Myanmar 19.03.2021

Schwärzeste Zeit darf sich nicht wiederholen

Vor einem Gittertor, das eine Mauer unterbricht, stehen zwei Wachen. An der Mauer ist ein großes schwarzes Schild angebracht, auf dem steht: "Correctional Department Yangon"
Das Haupttor des berüchtigten Insein-Gefängnisses nahe Yangon. © picture alliance / dpa / Nyein Chan Naing

Angesichts des immer härteren Vorgehens des myanmarischen Militärs gegen Medienschaffende ist Reporter ohne Grenzen (RSF) äußerst besorgt, dass die neue Militärdiktatur im Land zu ähnlich drakonischen Mitteln bei der Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten zurückgreifen könnte, wie es die Junta in den Jahren 1967 bis 2011 tat.

Die meisten der in den vergangenen Wochen festgenommenen Journalistinnen und Journalisten befinden sich im berüchtigten Insein-Gefängnis in einem Vorort der ehemaligen Hauptstadt Yangon. Dort waren auch zur Zeit der Militärdiktatur unliebsame Medienschaffende unhaftiert – unter ihnen der bekannte Journalist Win Tin. Ab 1989 saß er 19 Jahre lang im Insein-Gefängnis, weil er beschuldigt wurde, Kommunist zu sein.  

In Käfige gesperrt und gefoltert

Win Tin zahlte einen hohen Preis dafür, dass er sich sein Leben lang für Demokratie und Pressefreiheit in Myanmar einsetzte. Während seiner 7.000-tägigen Haft wurde er im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Hund behandelt: Er wurde in einem Käfig festgehalten, die normalerweise als Zwinger verwendet werden. Er hatte kein Bettzeug, ihm wurden Nahrung und Schlaf verwehrt. Den größten Teil der Zeit wurde er in Einzelhaft gehalten. Infolge zigfacher Folter verlor er die meisten seiner Zähne, eine verpfuschte Leistenbruchoperation kostete ihn einen Hoden. Zudem erlitt er in Haft zwei Herzinfarkte.

„Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass die letzte Militärjunta in Myanmar Journalistinnen und Journalisten in Hundezwinger sperrte. So weit darf es nie wieder kommen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Seit dem Staatsstreich im Februar mehren sich die Anzeichen, dass die jetzige Militärführung zu den schmutzigen Methoden zurückkehrt, mit denen ihre Vorgänger fast ein halbes Jahrhundert lang Medienschaffende und Medienorganisationen traktiert haben. Die internationale Gemeinschaft muss sich des Ernstes der Lage bewusst werden und Maßnahmen ergreifen, um ein Wiederaufleben des totalitären Anti-Medien-Regimes zu verhindern.“

Rekordzahl an Inhaftierungen

Nach RSF-Erkenntnissen saßen zum Ende der Militärdiktatur im Februar 2011 mindestens 20 Medienschaffende im Insein-Gefängnis ein. Die von den britischen Kolonialherren errichtete Anstalt wurde zu einem Symbol der Unterdrückung durch das Militär, das sie zu einem Ort körperlicher und psychologischer Folter machte. Die Strafen waren drastisch: Im Jahr 2010 wurde der Mönch und Blogger Oakkan Tha wegen „Anti-Wahl-Aktivitäten“ zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er Informationen über die Wahlen an die aus dem Exil in Thailand arbeitende myanmarische Nachrichtenagentur Mon News Agency gesendet hatte.

Ebenfalls 2010 erhielt Nyi Nyi Tun, Herausgeber des Kantarawaddy News Journal, eine 13-jährige Haftstrafe. In dieser Zeit wurde er schwer gefoltert. Er war gemäß Artikel 505 des Strafgesetzbuches für schuldig befunden worden, „Falschmeldungen“ verbreitet zu haben, die „die öffentliche Ordnung stören“ sollten. Elf Jahre später beruft sich nun die neue Junta auf denselben Artikel, um ein Dutzend Medienschaffende, die seit dem 28. Februar festgenommen wurden, in Gewahrsam zu halten – die meisten von ihnen im Insein-Gefängnis.

