Aserbaidschan / Armenien 11.11.2020

RSF verurteilt Gewalt gegen Journalisten

Zwei Personen laufen durch die Trümmer zerstörte Häuser in Stepanakert in Bergkarabach.
Zerstörte Häuser in Stepanakert in Bergkarabach. © picture alliance / dpa / Sputnik / Iliya Pitalev

Reporter ohne Grenzen verurteilt die Gewalt und Drohungen gegen Medienschaffende im Konflikt um die südkaukasische Region Bergkarabach. Bei den Kämpfen zwischen Aserbaidschan und Armenien wurden seit Ende September mindestens sieben Journalisten verletzt. Am Dienstag (10.11.) griffen etwa 40 Menschen die Redaktion von Radio Free Europe / Radio Liberty in der armenischen Hauptstadt Jerewan an. Ihr Protest richtete sich gegen ein von Russland vermitteltes Waffenstillstandsabkommen, das Armenien zu großen Zugeständnissen zwingt.

„Radio Free Europe hat als eines der wenigen Medien vor Ort versucht, ausgewogen über den Krieg um Bergkarabach zu berichten und beide Seiten zu Wort kommen zu lassen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Medienschaffende dürfen nicht zu Sündenböcken für die politische Situation gemacht werden, über die sie berichten. In Bergkarabach wurden mehrmals deutlich gekennzeichnete Reporter angegriffen, das verletzt auf eklatante Weise internationales Recht.“

Am Dienstag hatten am frühen Morgen etwa 40 Menschen versucht, in die Redaktion des armenischen Dienstes von Radio Free Europe / Radio Liberty (Azatutyun) einzudringen. Sie beschimpften dessen Mitarbeiter als „Verräter“ und drohten, Computer und Kameras zu zerstören. Artak Hambardzumian, der Chefproducer des Senders, gab an, er habe unter den Angreifern einen führenden Oppositionspolitiker erkannt. Zuvor hatten sich wütende Protestierende bereits Zugang zu einem Regierungsgebäude verschafft. Sie werfen Premierminister Nikol Paschinjan vor, im Krieg um Bergkarabach aufgegeben zu haben und fordern seinen Rücktritt.

Journalisten teilweise schwer verletzt

Mindestens sieben Journalisten wurden bei den Kämpfen um die auf aserbaidschanischem Territorium gelegene, von Armenien besetzte Region seit Ende September verletzt. Am 9. Oktober gerieten in der Stadt Schuschi/Schuscha drei russische Reporter unter Beschuss, unter ihnen der Blogger Juri Kotenok, der intensivmedizinisch behandelt werden musste. Bei einem Bombenangriff aserbaidschanischer Truppen auf die Stadt Martuni/Chodschawend am 1. Oktober wurden vier Journalisten verletzt. Der französische Reporter Allan Kaval und der Fotograf Rafael Yaghobzadeh, die für die französische Tageszeitung Le Monde arbeiteten, mussten daraufhin operiert werden. Ebenfalls verletzt wurden bei dem Angriff der armenische Fernsehreporter Sewak Wardumjan (24 News) und der Kameramann Aram Grigorjan (Armenia TV). Die Fahrzeuge, in denen sich die Journalisten bewegten, waren klar mit der Aufschrift „Presse“ gekennzeichnet.

Am 27. Oktober griffen aserbaidschanische Truppen nahe Martuni/Chodschawend erneut Reporter an, die deutlich sichtbare Westen mit der Aufschrift „Presse“ trugen. Der freie Journalist Tom Mutch aus Neuseeland und der US-amerikanische Kriegsreporter Chuck Holton, der für den Sender CBS arbeitet, gaben gegenüber RSF an, sie seien gezielt angegriffen worden, nachdem Überwachungsdrohnen sie aufgespürt hätten. In ihrer Nähe hätten sich keinerlei militärische Ziele befunden. Auf der anderen Seite der Frontlinie streifte am gleichen Tag eine Panzerabwehrrakete das Fahrzeug, in dem aserbaidschanische Soldaten ein Kamerateam des Senders Euronews eskortierten.

Internetzensur und Strafen für kritische Medien

Die Berichterstattung über die Situation in Bergkarabach wird durch politische Entscheidungen in Aserbaidschan und Armenien erschwert. In beiden Ländern wurde Ende September der Kriegszustand ausgerufen. In Aserbaidschan verstärkte Präsident Ilcham Alijew, einer der größten Feinde der Pressefreiheit weltweit, die Internetzensur deutlich. Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook sind blockiert, oppositionelle Internetseiten oder unabhängige ausländische Medien nur über VPN zugänglich. Ausländische Reporterinnen und Reporter können sich nicht frei im Land bewegen. Die Namen derer, die von Armenien aus nach Bergkarabach einreisen, veröffentlicht das aserbaidschanische Außenministerium auf einer „schwarzen Liste“. Auf ihr stehen inzwischen etwa 130 Medienschaffende, darunter auch etliche, die für deutschsprachige Medien arbeiten.

In Armenien verbietet ein Dekret vom 8. Oktober, kritische Informationen über die Regierung sowie staatliche Beamtinnen und Beamte zu veröffentlichen. Bei Zuwiderhandlung drohen Medien hohe Bußgelder, Geschäftskonten können eingefroren und Onlineinhalte gesperrt werden. Am gleichen Tag entzog das armenische Außenministerium dem russischen Journalisten Ilja Asar die Akkreditierung. Der Korrespondent der kremlkritischen Zeitung Nowaja Gaseta hatte über zivile Opfer des Krieges und angebliche Falschinformationen durch die armenische Seite berichtet.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen Aserbaidschan auf Platz 168 und Armenien auf Platz 61 von 180 Staaten.



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