Mexiko 25.04.2022

Vorschläge für Gesetzesreformen

Der Journalist Gabriel Barraza in Mexiko. © picture alliance / NurPhoto / David Peinado

Die Menschenrechtsorganisationen Propuesta Cívica und Reporter ohne Grenzen (RSF) haben am 22. April im mexikanischen Senat eine gemeinsame Initiative zur Reform von Gesetzen vorgestellt, die sich negativ auf die Pressefreiheit auswirken. Die Lage der Pressefreiheit in Mexiko ist eine der angespanntesten in Lateinamerika, jedes Jahr werden dort so viele Journalistinnen und Journalisten ermordet wie in keinem anderen Land der Welt.

Die Reformvorschläge basieren auf der Analyse „Pressefreiheit: Wie wird sie in Mexiko reguliert?“ („Libertad de Prensa ¿Cómo se regula en México?“). Diese untersucht mehr als hundert Landes- und Bundesgesetze in den Bereichen Zivilrecht, Strafrecht, Arbeitsrecht und Schutz von Journalistinnen und Journalisten. Ziel der Untersuchung war es, den nationalen Rechtsrahmen im Hinblick darauf zu analysieren, inwiefern er Medienschaffende schützt oder gefährdet, sowie die Lücken und Unstimmigkeiten in der Gesetzgebung herauszufiltern, die für Journalistinnen und Journalisten ein Risiko darstellen könnten.

„In einem Klima der extremen Gewalt gegen Medienschaffende, wie es in Mexiko herrscht, müssen einige Gesetze dringend einer Prüfung unterzogen und zeitnah reformiert werden, damit sie den Schutz und die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten gewährleisten und eben nicht, wie wir in zahlreichen Fällen gesehen haben, als Zensurwaffe missbraucht werden können“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wir hoffen, dass unsere Anstöße vom mexikanischen Gesetzgeber umgesetzt werden.“

Alle untersuchten Gesetze – auf Bundesstaats- wie auf föderaler Ebene – wurden systematisch nach zuvor festgelegten Aspekten untersucht. Ein wichtiger Bestandteil war dabei die Frage, inwiefern internationale Normen in den Gesetzen umgesetzt worden sind. Der mexikanische Staat hat eine beträchtliche Anzahl von internationalen Menschenrechtsabkommen unterzeichnet und ratifiziert, die für den Staat rechtlich bindend sind.

Einer der wichtigsten Aspekte bei dieser Untersuchung war der sogenannte dreiteilige Test, der im internationalen Recht, unter anderem vom Interamerikanischen Menschenrechtssystem, angewandt wird, um festzustellen, ob Einschränkungen der Pressefreiheit sich in einem akzeptablen Rahmen bewegen. Dieser Standard verlangt, dass die Beschränkungen im Gesetz klar und präzise genannt werden, dass sie zur Erreichung eines der in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention anerkannten wesentlichen Ziele (Schutz der Rechte anderer, Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Gesundheit) dienen und dass sie in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind.

Die Ergebnisse zeigen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in Mexiko für Medien problematisch sind. In fast einem Drittel der Bundesstaaten gibt es strafrechtliche Verleumdungsgesetze, zudem werden immer wieder viel beachtete Zivilklagen gegen Journalistinnen und Journalisten eingereicht. Sowohl das Straf- als auch das Zivilrecht enthalten Elemente, die zur Einschüchterung von Medienschaffenden eingesetzt werden und das Recht auf freie Meinungsäußerung erheblich einschränken:

Strafgesetze: Verleumdung ist in den meisten Bundesstaaten und auf Bundesebene eine zivilrechtliche und keine eine strafrechtliche Angelegenheit, aber in neun Staaten wurde der Tatbestand noch nicht aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Neben Verleumdung wurden auf staatlicher Ebene 33 Straftatbestände und auf Bundesebene 11 Straftatbestände festgestellt. Keiner dieser Straftatbestände entspricht dem dreiteiligen Test, da die jeweilige Definition so unklar ist, dass sie vor Gericht beliebig weit ausgelegt werden könnte – was das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken könnte.

Zivilgesetze: 29 Landesgesetze und das föderale Zivilgesetzbuch stellen ein großes Hindernis für die freie Meinungsäußerung dar: Äußerungen über Staatsdienerinnen und Staatsdiener, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder Angelegenheiten von öffentlichem Interesse sind nicht gesetzlich geschützt, was zu abschreckenden Effekten bei der Ausübung von Journalismus auswirken kann.

Arbeitsrecht: Bezüglich der Arbeitnehmerrechte von Journalistinnen und Journalisten klafft eine große Gesetzeslücke in Mexiko: Es gibt schlichtweg keine entsprechenden Gesetze. Darüber hinaus schreiben fünf Bundesstaaten gesetzlich vor, dass eine Person einen bestimmten Abschluss oder eine Berufslizenz vorweisen muss, um journalistisch tätig sein zu dürfen.

Gesetze zum Schutz von Medienschaffenden: Seit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutz von Journalistinnen und Menschenrechtsverteidigern im Jahr 2012 sind fast zehn Jahre vergangen, und in den meisten Bundesstaaten wurde es schlecht oder gar nicht umgesetzt. Dadurch wurde der Großteil der institutionellen Verantwortung für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten dem föderalen Mechanismus zum Schutz von Journalistinnen und Menschenrechtsverteidigern überlassen. Die Ergebnisse zeigen, dass es notwendig ist, über eine Umstrukturierung des Mechanismus nachzudenken: Auf föderaler Ebene müssen mehr Ressourcen und mehr Personal zur Verfügung gestellt werden, und das System muss in einen nationalen Mechanismus umgewandelt werden, der die föderalen und lokalen Schutzbemühungen effektiv koordiniert.

Reporter ohne Grenzen und Propuesta Cívica haben die Gesetzesvorschläge im Rahmen ihres gemeinsamen Programms Defending Voices erarbeitet. Defending Voices wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert und hat zum einen zum Ziel, Gesetze zu ändern, die die Pressefreiheit einschränken, und zum anderen sicherzustellen, dass Medienschaffende, die Opfer von Verbrechen geworden sind, und ihre Familien Gerechtigkeit erfahren.

Der komplette Bericht ist hier auf Spanisch verfügbar.



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