Letzte Generation
28.11.2023
Telefonüberwachung verletzte Pressefreiheit
Das Amtsgericht München sieht keine unrechtmäßige Verletzung der Pressefreiheit durch die Überwachung des Pressetelefons der Letzten Generation. In Reaktion auf die Anträge mehrerer Journalisten auf Überprüfung, ob es rechtmäßig war, ihre Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Klimaschutzgruppe über diesen Anschluss mitzuschneiden, teilte das Gericht in einer Entscheidung vom 14. November 2023 mit, dass es die angeordnete Telekommunikationsüberwachung nach wie vor für rechtmäßig halte. Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert diese Entscheidung. Denn in den Akten findet sich kein Hinweis, dass die Ermittlungsbehörden auch nur in Erwägung gezogen hätten, ob das Mithören journalistischer Gespräche die Grundrechte, vor allem die Pressefreiheit und das Fernmeldegeheimnis, verletzt und ob die Maßnahme deshalb rechtswidrig war. Die betroffenen Journalisten haben am heutigen Dienstag (28.11.) Beschwerde eingelegt. Koordiniert wird das Vorgehen von RSF und der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).
„Dass die Kommunikation von zahlreichen Medienschaffenden mit der Letzten Generation von den Ermittlungsbehörden überwacht wurde, ist schlimm genug. Dass das Gericht nach nochmaliger Prüfung weiter darauf beharrt, dass die Maßnahmen rechtmäßig waren, kann so nicht stehen gelassen werden“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wir unterstützen deshalb die betroffenen Journalisten bei ihrer Beschwerde – auch um ein Zeichen zu setzen, dass sich die massenhafte Überwachung von Journalistengesprächen sich nicht wiederholen darf.“
Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung zwischen November 2022 und April 2023 einen Berliner Festnetzanschluss abgehört, der von der Letzten Generation auf deren Webseite als „Pressetelefon“ genannt und entsprechend für Medienanfragen genutzt wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft und das anordnende Amtsgericht München wussten daher, dass in erster Linie Gespräche mit Journalistinnen und Journalisten überwacht würden. Vertreten durch die Rechtsanwältin Nicola Bier hatten nach Bekanntwerden des Sachverhalts am 7. Juli 2023 die Journalisten Jörg Poppendieck, Ronen Steinke und Henrik Rampe einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung gestellt, ob dieses gezielte Überwachen journalistischer Gespräche mit der Letzten Generation die Pressefreiheit verletzte.
Akten belegen: Telefonate von Medienschaffenden wurden mitgeschnitten
Die auf den Antrag hin gewährte Akteneinsicht hat ergeben, dass die Münchner Ermittlungsbehörden tatsächlich Telefongespräche zwischen Medienschaffenden sowie und Aktivistinnen und Aktivisten mitgeschnitten und zumindest teilweise ausgewertet haben. Von den drei Antragstellern wurde ein Gespräch gesichert aufgezeichnet, und zwar von Jörg Poppendieck. Der Reporter des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) hat im April 2023 über das Pressetelefon ein Gespräch mit einem Vertreter der Letzten Generation geführt. Der Anruf wurde den Akten zufolge komplett über eine Dauer von knapp eineinhalb Minuten aufgezeichnet, obwohl Poppendieck sich bereits nach wenigen Sekunden namentlich als Pressevertreter zu erkennen gab.
Jan Heidtmann, Korrespondent für Berlin und Brandenburg der Süddeutschen Zeitung, hat im November 2022 über das Pressetelefon ein Gespräch mit einer Vertreterin der Letzten Generation geführt. Auch dieser etwa fünfminütige Anruf wurde komplett aufgezeichnet, obwohl es sich eindeutig um ein Pressegespräch handelte, in dem es unter anderem um die Vermittlung eines Interviews ging. Auch Jan Heidtmann stellte deshalb, ebenfalls vertreten von Rechtsanwältin Nicola Bier, einen Überprüfungsantrag beim Amtsgericht München, der ebenfalls abgelehnt wurde.
„Mittlerweile habe ich mir den Mitschnitt eines meiner Recherchetelefonate mit einem Vertreter der ‚Letzten Generation‘ anhören können. Ich war einen Moment geschockt, weil ich das nicht für möglich gehalten hatte. Es ist so offensichtlich, dass die Generalstaatsanwaltschaft und das Amtsgericht die Pressefreiheit schlicht ignoriert haben“, sagte Jörg Poppendieck.
