Aserbaidschan
15.04.2025
Sevinj Vagifgizi berichtet in Haft weiter
Es war ihr mittlerweile sechster Prozesstag: Am 8. April sagte Sevinj Vagifgizi vor einem Gericht in Aserbaidschans Hauptstadt Baku aus. Die Chefredakteurin des Investigativmediums Abzas Media wird zusammen mit fünf weiteren Mitarbeitenden des angeblichen Devisenschmuggels und sieben weiterer Wirtschaftsdelikte beschuldigt. Darauf stehen im Falle einer Verurteilung bis zu zwölf Jahre Haft.
„Sevinj Vagifgizi und ihre Kollegen von Abzas Media müssen sofort freigelassen werden“, sagt Anja Osterhaus, RSF-Geschäftsführerin. „Das Verfahren gegen das Investigativmedium ist Teil einer seit anderthalb Jahren anhaltenden Repressionswelle, die jegliche Kritik am Regime ersticken soll.“
Sevinj Vagifgizi wurde im November 2023 nach der Rückkehr von einer Reise in die Türkei am Flughafen von Baku festgenommen. Die 35-Jährige hatte damit gerechnet, da Geschäftsführer Ulvi Hasanli bereits am Vortag festgenommen wurde. Trotzdem entschied sie sich bewusst für die Rückreise. Sämtliche Anschuldigungen weist sie zurück. Grund für die Festnahme seien Recherchen von Abzas Media über die weit verbreitete Korruption unter Aserbaidschans Präsidenten Ilham Alijew, erklärte Sevinj Vagifgizi bei einer Anhörung im März. Die Festnahmen seien ein Zeichen der Intoleranz gegenüber der Wahrheit im Land.
Ein verletzter Arm und gewalttätige Gefängniswärter
Die Journalistin beklagt Willkür und Gewalt in der Untersuchungshaft: Unter anderem froren die Behörden ihre Konten und die ihrer Mutter sowie zwei weiterer Beschuldigter für ein halbes Jahr ein. Nach eigenen Angaben drückte ein Gefängniswärter Sevinj Vagifgizi mit Gewalt gegen eine Wand und verletzte sie am Arm. Die Herausgabe von Hygieneartikeln und Kleidung verweigerte die Gefängnisleitung länger als ein Jahr. Außerdem hatte die Medienschaffende keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.
Auch hinter Gittern setzt Sevinj Vagifgizi ihre journalistische Tätigkeit fort und berichtet in Reportagen über die schlechten Haftumstände und die grobe Behandlung durch das Gefängnispersonal. „In Wahrheit ist dies ein Ort, den wir schon immer mit unseren eigenen Augen sehen wollten“, erklärt sie gegenüber RSF. „Als Journalisten war das unmöglich. Man muss hier leben, um zu verstehen, was vor sich geht, und Häftlinge treffen. Dann spürt man wirklich, wie das System funktioniert.“
Überwacht vom Geheimdienst
Sevinj Vagifgizi begann ihre journalistische Karriere im Jahr 2009. Sie arbeitete für die Zeitungen Bizim Yol und Azadliq und war als Videoreporterin für das in Berlin ansässige Exilmedium Meydan TV tätig. Im Jahr 2022 wechselte sie als Chefredakteurin zu Abzas Media. Sie recherchiert hauptsächlich zu Korruption im Umfeld von Präsident Ilham Alijew und unter hochrangigen Beamten. Zusammen mit Kollegen deckte sie unter anderem die Veruntreuung staatlicher Gelder beim Wiederaufbau der 2023 eroberten armenischen Enklave Berg-Karabach auf.
Aufgrund ihrer Arbeit wurde Sevinj Vagifgizi immer wieder behindert, bedroht und festgenommen. Schon im Jahr 2015 belegte sie das Regime im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Meydan TV mit einem vierjährigen Ausreiseverbot. Im Jahr 2020 schlugen Polizisten die Journalistin bei der Berichterstattung über Proteste gegen das Ergebnis der Parlamentswahlen ins Gesicht und verletzten sie an der Hand. Aufgrund der Schikanen verbrachte Sevinj Vagifgizi im Jahr 2021 vier Monate mit einem Auszeit-Stipendium von RSF in Berlin. Während ihres Aufenthaltes wurde publik, dass sie der aserbaidschanische Geheimdienst mit Hilfe der Überwachungssoftware Pegasus abgehört hatte.
Das Verfahren gegen Sevinj Vagifgizi ist Teil einer seit November 2023 nicht abreißenden Serie von Festnahmen der letzten unabhängigen Medienschaffenden in Aserbaidschan. Gegenwärtig sitzen 25 Journalistinnen und Journalisten hinter Gittern. Das ist der höchste Stand, seit Präsident Ilham Alijew im Jahr 2003 an die Macht kam.
Aserbaidschan steht in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 164 von 180.
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