Deutschland 02.06.2019

Schein-Dementi und Nebelkerzen von Seehofer

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) © Michael Kappeler / dpa

Bundesinnenminister Horst Seehofer und sein Ministerium versuchen offensichtlich, mit Schein-Dementis die Debatte über ihren Angriff auf das Redaktionsgeheimnis zu beenden. Reporter ohne Grenzen hatte am Mittwoch von Plänen berichtet, wonach deutsche Geheimdienste künftig die Server von Verlagen, Rundfunksendern und einzelnen Journalistinnen und Journalisten hacken können sollen. Sie könnten dadurch auch die Identität von Quellen erfahren – und damit eine Säule der Pressefreiheit einreißen. Seehofer hatte gegenüber der BILD erklärt, Terrorismus und Extremismus bekämpfen zu wollen, nicht aber Medien oder Journalisten. Diese Versprechungen Seehofers sind rhetorisch geschickt, räumen die zentrale Kritik an der Aufweichung des Redaktionsgeheimnisses jedoch nicht aus.

„Horst Seehofer vergleicht in seinen Statements Äpfel mit Birnen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Seine Abwehrversuche bestätigen geradezu unsere Kritik, anstatt sie zu entkräften.“ Mihr erinnert an die Landesverrat-Affäre, als der damalige Verfassungsschutz-Präsident Maaßen strafrechtliche Ermittlungen gegen das Blog netzpolitik.org eingeleitet hatte und so ihre Arbeit kriminalisierte. „Die öffentliche Empörung in der Landesverrat-Affäre war zu Recht groß. In ähnlichen Fällen könnte der Inlandsgeheimdienst künftig die Arbeit von Medien still und heimlich kriminalisieren, verdeckt ihre Server hacken und nach ihren Informanten suchen – und niemand würde etwas davon mitbekommen.“

Reporter ohne Grenzen hatte am Mittwoch eine ausführliche Analyse veröffentlicht zu einem Referentenentwurf, welcher den deutschen Geheimdiensten weitgehende Befugnisse bei digitalen Ermittlungen geben soll. Versteckt ist darin auch eine Regelung, wonach in Einzelfällen auch die sogenannte Online-Durchsuchung bei Medien möglich sein soll. Dies hatte eine breite Debatte über die Bedeutung des Redaktionsgeheimnisses ausgelöst. Unter anderem Spiegel Online, Die Welt und die Süddeutsche Zeitung forderten das Innenministerium in Kommentaren dazu auf, die Pläne fallen zu lassen.

Beihilfe-Konstrukt ermöglicht digitalen Spähangriff

Seehofer und seine Sprecher sahen sich mehrfach gezwungen, die Pläne zu verteidigen – vermieden jedoch die klare Aussage, dass die Online-Durchsuchung bei Medien nicht kommen solle. So wies ein Ministeriumssprecher zunächst in der Bundespressekonferenz darauf hin, dass die Geheimdienste in der Tat Medien hacken wollten, wenn die Journalisten selbst beschuldigte schwerer Straftaten seien. Was nachvollziehbar klingt, ist jedoch im investigativen Journalismus rechtstechnisch häufig der Fall: So wurden in der Landesverrat-Affäre die Blogger von netzpolitik.org durch die bloße Veröffentlichung geheimer Dokumente der Beihilfe zum Landesverrat beschuldigt. In Zukunft wäre damit also die Online-Durchsuchung explizit erlaubt. Mit der Ausnahme, dass dies nun niemand mehr mitbekäme.

Im Nachgang zur Landesverrat-Affäre kündigte der damalige Justizminister Heiko Maas öffentlich auch an, die Beihilfe beim Landesverrat für Medien abzuschaffen – passiert ist dies jedoch nie. Insofern war das angebliche Dementi in der Bundespressekonferenz am Mittwoch in Wahrheit eine Bestätigung der ROG-Kritik.

