Russland 06.12.2019

Urteil gegen die Meinungsfreiheit

Jegor Schukow in einem der Videos auf seinem Kanal.
Jegor Schukow in einem der Videos auf seinem Kanal © YouTube / Blog Schukowa

Reporter ohne Grenzen ist erleichtert darüber, dass der russische Blogger Jegor Schukow vorerst nicht ins Gefängnis muss. Schukow wurde heute zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt und darf zwei Jahre lang keine eigene Internetseite betreiben. In seinem Blog hatte er zu gewaltfreiem Widerstand gegen die Regierung aufgerufen. Am Montag unterzeichnete Präsident Putin ein Gesetz, nach dem Journalistinnen und Journalisten als „ausländische Agenten“ eingestuft werden können, was ihre Arbeit erheblich behindert. Wie stark Russland die Pressefreiheit gerade im Internet einschränkt, zeigt Reporter ohne Grenzen in einem neuen Bericht.

„Jegor Schukow als Extremist zu verurteilen, ist absurd“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Er hat die Ideen von Mahatma Gandhi und Martin Luther King verbreitet, er hat öffentlich seine Meinung gesagt und dieses Recht garantiert ihm die russische Verfassung. Dass er seinen Blog vorerst nicht weiter betreiben darf, zeigt wieviel Angst die Regierung vor einer aktiven und selbstbewussten Zivilgesellschaft hat.“

Zweifelhaftes Gutachten und große Unterstützung

Der 21-jährige Student Jegor Schukow war am 2. August festgenommen worden und saß einen Monat lang wegen der „Teilnahme an Massenunruhen“ im Gefängnis. Seither stand er unter Hausarrest. Später zog die Staatsanwaltschaft die Anschuldigungen gegen den Studenten zurück und warf ihm stattdessen „öffentlichen Aufruf zum Extremismus vor (Artikel 280.2 des russischen Strafgesetzbuchs). Auf seinem Youtube-Kanal hatte Schukow zum friedlichen Protest gegen korrupte Politikerinnen und Politiker in Parlament und Regierung aufgerufen. Am 12. September wurde er auf die Liste derer gesetzt, die angeblich Terrorismus und Extremismus unterstützen, seine Bank-Konten sind seither gesperrt.

Bei der Verhandlung vor dem Moskauer Kunzewski-Gericht am 3. und 4. Dezember forderte der Staatsanwalt vier Jahre Haft und zweieinhalb Jahre Internetverbot für Schukow. Er berief sich dabei auf die Analyse eines umstrittenen Gutachters, der nach eigenen Angaben kein Linguist ist, sondern lediglich eine entsprechenden Lehrgang beim Inlandsgeheimdienst FSB durchlaufen hat. Die Anträge der Verteidigung auf alternative Gutachterinnen und Gutachter lehnte das Gericht ab. Schukow bekannte sich nicht schuldig. Zur Verhandlung erschienen neben Lehrenden und Studierenden der Hochschule für Wirtschaft, an der Schukow immatrikuliert ist, unter anderem der Aufsichtsratschef der Nowaja Gaseta, Dmitri Muratow, und der Rapper Oxxxymiron. Auch Russlands bekanntester Youtuber, Juri Dud, kritisierte das Verfahren gegen Schukow öffentlich.

Medienschaffende als "ausländische Agenten"

Am 2. Dezember unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, das es ermöglicht, einzelne Journalistinnen und Journalisten sowie Bloggerinnen und Blogger als „ausländische Agenten“ einzustufen. Dies gilt für Medienschaffende, die für nicht in Russland registrierte Medien arbeiten oder Honorare aus dem Ausland erhalten. Sie müssen sämtliche Inhalte, die sie veröffentlichen, mit dem Zusatz „ausländischer Agent“ versehen – auch Beiträge in sozialen Netzwerken. Reporter ohne Grenzen und andere NGOs hatten das Gesetz vor seiner Verabschiedung scharf kritisiert.

Schon seit 2012 werden in Russland politisch tätige Organisationen, die ganz oder teilweise aus dem Ausland finanziert werden, dazu gezwungen, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen. Seit November 2017 gelten diese Vorgaben auch für Medienunternehmen. Ein entsprechendes Gesetz wurde verabschiedet, nachdem sich der russische Auslandssender RT in den USA gemäß dem Foreign Agents Registration Act registrieren lassen musste. Derzeit gelten rund zehn Medien in Russland als „ausländische Agenten“, darunter der US-amerikanische Auslandssender Voice of America und Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) sowie mehrere Regionalprogramme von RFE/RL, etwa auf der von Russland annektierten Krim, in Sibirien oder im Nordkaukasus.

ROG-Bericht über Internetzensur und Überwachung in Russland

Wie stark die russische Regierung Presse- und Meinungsfreiheit online in den vergangenen Jahren eingeschränkt hat, zeigt Reporter ohne Grenzen in dem Ende November erschienenen Bericht „Alles unter Kontrolle? Internetzensur und Überwachung in Russland“. Er zeichnet die Entwicklung von den ersten Inhaltsverboten 2012 bis zur Gegenwart nach. ROG zeigt, mit welchen Mitteln unbequeme Redaktionen unter Druck gesetzt werden und wie die Behörden versuchen, kritische Medienschaffende zum Schweigen zu bringen. Der Bericht beschreibt das russische System der Massenüberwachung und dokumentiert die Fälle derer, die wegen ihrer Online-Aktivitäten im Gefängnis sitzen. ROG analysiert außerdem die Bedeutung internationaler Plattformen wie Google, Twitter und Facebook für die Meinungsfreiheit in Russland und fordert sie zu einer klaren Position gegenüber einer Regierung auf, die Presse- und Meinungsfreiheit systematisch missachtet.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf Rang 149 von 180 Staaten. Mindestens sieben Journalisten und Blogger sitzen dort derzeit wegen ihrer Arbeit im Gefängnis.



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