Überwachung 15.11.2022

RSF fordert Verbot biometrischer Überwachung

Die Bundesregierung soll sich für ein Verbot biometrischer Identifizierungssysteme einsetzen.
RSF erinnert die Bundesregierung an ihre Ankündigung: Das Verbot biometrischer Identifizierungssysteme. © Grazvydas Januska / Zoonar / picture alliance

Deutschland soll sich für ein Verbot biometrischer Identifizierungsverfahren einsetzen. Dies fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) zusammen mit 23 zivilgesellschaftlichen Organisationen in einem offenen Brief an die Bundesregierung. Hintergrund sind die EU-Ratsverhandlungen über den Artificial Intelligence Act (AI Act), die bis zum 6. Dezember abgeschlossen sein sollen.

„Ein Verbot biometrischer Identifizierungsverfahren wirkt der Normalisierung von Überwachungspraktiken im öffentlichen Raum entgegen“, erklärt Helene Hahn, RSF-Referentin für Internetfreiheit. „Zudem entspricht es dem Verbot biometrischer Überwachung, das die Ampelparteien im Koalitionsvertrag vereinbart haben.“

Mit dem AI Act will die EU einen regulatorischen Rahmen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz schaffen, zu der auch die biometrische Gesichtserkennung gehört. Einen Gesetzesentwurf dazu hat Brüssel im April 2021 vorgelegt. Der aktuelle Kompromissvorschlag der EU-Ratspräsidentschaft enthält jedoch zahlreiche Ausnahmen, welche dieses Verbot letztlich aushöhlen - und eine biometrische Massenüberwachung ermöglichen.

Die gesetzgeberischen Lücken stecken vor allem in Artikel 5d. Dieser bezieht das geplante Verbot biometrischer Erkennungssysteme im öffentlichen Raum ausschließlich auf „Echtzeit“-biometrische Identifizierungssysteme. Die Nutzung bereits aufgezeichneten Videomaterials wäre somit weiterhin erlaubt. Außerdem beträfe das Verbot nur Strafverfolgungsbehörden - oder Akteure, die in deren Auftrag handeln. Andere öffentliche und private Akteure wären von dem Verbot somit ausgenommen – und könnten biometrische Systeme zur Überwachung verwenden. Zudem würde das Verbot biometrischer Identifizierungssysteme nicht für EU-Staaten gelten, die sich auf die „nationale Sicherheit“ berufen. Massenüberwachung wird somit durch die Hintertür möglich.

Die Ausnahmeregelungen würden auch die Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten verschlechtern. Treffen mit anonymen Informanten und Informantinnen im öffentlichen Raum wären erheblich erschwert. Denn Identität oder Aufenthaltsort der Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen könnten mithilfe biometrischer Systeme anhand des aufgezeichneten Videomaterials festgestellt werden. Recherchen zu etwa Korruption, Geldwäsche oder Rechtsextremismus wären so mit mehr Risiken verbunden. Medienschaffende müssen sich weiter anonym in der Öffentlichkeit bewegen können. Reporter ohne Grenzen setzt sich daher für die Streichung der Ausnahmeregelungen und damit für ein verlässliches, lückenloses Verbot biometrischer Identifizierungsverfahren im öffentlichen Raum ein. 

Als Reaktion auf die Verbreitung der Hoch-Risikotechnologie haben über 20 US-Regionen und Städte wie San Francisco den Einsatz von Gesichtserkennung oder ähnlicher Formen der biometrischen Überwachung verboten. In Südamerika ordneten zwei Gerichtsurteile das Abstellen der Gesichtserkennungssysteme in der Metro von São Paulo und Buenos Aires an. In Europa gibt es mit der Kampagne “Reclaim Your Face” ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis für das Verbot der Gesichtserkennung. Italien hat Ende 2021 als erstes EU-Mitgliedsstaat ein Moratorium eingeführt. In Deutschland hat sich die Ampelkoalition für ein EU-weites Verbot im Koalitionsvertrag ausgesprochen. Ein deutliches Signal der deutschen Bundesregierung an die anderen EU-Mitgliedstaaten wäre zentral, um dieses Versprechen umzusetzen - nämlich “biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring Systeme durch KI (...) europarechtlich auszuschließen.”

 

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