Iran
25.10.2023
Skandalöses Urteil eines Gewaltregimes
Über ein Jahr nach der Festnahme von Elahe Mohammadi und Nilufar Hamedi hat das Teheraner Revolutionsgericht am Sonntag (22.10.) seine Urteile verkündet: Die beiden Journalistinnen, die wegen ihrer Berichterstattung über den Tod und die Beerdigung von Jina Mahsa Amini in Haft saßen, wurden in allen drei Anklagepunkten für schuldig befunden. Reporter ohne Grenzen (RSF) ruft die internationale Staatengemeinschaft auf, sich konsequent für die Freilassung der beiden Journalistinnen einzusetzen.
Mohammadi wurde wegen des Vorwurfs der „Zusammenarbeit mit dem feindlichen Staat USA“ zu sechs Jahren, wegen „Verschwörung und Zusammenarbeit zur Begehung von Straftaten gegen die nationale Sicherheit“ zu fünf Jahren und wegen „propagandistischer Aktivität gegen das System der Islamischen Republik Iran“ zu einem Jahr Haft verurteilt. Hamedi wurde wegen der gleichen Vorwürfe jeweils zu sieben, fünf und einem Jahr Gefängnis verurteilt. Sie haben die Möglichkeit, innerhalb von 20 Tagen Berufung gegen die Urteile einzulegen. Sollte das Berufungsgericht die Urteile bestätigen, würden von den insgesamt zwölf Jahren Haft für Elahe Mohammadi sechs und von den insgesamt 13 Jahren Haft für Nilufar Hamedi sieben Jahre vollstreckt werden.
Warum Hamedi für das gleiche angebliche Vergehen eine um ein Jahr höhere Strafe bekam, ist nicht ganz klar. Es war jedoch sie, die mit der Veröffentlichung eines Fotos der trauernden Angehörigen von Jina Mahsa Amini deren Schicksal der iranischen und internationalen Öffentlichkeit bekannt machte. Als „ergänzende Strafen“ wurden die beiden Journalistinnen für zwei Jahre von der „Mitgliedschaft in politischen Parteien, Gruppen oder Organisationen und der Tätigkeit im digitalen Raum, den Medien und der Presse“ ausgeschlossen.
„Das Urteil spricht allen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Ein ganzes Jahr haben die Behörden Elahe Mohammadi und Nilufar Hamedi in Untersuchungshaft leiden lassen, nur um dann ein extrem hartes Urteil zu sprechen – an Hamedis 31. Geburtstag. Das zeigt einmal mehr, wie rachsüchtig und erbarmungslos das Regime in Teheran ist. Wir werden weiter mit all unserer Kraft dafür kämpfen, dass die beiden mutigen Journalistinnen freikommen, wie auch alle anderen inhaftierten Medienschaffenden. Jeder Tag ist einer zu viel – für jede und jeden von ihnen.“
Erst nach acht Monaten in Untersuchungshaft, im Juni 2023, durften sich die beiden Journalistinnen erstmals mit ihren Anwälten treffen, weniger als 24 Stunden vor dem Beginn der Gerichtsverhandlung gegen Elahe Mohammadi. Der Prozess der beiden fand unter Ausschluss der Presse und der Öffentlichkeit statt. Nicht einmal die Anwälte der beiden durften vor dem Richter Abolghasem Salavati, der für die Härte seiner Urteile bekannt ist, sprechen. Medienschaffende im Iran und weltweit hatten wiederholt gegen die Inhaftierung von Mohammadi und Hamedi protestiert.
Nilufar Hamedi arbeitete für die bekannte reformistische Tageszeitung Shargh. Am letzten Prozesstag am 16. Juli sagte sie: „Ich bin stolz auf meine Arbeit als Journalistin.“ Elahe Mohammadi, die für die lange Zeit verbotene Tageszeitung Ham Mihan zur Berichterstattung über die Beerdigung von Jina Mahsa Amini in deren Heimatstadt Saqqez gereist war, sagte bei ihrem letzten Wort vor dem Revolutionsgericht, sie sei „stolz darauf, Seite an Seite mit dem Volk geblieben zu sein“. Vor einigen Tagen hat die Zeitung Shargh eine offene Petition von 200 Medienschaffenden und Intellektuellen veröffentlicht, in der die Freilassung der beiden Journalistinnen gefordert wird. Seit Beginn der Protestwelle nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini in den Händen der Sittenpolizei sind Dutzende iranische Medienschaffenden inhaftiert worden, manche von ihnen mehrfach. Viele von ihnen befinden sich im berüchtigten Evin-Gefängnis am Stadtrand von Teheran.
NIlufar Hamedi und Elahe Mohammadi kennen sich seit 2018. Gemeinsam wurden sie vom britischen Time Magazine zu den einflussreichsten Frauen des Jahres 2023 ernannt und gewannen zusammen mit ihrer Kollegin Narges Mohammadi, mit der Elahe nicht verwandt ist, den UNESCO/Guillermo Cano World Press Freedom Prize. Narges Mohammadi ist eine bekannte Journalistin und Aktivistin für Pressefreiheit, die wegen des Vorwurfs, sie verbreite staatsfeindliche Propaganda, seit 2010 immer wieder für lange Zeit inhaftiert wurde. Auch derzeit sitzt sie im Gefängnis. Im vergangenen Jahr hat Reporter ohne Grenzen sie mit dem RSF Press Freedom Award ausgezeichnet. Im Oktober 2023 erhielt sie den Friedensnobelpreis.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht der Iran seit vielen Jahren auf einem der hintersten Plätze, derzeit auf Rang 177. Seit der Islamischen Revolution von 1979 gehört der Iran zu den repressivsten Ländern weltweit für Medienschaffende. Hunderte wurden dort seitdem strafverfolgt, inhaftiert oder hingerichtet. Der Iran ist auch das bislang letzte Land, das ein Todesurteil für einen Journalisten tatsächlich vollstreckt hat.
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