Palästinensische Gebiete / Israel / Libanon 25.03.2025

So setzt sich RSF in Gaza und Nahost ein

Mehrere Männer sind von vorne zu sehen, sie trauern, einer trägt eine Presseweste.
Kollegen des getöteten Journalisten Hossam Shabat bei dessen Beerdigung am 24. März 2025 in Beit Hanun. © picture alliance / Anadolu / Ahmed Al-Arini

Über den Krieg zwischen Israel und der Hamas und seine Auswirkungen in der ganzen Region zu berichten, ist vor allem für palästinensische Journalistinnen und Journalisten lebensgefährlich. Kein anderer Krieg im 21. Jahrhundert hat so gefährlich begonnen wie dieser. Reporter ohne Grenzen (RSF) beklagt allein in Gaza fast 200 getötete Medienschaffende. Die meisten von ihnen kamen bei Angriffen des israelischen Militärs  ums Leben. 43 von ihnen wurden im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet, einige gezielt (Stand dieser Zahlen: 26. März 2025).

Wofür setzt sich RSF in dieser Situation ein, was kann die Organisation für die Sicherheit der Medienschaffenden tun? Hier sind zentrale Punkte zusammengetragen. Weiterführende Fragen und Antworten gibt es auch in diesem Beitrag. Aktuelle Entwicklungen begleiten wir zudem auf Social Media (unser Account auf Bluesky ist auch ohne eigenes Konto einsehbar).

Wofür setzt sich Reporter ohne Grenzen ein?

RSF fordert

  • den Schutz aller Journalistinnen und Journalisten, etwa durch die Einrichtung von Schutzzonen, in denen sie materielle, medizinische und psychologische Hilfe bekommen, einhergehend mit der Verpflichtung seitens der Kriegsparteien, diese Zonen nicht zu beschießen oder zu bombardieren;
  • dass der Internationale Strafgerichtshof die RSF-Strafanzeigen zu Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten in den Palästinensischen Gebieten und Israel berücksichtigt und dazu ermittelt;
  • dass die israelischen Behörden internationalen Medienschaffenden den Zugang in den Gazastreifen ermöglichen sowie verletzten oder gefährdeten Medienschaffenden die Ausreise gestattet;
  • dass die israelischen Behörden die Einfuhr von schusssicheren Westen und Helmen, Erste-Hilfe-Kits sowie technischer Unterstützung in Form von Akkus oder Stromgeneratoren erlauben;
  • ein Ende der Straflosigkeit. Die Verantwortlichen für diese Verbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Warum ist dieser Krieg für Medienschaffende so gefährlich?

Verantwortlich für die vielen getöteten Medienschaffenden ist vor allem die Art der israelischen Kriegsführung. RSF wirft der israelischen Seite Kriegsverbrechen wie die gezielte Tötung von Berichterstattenden vor. Auch der Hamas wirft RSF Kriegsverbrechen vor. Das israelische Militär spricht zwar von gezielten Schlägen gegen die Hamas, gegen den Islamischen Dschihad und deren Infrastruktur, allerdings werden bei den Bombardierungen sehr viele Zivilistinnen und Zivilisten, darunter viele Medienschaffende, getötet. RSF und anderen Organisationen liegen zudem belastbare Informationen vor, die nahelegen, dass das israelische Militär Journalistinnen und Journalisten gezielt ins Visier nimmt. In mehreren Fällen gibt das Militär dies auch offen zu. Für internationale Berichterstattende bleibt der Gazastreifen abgeriegelt. Gerade mit Blick auf die Situation in Nord-Gaza vor der Waffenruhe, die ab dem 19. Januar 2025 galt und am 18. März 2025 vom israelischen Militär gebrochen wurde, entsteht der Eindruck, die israelische Kriegsführung zielt auf ein systematisches Unterdrücken der Berichterstattung ab. 

Wie viele Journalistinnen und Reporter sind getötet worden?

