Hongkong 15.12.2023

Verleger Jimmy Lai endlich freilassen

Jimmy Lai steigt aus einem Fahrzeug aus und wird von Menschen mit Taschen vor Blicken geschützt.
Jimmy Lai in Hongkong 2021 © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Kin Cheung

Vor dem Prozessbeginn gegen Jimmy Lai am kommenden Montag (18. Dezember) fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) seine sofortige Freilassung. Der Hongkonger Verleger steht wegen angeblichen Verstoßes gegen ein 2020 von Peking auferlegtes, drakonisches „Sicherheitsgesetz“ vor Gericht. Dem 76-Jährigen droht eine lebenslange Haftstrafe. Lai ist ein Symbol der Pressefreiheit in Hongkong und sitzt bereits seit mehr als drei Jahren in der chinesischen Sonderverwaltungszone im Gefängnis.

„Kurz vor diesem historischen Prozess ist es wichtiger denn je, dass sich die internationale Gemeinschaft hinter Jimmy Lai stellt. Der Verleger hat sich in den vergangenen 25 Jahren unermüdlich für die Pressefreiheit in Hongkong eingesetzt und könnte im schlimmsten Fall den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das Gericht muss sich an die Rechtsstaatlichkeit halten und dieses fadenscheinige Verfahren einstellen, um zu zeigen, dass es in Hongkong noch eine vom Pekinger Regime unabhängige Justiz geben kann. Jimmy Lai muss endlich freikommen. Wir fordern zudem die Behörden auf, unabhängige Medien nicht länger zu verfolgen.“

Lai wird „geheime Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften“ gemäß dem „Sicherheitsgesetz“ vorgeworfen. Der Prozess ist für 80 Tage angesetzt. Er sollte ursprünglich am 1. Dezember 2022 starten und wurde seitdem mehrmals verschoben.

Lai musste vergangene Woche seinen 76. Geburtstag im Gefängnis verbringen. Der Verleger ist bereits seit Dezember 2020 in einem Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert. Wegen der Teilnahme an „nicht genehmigten“ Pro-Demokratie-Demonstrationen und wegen Betrugsvorwürfen verbüßt er bereits Haftstrafen. So verurteilte ihn am 10. Dezember 2022 etwa ein Gericht in Hongkong zu fünf Jahren und neun Monaten Haft, weil er angeblich gegen den Mietvertrag für die Büros der Tageszeitung Apple Daily verstoßen haben soll. Die Behörden haben ihm wiederholt die Freilassung gegen Kaution verweigert.

Lai hatte die Apple Daily 1995 gegründet. Am 24. Juni 2021 erschien die letzte Ausgabe. Die Zeitung musste schließen – ein Schritt, der als letzter Nagel im Sarg der Pressefreiheit in Hongkong gedeutet wird. Zuvor hatten 500 Polizisten den Hauptsitz durchsucht und hochrangige Mitarbeitende festgenommen. Einige von ihnen sitzen immer noch im Gefängnis. Vermögenswerte der Zeitung wurden eingefroren.

Am 9. Dezember hat die französische Stadt Lyon Jimmy Lai in Anerkennung für seinen 25-jährigen Einsatz für die Pressefreiheit die Ehrenbürgerschaft verliehen. Sein Sohn Sebastien Lai nahm an der Verleihung teil. Im Mai haben mehr als 100 prominente Chefredakteure, Verlegerinnen und leitende Redakteure aus der ganzen Welt gemeinsam mit RSF die sofortige Freilassung Lais gefordert. Zu den Unterzeichnenden der Erklärung zählen auch die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Dmitri Muratow und Maria Ressa.

„Sicherheitsgesetz“ in Hongkong: Pressefreiheit im freien Fall

Rund 25 Jahre nach der Übergabe Hongkongs an die Volksrepublik China ist die in der Mini-Verfassung der Sonderverwaltungszone garantierte Pressefreiheit so bedroht wie nie zuvor. Das liegt vor allem an dem Mitte 2020 von Peking auferlegten „Sicherheitsgesetz“. Es erlaubt dem chinesischen Regime, direkt in die Sonderverwaltungszone einzugreifen. Unter dem Anschein der Legalität kann es alles unterdrücken, was es als „Terrorismus“, „Abspaltung“, „Untergrabung der Staatsgewalt“ und „ausländische Einmischung“ betrachtet.

Das „Sicherheitsgesetz“ gilt für alle Journalistinnen und Journalisten, die über Hongkong berichten, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort (Artikel 38). Im Falle eines Prozesses in Hongkong drohen Medienschaffenden lebenslange Haftstrafen, und obwohl das Wort „Auslieferung“ nie erwähnt wird, behält sich das Gesetz die Möglichkeit vor, Prozesse in der Volksrepublik China zu führen (Artikel 55), wo Verbrechen gegen die nationale Sicherheit mit dem Tod bestraft werden können. Das Gesetz behält sich auch das Recht vor, dass bestimmte Prozesse unter Ausschluss von Medien und Öffentlichkeit stattfinden (Artikel 41).

In den vergangenen drei Jahren haben die chinesischen Behörden das „Sicherheitsgesetz“ und andere Gesetze als Vorwand genutzt, um mindestens 28 Journalistinnen und Journalisten sowie Verteidiger der Pressefreiheit in Hongkong zu verfolgen. Zwölf von ihnen sitzen weiter im Gefängnis. Die Zeitung Apple Daily und die Nachrichtenseite Stand News mussten schließen. Ein Klima der Angst hat dazu geführt, dass sechs weitere Medien ihre Arbeit eingestellt haben.

Auch internationale Journalisten betroffen 

Dass Hongkong seinen Status als einstige Bastion der Pressefreiheit in der Region verloren hat, spüren auch ausländische Medienschaffende vor Ort. So verweigerten die Behörden in diesem Jahr den japanischen Medienschaffenden Michiko Kiseki und Yoshiaki Ogawa sowie dem US-Journalisten Matthew Connors die Einreise nach Hongkong. Alle drei hatten 2019 über Proteste gegen ein damals geplantes Auslieferungsgesetz berichtet. Der später zurückgezogene Gesetzentwurf hätte die Auslieferung von Verdächtigen nach Festland-China erlaubt. Die Proteste entwickelten sich zu einer breiten Bewegung.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Hongkong inzwischen auf Platz 140 von 180 Staaten. In dem Bericht „Journalismus in China: Der große Sprung zurück“ beschreibt RSF das Ausmaß der Unterdrückung von Presse- und Informationsfreiheit in Hongkong und China und untersucht die verschiedenen Instrumente, mit denen das Regime in Peking arbeitet.



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