Griechenland 19.11.2024

Überwachung: Skandalentscheidung der Justiz

Wenn die unrechtmäßige Überwachung von Medienschaffenden straffrei bleibt ist dies ein Machtmissbrauch, der Straflosigkeit normalisiert. In Griechenland ist dies nun der Fall, wie RSF exklusiv berichtet. © picture alliance | CHROMORANGE / Bilderbox
Wenn die unrechtmäßige Überwachung von Medienschaffenden straffrei bleibt ist dies ein Machtmissbrauch, der Straflosigkeit normalisiert. © picture alliance | CHROMORANGE / Bilderbox

Seit drei Jahren ist bekannt, dass der griechische Geheimdienst den Journalisten Stavros Malichoudis unrechtmäßig überwacht hat. Nun enthüllt Reporter ohne Grenzen (RSF) exklusiv die jüngste gerichtliche Entscheidung, welche die Ermittlungen behindert: Am 24. Oktober lehnte der stellvertretende Staatsanwalt des griechischen Obersten Gerichtshofs den Antrag des Journalisten Stavros Malichoudis auf Einsicht in die Ermittlungsakte über seine Überwachung durch den griechischen Geheimdienst (EYP) endgültig ab. Die Entscheidung enthält keine inhaltliche Begründung, sondern stellt lediglich fest, dass Stavros Malichoudis „kein direktes Opfer“ war. Der Journalist hat keine Möglichkeit, dies anzufechten – obwohl mit der Überwachung seine Kontakte und Kommunikation ausgespäht wurden. 

RSF stuft die staatliche Überwachung des Journalisten als Angriff auf den Quellenschutz, einen Eckpfeiler der Pressefreiheit, ein. Die unrechtmäßige Überwachung von Medienschaffenden bliebe also straffrei – ein Machtmissbrauch, der Straflosigkeit normalisiert. „Juristisch hängt die unrechtmäßige Überwachung von Stavros Malichoudis damit weiter in der Schwebe, und die Verantwortlichen werden vermutlich nie mehr zur Rechenschaft gezogen. Wir fordern die griechische Justiz auf, schleunigst zu erklären, warum dem Reporter Einsicht in die Ermittlungsakte verweigert wurde. Vor allem ist es höchste Zeit, dass eine rasche und effiziente Untersuchung angeordnet wird”, sagt RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. 

Hintergründe zum Überwachungs-Skandal

Die Überwachung von Stavros Malichoudis wurde am 13. November 2021 durch ein EYP-Dokument aufgedeckt, das im Medium Efimerida Ton Syntakton (Efsyn) veröffentlicht wurde. Ziel des griechischen Geheimdienstes war es, die Quellen des Journalisten zu Migrationsfragen in Griechenland zu ermitteln. Dies war der erste bekannte Fall von Überwachungspraktiken in Griechenland. Insgesamt wurden etwa zehn Journalistinnen und Verleger entweder auf „konventionelle“ Weise oder mit der Spionagesoftware Predator abgehört, unter anderem auch der Finanzjournalist Thanasis Koukakis. Jüngste Presseberichte enthüllten die Existenz eines EYP-„Kontrollzentrums”, das für beide Arten der Überwachung zuständig war. Es ist nicht geklärt, ob Stavros Malichoudis auch ein Opfer von Predator war. 

Am 30. Juli beschloss der Oberste Gerichtshof Griechenlands, die EYP nicht zu belangen, obwohl journalistische Recherchen die Beteiligung der Geheimdienste an der illegalen Überwachung von Reporterinnen und Politikern aufgedeckt hatten.

„Nachrichtendienste sind für das Funktionieren des Staates unverzichtbar, aber ihre Tätigkeit muss sorgfältig überwacht werden“, sagt Dimitris Georgakopoulos, der Rechtsvertreter von Stavros Malichoudis. Er fügt hinzu: „Der Fall Malichoudis ist ein schwerer Schlag für die Pressefreiheit in Griechenland: Selbst Journalisten, die legitime Recherchen durchführen und Quellen treffen, können als 'Bedrohung für die nationale Sicherheit' überwacht werden.”

Alarmierende verfahrenstechnische Unregelmäßigkeiten

Obwohl Stavros Malichoudis im Februar 2022 eine Klage eingereicht hatte, um den Staat zur Verantwortung zu ziehen, stieß er auf beispiellose verfahrensrechtliche Hindernisse. Normalerweise enden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen entweder mit einer Anklageerhebung oder mit der Einstellung  – sofern eine stichhaltige Begründung vorliegt. Im Fall von Stavros Malichoudis wurden die Ermittlungen jedoch nicht abgeschlossen, und dem Opfer wird der Zugang zu allen Dokumenten seiner Akte verweigert. Diese verfahrenstechnischen Unregelmäßigkeiten werfen die Frage auf, ob der Skandal jemals wirklich untersucht wurde.

Obwohl die Klage des Journalisten aufgrund des öffentlichen Interesses direkt beim Obersten Gerichtshof eingereicht wurde, wurde sie schnell an die Staatsanwaltschaft der ersten Instanz weitergeleitet, was die Ermittlungen verzögerte und erschwerte. Nach mehr als einem Jahr wurde der Fall an den Obersten Gerichtshof zurückverwiesen und mit den Predator-Fällen in Verbindung gebracht. Im Juli 2024 lehnte der stellvertretende Staatsanwalt des Obersten Gerichtshofs den Antrag von Stavros Malichoudis zum ersten Mal ab – eine Entscheidung, die nun durch die zweite, endgültige Ablehnung innerhalb des griechischen Rechtssystems im Oktober 2024 bestätigt wurde.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit liegt Griechenland auf Platz 88 von 180 Ländern und damit auf dem letzten Platz aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

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