, Behörden und politischen Parteien publizieren können. Nach der erzwungenen Schließung der Zeitung Apple Daily im Juni 2021 traten sechs Vorstandsmitglieder des Mediums zurück, um einer Strafverfolgung zu entgehen, und alle Meinungsartikel und Kolumnen von Stand News wurden vom Netz genommen, um die Autorinnen und Autoren zu schützen. Heute berichtet Stand News weiter über wichtige politische und soziale Entwicklungen in Hongkong, einschließlich der Politik der Regierung und aller Gerichtsprozesse im Zusammenhang mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz.
MAJDOLEEN HASSONA (PALÄSTINA)
Bevor sie zum türkischen Fernsehsender TRT wechselte und nach Istanbul zog, wurde die palästinensische Journalistin Majdoleen Hassona wegen ihrer kritischen Berichterstattung mehrfach von israelischen und palästinensischen Behörden schikaniert und strafrechtlich verfolgt. Bei einem Besuch im Westjordanland im August 2019 mit ihrem Verlobten (ebenfalls ein TRT-Journalist) wurde sie an einem israelischen Kontrollpunkt angehalten und ihr wurde mitgeteilt, dass sie „aus Sicherheitsgründen“ einem vom israelischen Geheimdienst erlassenen Verbot, das Territorium zu verlassen, unterliege. Seitdem sitzt sie im Westjordanland fest und ist von ihrem Verlobten getrennt, der ohne sie in die Türkei zurückkehren musste. Sie beschloss, die Berichterstattung im Westjordanland wieder aufzunehmen. Als sie im Juni 2021 über regierungsfeindliche Proteste nach dem Tod des Aktivisten Nizar Banat berichtete, wurde sie von palästinensischen Sicherheitsbeamten geschlagen.
MOUSSA AKSAR (NIGER)
Im Niger kann ein Journalist von einer auf investigative Berichterstattung spezialisierten Publikation nicht leben. Das Ausmaß der Belästigung ist zu groß, Werbetreibende werden zu sehr abgeschreckt. Um das Überleben und die Unabhängigkeit der von ihm 2002 gegründeten Zeitung L’Événement zu sichern, betreibt Moussa Aksar nebenbei auch Landwirtschaft. Der Verkauf von Mangos und Kamelmilch ermöglicht es ihm, seine journalistische Arbeit fortzusetzen. Gleichzeitig leitet er das Norbert Zongo Center for Investigative Journalism (CENOZO). Er hat vor drei Jahren die gedruckte Ausgabe von L’Événement eingestellt, hält aber an seiner Webseite fest und berichtet und recherchiert weiter trotz Drohungen. Allein in den vergangenen zwei Jahren stand er achtmal vor Gericht und wurde im Juni zu einer Geldstrafe von 1.830 Euro verurteilt, weil er an einer internationalen journalistischen Recherche teilgenommen hatte, die die Veruntreuung großer Summen öffentlicher Gelder im Zusammenhang mit Waffenkäufen aufgedeckt hatte.
ANDRÁS ARATÓ (UNGARN)
András Arató leitet Klubrádió, einen unabhängigen Radiosender mit Sitz in Budapest, der für seine offene und humorvolle Kritik an den Behörden bekannt ist. Der Sender wurde ein weiteres Opfer der Zensurpolitik der ungarischen Regierung, als der ungarische Medienrat ihm aus vorgeschobenen Verwaltungsgründen die Betriebslizenz entzog. Die Entscheidung wurde von der Europäischen Kommission als diskriminierend erachtet, aber vom ungarischen Obersten Gerichtshof bestätigt. Heute sendet Klubrádió nur noch im Internet und überlebt dank der Spenden seiner Hörerinnen und Hörer. András Arató führt unterdessen den juristischen und finanziellen Kampf um eine der letzten großen unabhängigen Nachrichtenquellen in Ungarn weiter.
Seit 1992 fördert, unterstützt und honoriert RSF mit seinen Press Freedom Awards die Arbeit von Journalistinnen, Journalisten und Medien, die einen bedeutenden Beitrag zur Verteidigung oder Förderung der Pressefreiheit auf der ganzen Welt leisten. Mehr als 50 Männer, Frauen, Medienunternehmen und NGOs haben ihn bis heute erhalten.
„Die Liste der Nominierten für die Press Freedom Awards 2021 spiegelt die Herausforderungen wider, vor denen Medienschaffende und Medien aktuell stehen, die für Pressefreiheit in ihren jeweiligen Ländern kämpfen“, sagte RSF-Generalsekretär Christophe Deloire. „Diese Männer, Frauen und Medien kämpfen mit Mut und Entschlossenheit gegen Kräfte, die die journalistische Unabhängigkeit untergraben. Medienschaffende werden in vielen Ländern der Welt bedroht, strafrechtlich verfolgt oder inhaftiert. Medien werden zensiert, marginalisiert, verboten oder geschlossen. Die RSF Press Freedom Awards sind eine Hommage und vor allem eine Unterstützung für alle, die die Ideale des Journalismus verkörpern.“
Die Jury der 29. RSF Press Freedom Awards unter dem Vorsitz von RSF-Präsident Pierre Haski besteht aus prominenten Journalisten und Pressefreiheitsaktivistinnen. Der Jury gehören an: Rana Ayyub, indische Journalistin und Kolumnistin der Washington Post; Raphaëlle Bacqué, prominente Reporterin für Le Monde, Frankreich; Mazen Darwish, syrischer Anwalt und Präsident des Syrischen Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit (SCM); Zaina Erhaim, syrische Journalistin und Kommunikationsberaterin; Erick Kabendera, tansanischer investigativer Reporter; Hamid Mir, pakistanischer Reporter, Kolumnist und Autor; Frederik Obermaier, Investigativjournalist bei der Süddeutschen Zeitung; und Michail Sygar, russischer Journalist und Gründungs-Chefredakteur von Doschd, Russlands einzigem unabhängigen TV-Nachrichtensender.
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