Lösen ließe sich dies, wenn sämtliche Beihilfe-Konstruktionen für journalistische Arbeit abgeschafft würden, wenn es um die Entgegennahme und Veröffentlichung brisanter Informationen ginge. Erst dann wäre die Online-Durchsuchung nach den BMI-Plänen tatsächlich nicht mehr anwendbar. Hier wäre auch das SPD-geführte Justizministerium in der Pflicht, den öffentlichen Ankündigungen endlich Taten folgen zu lassen. Insbesondere, nachdem die Sozialdemokraten am Freitag bereits Widerstand gegen Seehofers Pläne angekündigt hatten.

Kontrolle durch Geheimgremium

Horst Seehofer selbst sagte, dass Journalisten bei der Geheimdienstrecht-Novelle weiterhin „besonders“ geschützt würden. Er vermied jedoch die Aussage, dass der Schutz „absolut“ sein solle, wie bei anderen Berufsgruppen. Außerdem würden laut Seehofer lediglich Regelungen aus dem BKA-Gesetz übernommen. Hier vergleicht der Innenminister Äpfel mit Birnen, weil die Strafverfolgung in Deutschland durch das Trennungsgebot von den Geheimdiensten getrennt ist. Regelungen lassen sich daher nicht 1:1 übertragen.

Noch schwerwiegender jedoch: Im BKA-Gesetz steht eindeutig, dass die Online-Durchsuchung von einem Richter genehmigt werden muss. Ein solcher Richtervorbehalt fehlt in Seehofers Novelle. Stattdessen soll die sogenannte G10-Kommission zustimmen: Ein geheim tagendes Gremium, besetzt mit vier ehrenamtlich arbeiten Personen, die sich alle paar Wochen treffen und zuständig sind für die Kontrolle tausender Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland. Ihre Entscheidungen werden nie öffentlich, der Rechtsweg dagegen ist de facto ausgeschlossen. Medien würden in der Praxis nie mitbekommen, wenn ihre Geräte gehackt worden sind. Die Verunsicherung, dass es passieren kann, ist für Medien und ihre Quellen mindestens genauso schlimm wie das Wissen darum, dass es passiert.

Gesetzesbegründung? Nichts als Kosmetik

Die einzige Zusage Seehofers beschränkt sich darauf, in der Gesetzesbegründung Korrekturen vorzunehmen. Die Abstufung der journalistischen Schutzrechte erfolgt jedoch im Gesetz selbst, was bei der Anwendung letztlich entscheidend ist: Anders als die übrigen Berufsgruppen sind Journalistinnen und Journalisten als Geheimnisträger nicht grundsätzlich von der Online-Durchsuchung und anderen digitalen Ermittlungen ausgenommen. Bekundungen in der Gesetzesbegründung wären daher nichts als Kosmetik, auf die sich Medien und ihre Quellen nicht verlassen könnten.

Nur die Spitze des Eisbergs

Unwidersprochen blieb zuletzt auch die Kritik an zahllosen weiteren Befugnissen gegen Medien. Die Online-Durchsuchung ist schließlich nur die Spitze des Eisbergs. Der Referentenentwurf listet eine Reihe weiterer Maßnahmen auf, mit denen Geheimdienste journalistische Arbeit bespitzeln dürften: So sollen sie verschlüsselte Kommunikation zwischen Medienschaffenden und Quellen überwachen dürfen und Buchungsdaten von Recherchereisen mittels Bahn oder Mietwagen abfragen können.

Hinzu kommt, dass das historische Trennungsgebot zwischen Strafverfolgung und Geheimdiensten aufgeweicht werden soll, indem zum Beispiel Polizeien und die Inlandsgeheimdienste dauerhaft gemeinsame Datenbanken aufbauen können. Damit können Strafverfolgerinnen und Strafverfolger Informationen über Medienschaffende erhalten, die eigentlich nur Geheimdienste verwerten dürfen – und umgekehrt.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 13 von 180 Staaten.



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