Russland
08.08.2014
Russische Zensurversuche im Ausland
Reporter ohne Grenzen ist empört, dass die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor eine ukrainische Nachrichtenwebseite zensieren will und sich in diesem Zusammenhang mit der Aufforderung nach Löschung unliebsamer Informationen auch an den Host in Deutschland gewandt hat. Roskomnadsor beanstandet einen Artikel, der die Frage nach einer stärkeren föderalen Eigenständigkeit Sibiriens zum Thema hat.
„Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor versucht einmal mehr, unliebsame Inhalte zu unterdrücken. Es ist unerhört, dass sich Roskomnadsor sogar über internationale Grenzen hinweg mit einem klar formulierten Zensurwunsch an einen deutschen Webseitenhost wendet“, sagt ROG-Vorstandssprecherin Astrid Frohloff in Berlin: „Ausländische Unternehmen dürfen sich nicht zum Werkzeug der russischen Zensurpolitik machen lassen.“
Die Nachrichtenseite www.Glavcom.ua, eines der führenden Onlinenachrichtenportale in der Ukraine, hat am Dienstag einen Artikel veröffentlicht, in dem es um einen für 17. August in Novosibirsk geplanten Marsch „Für eine Föderalisierung Sibiriens“ geht. Der Artikel wirft unter anderem die Frage nach mehr Eigenständigkeit der sibirischen Region auf. Von der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor erhielt glavcom.ua daraufhin einen Brief mit der Aufforderung, die Informationen über den geplanten Marsch von der Seite zu nehmen. Parallel dazu forderte Roskomnadsor auch den deutschen Host von glavcom.ua, das Gunzenhausener Unternehmen Hetzner Online auf, Glavcom zur Entfernung der Informationen zu bewegen. Wie aus einem am 6. August von glavcom veröffentlichten Schreiben hervorgeht, hat eine Mitarbeiterin von Hetzner Online, glavcom in einer E-Mail nicht nur zur entsprechenden Löschung der Informationen aufgefordert, sondern auch mit einer möglichen Sperrung der Seite gedroht, sollte glavcom der Aufforderung nicht innerhalb von 24 Stunden nachkommen.
Als Begründung hieß es, glavcom verstoße gegen Punkt 6 der Hetzner-AGBs. Gemeint ist dabei offenbar Punkt 6.2 der AGBs, in dem es heißt: „Der Kunde verpflichtet sich, keine Inhalte zu veröffentlichen, welche Dritte in ihren Rechten verletzen oder sonst gegen geltendes Recht verstoßen". Hetzner Online hat auf bislang nicht auf eine Anfrage von Reporter ohne Grenzen reagiert.
Nach Meinung von ROG liegt kein Verstoß gegen die AGBs vor. Bei dem beanstandeten Artikel handelt es sich um einen kurzen Beitrag, der unter Berufung auf eine dritte Quelle einen Fakt meldet, wie er von zahlreichen internationalen Nachrichtenseiten übernommen wurde. Ein Gesetzesverstoß gegen in Deutschland geltende Gesetze ist nicht erkennbar, und auch in Russland entspricht der Beitrag den herrschenden Gesetzen – er ruft nicht zur Unterstützung separatistischer Bestrebungen mit Waffengewalt oder dergleichen auf.
Russland will aber offenbar jede Berichterstattung zu dem Thema unterdrücken. Auch eine Reihe anderer Medien hatten über den Marsch und die politischen Hintergründe berichtet. Insgesamt ist bisher von 15 in- und ausländischen Webseiten bekannt, dass sie von Roskomnadsor daraufhin aufgefordert worden waren, ihre Artikel zu löschen. Darunter auch die BBC, die eine Aufforderung erhalten hat, ein Interview mit einem Unterstützer des Protests von seiner russischsprachigen Seite zu entfernen, denn es enthalte „Aufrufe zu Massenunruhen“ und „extremistischen Handlungen“. Sollte der Artikel nicht entfernt werden, müsse die BBC damit rechnen, dass ihre gesamte, russischsprachige Seite in Russland blockiert werde.
Die meisten Medien sind der Aufforderung der russischen Zensurbehörde nachgekommen, ihre Artikel zu entfernen. Derzeit sind Berichte über den Marsch nur noch auf vier der ursprünglich 15 Seiten verfügbar.
Reporter ohne Grenzen wird die betreffenden Veröffentlichungen der BBC und des seit März in Russland blockierten Nachrichtenportals grani.ru auf seiner Seite wefightcensorship.org spiegeln.
Die 2012 von ROG gestartete Anti-Zensur-Plattform We Fight Censorship zielt darauf, die Zensurversuche repressiver Regime in aller Welt zu unterlaufen. Ob Videos über die tödliche Explosion in einem turkmenischen Waffenlager oder Polizeigewalt in Belarus, ob eine unliebsame historische Rede des iranischen Revolutionsführers oder eine verbotene Zeitung in Kuba – auf We Fight Censorship steht, was autoritäre Machthaber lieber verschwiegen hätten.
Dazu macht ROG in leicht kopierbarer Form Artikel und Videos zugänglich, die in bestimmten Ländern nicht in den Medien auftauchen oder für die ihre Urheber verfolgt werden. Internetnutzer in aller Welt werden ausdrücklich ermutigt, die Seite zu spiegeln, damit möglichst viele Kopien der zensierten Inhalte in Umlauf kommen. Damit setzt ROG auf den sogenannten Streisand-Effekt: Je stärker Zensoren versuchen, bestimmte Informationen zu unterdrücken, desto mehr verbreiten sie sich – vor allem im Internet. Nutzer können mit einem Internetformular selbst Inhalte für We Fight Censorship einreichen. Vor der Veröffentlichung prüft ROG die Inhalte und erklärt den Zusammenhang, in dem sie veröffentlicht und zensiert wurden.
Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf Platz 148 von 180 Ländern.
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