Seit dem Massaker der Hamas und dem Beginn der israelischen Bombardierungen sind nach RSF-Recherchen insgesamt fast 200 Medienschaffende im Gazastreifen, zehn im Libanon und fünf in Israel getötet worden. In 50 Fällen konnte RSF mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass Medienschaffende im Zusammenhang mit ihrer journalistischen Arbeit getötet wurden – 43 im Gazastreifen, fünf im Libanon und zwei in Israel. Diese Getöteten führt RSF gemäß dem Mandat der Organisation im RSF-Barometer der Pressefreiheit (Stand der Zahlen: 26. März 2025). RSF veröffentlicht Informationen, sobald sie verifiziert werden konnten. Angesichts der weiter katastrophalen Lage vor Ort, mit Einflussnahmen und Propaganda verschiedener Art sowie häufigen Ausfällen der Internet- und Telefonverbindungen, ist das langwieriger als sonst. Zuletzt tötete die israelische Armee am 24. März 2025 mit einem gezielten Luftschlag den Al-Dschasira-Journalisten Hossam Shabat. Wie viele Journalistinnen und Reporter verletzt oder verwundet wurden, erhebt RSF nicht, dokumentiert aber Berichte dazu. So wurde etwa die langjährige RSF-Korrespondentin in Gaza, Ola al-Zaanoun, am Bein verletzt, als sie im Süden des Gazastreifens vor einem israelischen Luftangriff floh. Mittlerweile hat sie das Gebiet verlassen.

Was tut RSF für die Sicherheit der Medienschaffenden?

Hilfe vor Ort in Gaza: Mit unserer Partnerorganisation Arab Reporters for Investigative Journalism (ARIJ) haben wir Journalistinnen und Journalisten im Gazastreifen mit Computern, Telefonen, Akkus, elektronischen Sim-Karten und Schutzausrüstung versorgt. Weil Helme und Schutzwesten als Dual-Use-Güter gelten, ist die Einfuhr jedoch schwierig. Gemeinsam mit ARIJ haben wir Nothilfe in Höhe von über 100.000 Euro bereitgestellt und konnten damit einer mittleren dreistelligen Zahl von Medienschaffenden helfen. Wir haben außerdem Zelte mit Arbeitsplätzen aufstellen lassen, eines davon nur für Frauen. Die Zelte sind mit Strom, Internet, Solarbatterien und Arbeitsmöbeln ausgestattet und bieten jeweils Platz für etwa 20 Menschen. Zudem haben wir für geflohene Journalistinnen und Journalisten lebenswichtige Dinge, etwa Lebensmittel, Winterkleidung, Unterwäsche, Matratzen oder Decken organisiert. In Beirut haben wir mit dem "Press Freedom Centre" eine Anlaufstelle für Medienschaffende eingerichtet, die über den Krieg berichten wollen.

Solidarität: RSF hat immer wieder auf seinen Kanälen auf das Schicksal der Medienschaffenden aufmerksam gemacht. Um den getöteten Journalistinnen und Journalisten zu gedenken und den Schutz palästinensischer Medienschaffender zu fordern, haben wir in mehreren Ländern Proteste und Aktionen veranstaltet. Unter anderem haben wir uns mit Journalisten wie Wael al-Dahdouh und weiteren palästinensische Medienschaffende getroffen, ihre Berichte sind erschütternd. Zum Vorwurf der Hamas-Nähe: In Gaza hat die Hamas die Arbeit unabhängiger und kritischer Medien schon in der Vergangenheit immer wieder stark eingeschränkt, auch gewaltsam, und gezielt Propaganda verbreitet. RSF kritisiert dieses Vorgehen seit Jahren. Dennoch gab es zumindest bis zum 7. Oktober 2023 eine durchaus lebhafte Zivilgesellschaft. Pauschale Urteile, sämtliche Medien stünden unter Kontrolle der Hamas oder arbeiteten sogar mit ihr zusammen, hält RSF für unzutreffend und für die konkret Genannten lebensgefährlich. RSF fordert die israelische Seite auf, Versuche, von ihnen getötete palästinensische Medienschaffende nachträglich in die Nähe der Hamas zu rücken, zu unterlassen oder zwingend mit glaubwürdigen Informationen zu belegen.