„Es war nicht zu erwarten, dass das Amtsgericht München seine eigene Entscheidung revidieren würde. Dass der Richter das Abhören von Pressetelefonen legitimiert hat, bleibt trotzdem falsch. Deshalb gehen wir nun in die nächste Instanz“, sagte Jan Heidtmann.
In den Beschlüssen des Amtsgerichts, die die Überwachung erst möglich machten, werden die Pressefreiheit und andere Grundrechte nicht einmal erwähnt. Ebenso wenig scheint die Generalstaatsanwaltschaft München vor und während der Überwachung, die von November 2022 bis April 2023 lief, Vorgaben zum Grundrechtsschutz gemacht zu haben oder überprüft zu haben, ob die Grundrechte bei der Überwachung gewahrt wurden. Zumindest findet sich auch dazu nichts in den Akten. Erst Ende Juni 2023, kurz nachdem die Überwachung des Pressetelefons bekannt geworden war, beschrieb die Generalstaatsanwaltschaft rückblickend, nach welchen Kriterien sie journalistische Gespräche in Abstimmung mit der Polizei behandelt habe. In der nun ergangenen Entscheidung bestätigt das Amtsgerichts seine Rechtsauffassung, die den beiden Beschlüssen zugrunde lag.
Grundrechte mit keinem Wort erwähnt
Dass eindeutig die Pressefreiheit und das Telekommunikationsgeheimnis von Jörg Poppendieck, Jan Heidtmann und weiteren Journalistinnen und Journalisten verletzt wurden, ergibt sich allerdings schon daraus, dass im gerichtlichen Anordnungsbeschluss diese Grundrechte mit keinem Wort erwähnt werden. Auch die Polizeibeamten, die die Gespräche der Presse mit der Letzten Generation aufzeichneten, sahen hierin keinen problematischen Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis und die Pressefreiheit. Der grundrechtliche Schutz journalistischer Kommunikation wurde also weder bei der Anordnung noch bei der Durchführung der Überwachung beachtet.
Stattdessen wurde die Pressearbeit der Letzten Generation sogar als Hinweis darauf herangezogen, wie gut die Gruppe organisiert sei. So sollte der Vorwurf begründet werden, es handle sich um eine kriminelle Vereinigung – ein Straftatbestand, der sonst bei organisierter Kriminalität oder Terrororganisationen Anwendung findet. Die Ermittlungen wegen dieses schwer nachvollziehbaren Vorwurfs sind deswegen problematisch, weil nur im Fall einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit Ermittlungsmaßnahmen wie die Telekommunikationsüberwachung angewandt werden können. Dieser besonders schwere Grundrechtseingriff kann nur zur Ermittlung schwerer Straftaten gerechtfertigt werden.
Erkenntnisse gering, aber Grundrechte vieler betroffen
Aber auch wenn man eine schwere Straftat annimmt, kann eine Rechtfertigung immer nur das Ergebnis einer richterlichen Abwägung sein, und diese Abwägung fehlt sowohl im ersten Anordnungsbeschluss als auch im Verlängerungsbeschluss. Schon im November 2022 war erkennbar, dass bei einem explizit so bezeichneten „Pressetelefon“ zumindest auch journalistische Gespräche überwacht werden würden. Beim Verlängerungsbeschluss im Januar 2023 lagen dem Gericht die Ergebnisse der ersten Überwachungsmonate bereits vor und es war klar, dass hauptsächlich Presseanfragen eingegangen waren. Ebenso klar war, dass die Ermittelnden durch die Überwachung der Pressegespräche kaum Informationen erlangt hatten, die nicht ohnehin öffentlich geworden waren. Der Nutzen für die Ermittlungen war also gering, die Grundrechte vieler Medienschaffender hingegen offensichtlich betroffen. Trotzdem ordnete das Gericht eine Verlängerung der Überwachung um drei Monate an. Auch in seiner jetzigen Entscheidung beharrt das Gericht darauf, dass eine erkennbare Grundrechtsabwägung nicht nötig und der Eingriff verhältnismäßig war.
Jörg Poppendieck und Jan Heidtmann haben gegen die Entscheidung am heutigen Dienstag (28.11.) Beschwerde eingelegt. RSF steht auch im weiteren Verfahren an ihrer Seite.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 21 von 180 Ländern.
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