Neue Junta schließt Medien

Die Junta kündigte am 8. März an, fünf privaten Medien die Lizenzen zu entziehen – eine Einschüchterungstaktik, wie sie schon vor 2011 verwendet wurde. Damals wurden alle privaten Presseorgane im Land vor der Veröffentlichung zensiert. Diejenigen, die es wagten, nicht genehmigte Nachrichten zu veröffentlichen, liefen Gefahr, sofort geschlossen zu werden.

„Ich habe mit einigen jungen Journalistinnen und Journalisten gesprochen, die mich fragten, wie sie sich in der nächsten Zeit verhalten sollen, was für Nachrichten sie unter der Militärjunta schreiben sollen“, erzählte der freiberufliche Reporter Mratt Kyaw Thu gegenüber RSF. „Also sagte ich ihnen: ‚Wenn du unter der Militärregierung Nachrichten schreiben willst, musst du sehr vorsichtig sein. Wenn du das Thema Politik berührst, kannst du jederzeit festgenommen werden.‘“

Strenge Zensur im Voraus führte zu Selbstzensur

Viele Journalistinnen und Journalisten, die schon vor 2011 unter der Junta gearbeitet haben, befürchten eine Rückkehr zu den kafkaesken Praktiken der Vergangenheit. Damals mussten alle Nachrichten mindestens eine Woche im Voraus an das sogenannte Press Scrutiny Board gesendet werden, was bedeutete, dass die Nachrichten zum Zeitpunkt ihrer Genehmigung völlig veraltet waren. 2012 sagte der Herausgeber der Wochenzeitung 7 Day News, Nyein Nyein Naing, gegenüber RSF: „Wir schickten unsere Artikel am Donnerstag an das Büro, wir bekamen sie am Samstag zurück und nahmen die geforderten Änderungen noch am selben Tag vor. Montag schickten wir ihnen die geänderte Version inklusive Last-Minute-Ergänzungen, und sie schickten sie am Abend wieder zurück. Die Zeitung erschien dann schließlich am Mittwoch.“

Diese Praxis war ein sicheres Mittel zur Selbstzensur: Die Aussicht auf potenzielle Kosten, die entstanden, wenn Texte umgeschrieben oder gar Zeitungen neu gedruckt werden mussten, hielt Redaktionen wirksam davon ab, auch nur im Entferntesten sensible Themen anzusprechen.

Drakonische Gesetze

Selbstzensur betraf alle Themenfelder, auch vermeintlich triviale Themen wie Naturkatastrophen oder eine Niederlage der Fußballnationalmannschaft. Dies beruhte auf dem Drucker- und Verlegergesetz von 1962, das es der Zensurbehörde ermöglichte, jegliche Inhalte zu ändern, zu verbieten oder zu zerstören.

1995 wurde ein Memorandum veröffentlicht, in dem die als „sensibel“ geltenden Themen definiert wurden. Das Dokument las sich geradezu absurd: Genannt wurde etwa „alles, was der Ideologie des Staates abträglich ist“, „alles, was der nationalen Einheit schaden könnte“, „jede Idee oder Meinung, die nicht mit der Zeit geht“, „Beschreibungen, die zwar sachlich korrekt, aber ungeeignet sind wegen des Zeitpunktes oder der Umstände des Verfassens“. Jeder, der diese Regeln nicht befolgte, musste mit einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren rechnen.

Der Gesetzesentwurf zur Cybersicherheit, der von der derzeitigen Junta ausgearbeitet wird und von dem RSF letzten Monat eine geleakte Kopie erhalten hat, erinnert auf ebenso frappierende wie beängstigende Weise an dieses Memorandum. Zum Beispiel sieht er vor, jegliche Inhalte im Internet „abzufangen, zurückzuziehen oder zu zerstören oder den entsprechenden Account zu schließen“, die „Hass verursachen oder Einheit, Stabilität und Frieden stören“ können.   

Als die Militärdiktatur im Jahr 2011 aufgelöst wurde, belegte Myanmar auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 169 von 179 Staaten. Seitdem stieg das Land um 30 Plätze auf zuletzt Platz 139 von 180 Staaten. Sollte die Militärführung weiterhin freie Berichterstattung derart hart und willkürlich unterdrücken, wie sie es die vergangenen Wochen getan hat, droht Myanmar auf der Rangliste im kommenden Jahr deutlich abzurutschen.



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