Syrien
09.01.2025
Historische Chance für die Pressefreiheit
Das Jahr begann vielversprechend, nun müssen Taten folgen: Am 1. Januar 2025 kündigte der neue syrische Informationsminister Mohamed al-Omar an, sich für eine freie, objektive und professionelle Medienlandschaft einzusetzen. Reporter ohne Grenzen (RSF) begrüßt dieses Versprechen und erinnert die neuen Machthaber zugleich an ihre Verantwortung für diejenigen Medienschaffenden, die seit Beginn der Revolution im Jahr 2011 getötet, inhaftiert oder entführt wurden. Als erster Schritt müssen die 20 Medienschaffenden freigelassen werden, die derzeit noch von Rebellengruppen festgehalten werden, darunter auch von der regierenden Hajat Tahrir al-Scham (HTS).
„Die Stellungnahme des neuen Informationsministers zur Pressefreiheit ist ermutigend, noch sehen wir aber keine konkreten Schritte in Richtung dieser Ziele“, sagte RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. „Der Sturz des Diktators Baschar al-Assad bietet eine historische Chance, die Freiheit und Sicherheit von Medienschaffenden sowie das Recht des syrischen Volkes auf verlässliche Informationen zu garantieren.“
Deshalb gibt RSF der neuen Übergangsregierung sieben konkrete Empfehlungen:
- Gerechtigkeit für die vom Assad-Regime schikanierten Medienschaffenden und Aufklärung über ihr Schicksal: Von 25 Journalistinnen und Journalisten, die vom Assad-Regime inhaftiert oder verschleppt wurden, fehlt derzeit noch jede Spur. Weitere 181 Medienschaffende wurden seit 2011 von Schergen des Regimes ermordet. Die Täter müssen nach internationalen Standards vor Gericht gestellt werden.
- Gerechtigkeit für Medienschaffende, die Opfer von Rebellengruppen wurden: 20 von ihnen sitzen noch immer in Haft, auch in Gefängnissen der nun regierenden HTS. Sie müssen freikommen. 19 weitere Journalistinnen und Journalisten wurden seit 2011 mutmaßlich von Rebellen getötet, sieben von ihnen mutmaßlich durch die HTS. Alle Parteien, die an diesen Verbrechen beteiligt waren, gehören vor Gericht.
- Gerechtigkeit für vermisste Medienschaffende: Das Schicksal der 2013 vom sogenannten Islamischen Staat (IS) entführten 20 Medienschaffenden muss aufgeklärt werden. Der IS ist zudem für die Morde an 22 Medienschaffenden verantwortlich. 53 weitere Mordfälle sind derzeit ungeklärt. Sechs Medienschaffende wurden mutmaßlich von der türkischen Armee getötet, einer von den kurdisch geführten Syrian Democratic Forces (DSF). Von einem weiteren Reporter fehlt jede Spur, seit er im Jahr 2014 in Rojava, der autonomen kurdischen Zone im Nordosten Syriens, entführt wurde. In all diesen Fällen muss die Übergangsregierung zu einer Aufklärung beitragen und mit den entsprechenden Stellen zusammenarbeiten. Die Täter gehören vor ein Gericht mit rechtsstaatlichen Standards.
- Schutz und Unterstützung für Medienschaffende: Einheimische wie internationale Journalistinnen und Journalisten müssen ihre Arbeit sicher und geschützt ausüben können.
- Beseitigung aller Hindernisse für den Journalismus: Alle Maßnahmen und Praktiken staatlicher und nichtstaatlicher Gruppen, die die Arbeit von Medienschaffenden und Redaktionen behindern, müssen abgeschafft werden. Das betrifft insbesondere Zensur und Überwachung von Medienschaffenden und ihren Quellen.
- Gewährleistung einer freien, vielfältigen Medienlandschaft: Medienschaffende und Redaktionen müssen gemäß internationalen Standards und Branchennormen vor Einschüchterung, Diskriminierung und jeglicher Form von Druck geschützt werden, unabhängig von ihrer redaktionellen Haltung, Meinung, ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität, Religion, Geschlecht oder Sexualität.
- Gesetzliche Garantien für Pressefreiheit und das Recht auf Information: Die Pressefreiheit und das Recht auf Information müssen in der Verfassung verankert werden, in Übereinstimmung mit internationalen Standards und den Empfehlungen und Forderungen lokaler Medien- und Pressefreiheitsgruppen wie dem Syrian Center for Media and Freedom of Expression (SCM) – dem Partner von Reporter ohne Grenzen in Syrien.
Seit der Revolution im Jahr 2011 wurden mindestens 283 Journalistinnen und Reporter im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet, 181 davon nach RSF-Informationen durch das Regime von Baschar al-Assad und seine Verbündeten. Der abgesetzte Präsident und jede andere Person, die für diese Verbrechen verantwortlich ist, muss zur Rechenschaft gezogen werden.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Syrien auf Rang 179, dem vorletzten Platz.
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