Palästinensische Gebiete / Israel
25.03.2025
Schon 20 gezielte Angriffe seit Jahresbeginn
Im Westjordanland und in Ostjerusalem nimmt der Druck auf Medienschaffende immer weiter zu. Israelische Streitkräfte haben auf Reporterinnen und Reporter geschossen, sie verhaftet und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt – zuletzt wurde der FAZ-Korrespondent Christian Meier vorübergehend festgenommen. Die regierende Palästinensische Autonomiebehörde hat ihrerseits Mitarbeitende von Al-Dschasira (Al Jazeera) festnehmen lassen. Reporter ohne Grenzen (RSF) befürchtet, dass angesichts der Gewalt bald kein Raum mehr für kritische Berichterstattung bleibt.
„Im Westjordanland stehen Medienschaffende von zwei Seiten unter Druck: Sie werden nicht nur von israelischen Truppen und bewaffneten Siedlern angegriffen. Auch die Palästinensische Autonomiebehörde geht immer wieder gegen kritische Berichterstattung vor“, sagt RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. „Wir dürfen uns an diese Normalisierung der Gewalt nicht gewöhnen. Sie ist umso alarmierender vor dem Hintergrund der erneuten israelischen Angriffe im Gazastreifen: Dort wurden seit 2023 fast 200 Medienschaffende getötet, mindestens 42 von ihnen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit.“
Seit Beginn des Jahres 2025 hat RSF mindestens 20 gezielte Angriffe israelischer Kräfte auf palästinensische Medienschaffende dokumentiert, alle in der Nähe von Lagern für Geflüchtete im Westjordanland. Der freiberufliche Fotojournalist Mohammed Atiq berichtete für die französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) über eine Razzia in einem Flüchtlingslager in Qabatiya, einer Stadt südlich von Dschenin. Insgesamt zehn Medienschaffende seien vor Ort gewesen, so der Journalist. Sie seien eindeutig als Medienvertreter zu erkennen gewesen. Dennoch sei ein Militärfahrzeug auf die Gruppe zugesteuert und habe Gummigeschosse und Tränengasgranaten in ihre Richtung abgefeuert.
Nur Stunden später seien in der Nähe desselben Lagers vier weitere freiberufliche Medienschaffende von israelischen Streitkräften bedroht worden. „Eine Militäreinheit gestattete uns den Zugang zum Gebiet, eine andere befahl uns zu gehen“, sagte der AP-Journalist Nasser Ischtayeh gegenüber RSF. „Als wir gingen, fingen uns etwa 25 Soldaten ab, beschimpften uns, durchsuchten unsere Telefone und beschlagnahmten unsere Festplatten.“ Bis heute habe die Armee sie nicht zurückgegeben.
Die freiberufliche Journalistin Nagham al-Zayet filmte am 29. Januar eine Razzia in Tulkarem. Plötzlich habe ein israelischer Soldat einen Schuss auf einen Stahlpfosten direkt neben ihr abgefeuert, offenbar um sie einzuschüchtern. Durch den Einschlag wurde sie an der Hand verletzt.
Seit Anfang März wurden an der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem mehrere Medienschaffende vorübergehend festgenommen, darunter die Journalistin Latifah Abdellatif. Derzeit befinden sich nach RSF-Informationen 17 Journalistinnen und Journalisten, die seit dem 7. Oktober 2023 im Westjordanland verhaftet wurden, immer noch in israelischer Haft.
Auch palästinensische Sicherheitskräfte gehen gegen die Medien vor. Seit Januar ließ die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nach RSF-Informationen neun Journalistinnen und Journalisten vorladen oder vorübergehend inhaftieren. Alle wurden zu ihren Verbindungen zum katarischen Nachrichtensender Al-Dschasira befragt, den die PA am 1. Januar 2025 verboten hatte. Sie beschuldigte den Sender, „Aufwiegelung“, „Volksverhetzung“ und „Desinformation“ zu betreiben und sich „in die inneren Angelegenheiten Palästinas“ einzumischen. Al-Dschasira ist auch im Visier der israelischen Regierung.
Nach dem 7. Oktober 2023 hat die israelische Armee auf vielen Straßen im Westjordanland Dutzende von Metallbarrieren errichtet. Das erschwere Medienschaffenden, über die gewaltsamen Razzien in den Geflüchtetenlagern zu berichten, sagt Aziza Nofal, RSF-Korrespondentin für das Westjordanland. Die Fahrt von Ramallah ins nördlich gelegene Tulkarem dauert im Normalfall 90 Minuten, nun brauche sie wegen der sieben Militärkontrollpunkte oft mehrere Stunden. Vor Ort aus erster Hand zu berichten, sei nun viel schwerer als zuvor.
FAZ-Korrespondent vorübergehend festgenommen
Am 21. März hat die israelische Polizei Christian Meier, den Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, bei Recherchen im Westjordanland vorübergehend festgenommen. „Siedler hatten ihn und weitere Journalisten sowie eine Gruppe israelischer Menschenrechtsaktivisten auf palästinensischem Privatland an der Weiterfahrt gehindert", schreibt die FAZ. „Die von der Gruppe gerufene israelische Polizei sicherte schließlich die Weiterfahrt, nahm aber Meier und einen der Israelis fest, offenbar auf Drängen der Siedler und ohne Befragung der übrigen Anwesenden.“
Mehr noch: Nach Angaben der Zeitung wurde Meier nach mehreren Stunden nur unter der Auflage entlassen, dass er 15 Tage lang das Westjordanland nicht betritt. Er habe die Vereinbarung unterzeichnet, aber zu Protokoll gegeben, dass er die Auflage für inakzeptabel halte. Aus Sicht von RSF ist das ein inakzeptabler und willkürlicher Eingriff in die Pressefreiheit. Die Organisation fordert das Auswärtige Amt auf, deutlich Stellung gegenüber der israelischen Regierung zu beziehen. Weder Behörden noch Siedlerinnen und Siedler dürfen journalistische Arbeit behindern. Eine erste Reaktion aus dem Amt gegenüber der FAZ macht Mut: „Die erzwungene Unterzeichnung einer Erklärung, wonach Herr Meier sich verpflichtet, das Westjordanland in den nächsten zwei Wochen nicht mehr zu betreten, ist ebenso rechtswidrig wie die Festsetzung selbst.“
Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die Palästinensischen Gebiete auf Platz von 157 von 180.
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