Dokumentation: RSF trägt über seine Gaza-Korrespondentin und ein belastbares Netzwerk aus Medienschaffenden und lokalen Partnerorganisationen Informationen zu jedem einzelnen Fall zusammen, so detailliert es angesichts der Lage geht. Diese Dokumentation ist Grundlage der Arbeit der Organisation zum Krieg in Nahost und dient unter anderem als Datenbasis für die Strafanzeigen vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH).

IStGH-Strafanzeigen: RSF hat am 31. Oktober 2023 beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Strafanzeige eingereicht, damit dieser mögliche Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende im Gazastreifen und Israel untersucht. Die RSF-Strafanzeige nennt acht palästinensische Journalisten, die bei der Bombardierung ziviler Gebiete in Gaza durch Israel getötet wurden, sowie einen israelischen Journalisten, der am 7. Oktober von der Hamas ermordet wurde. Nach Ansicht von RSF stellen diese Angriffe Kriegsverbrechen dar und rechtfertigen eine Untersuchung durch den IStGH. In der Strafanzeige wird auch die vorsätzliche vollständige oder teilweise Zerstörung der Gebäude von mehr als 50 Medieneinrichtungen im Gazastreifen aufgeführt. 

Eine zweite Strafanzeige reichte RSF am 22. Dezember 2023 ein. Sie betrifft den Tod von sieben palästinensischen Journalisten, die zwischen 22. Oktober und 15. Dezember im Gazastreifen getötet wurden. Nach den von RSF zusammengetragenen Informationen haben die israelischen Streitkräfte sie möglicherweise bewusst wegen ihrer journalistischen Tätigkeit angegriffen – das wäre eine vorsätzliche Tötung von Zivilisten. In einer dritten Strafanzeige vor dem IStGH forderte RSF den Gerichtshof am 27. Mai 2024 auf, Verbrechen gegen mindestens neun palästinensische Medienschaffende zwischen dem 15. Dezember 2023 und 20. Mai 2024 zu untersuchen. In einer vierten Strafanzeige vor dem IStGH dokumentiert RSF die Schicksale weiterer neun palästinensischer Journalisten; acht von ihnen wurden durch das israelische Militär getötet, einer verletzt. Diese Strafanzeige hat RSF am 24. September 2024 eingereicht.

Das Humanitäre Völkerrecht legt Regeln für bewaffnete Konflikte fest. Kriegsverbrechen sind schwere Verletzungen des Humanitären Völkerrechts, insbesondere der Genfer Konventionen; definiert sind sie in §§ 8 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB), bzw. in Art. 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut). Journalistinnen und Journalisten sind nach dem Humanitären Völkerrecht zwar in erster Linie Zivilistinnen und Zivilisten, sind aber wegen der Nähe zum Geschehen – und weil manchmal ganz konkret ihre Arbeit verhindert werden soll – besonders gefährdet. Sollte der IStGH zu Angriffen gegen Medienschaffende ermitteln, wäre das ein erster Schritt hin zu einem auch rechtlich besseren Schutz von Medienschaffenden in bewaffneten Konflikten. Am 17. November 2023 bestätigte der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, er habe zur Situation im Gazastreifen, im Westjordanland und in Ostjerusalem eine Untersuchung eingeleitet, die die Ereignisse nach dem 7. Oktober miteinbezieht. Am 5. Januar 2024 schrieb Khan in einer Mitteilung an RSF, Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten seien Teil der Ermittlungen. RSF fordert den Chefankläger weiter auf, den Tod aller Journalistinnen und Reporter zu untersuchen, die seit dem 7. Oktober 2023 im Gazastreifen getötet wurden.

Presseschau

Wir äußern uns regelmäßig in deutschsprachigen Medien zu aktuellen Themen und Debatten rund um den Schutz von Journalistinnen und Journalisten in Gaza und der Region. Hier eine Auswahl von Beiträgen in chronologischer Reihenfolge:



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