Digitale Überwachung
06.08.2021
Weitere Journalisten schließen sich RSF-Klage an
Update vom 22. Juli 2022:
Am 20. Juli 2021 hatte RSF mit möglichen Opfern der Pegasus-Überwachungssoftware Klage in Paris eingereicht. Den vier Beschwerden schlossen sich insgesamt 25 Journalistinnen und Journalisten aus zehn Ländern an. Am 1. Juli 2022 leitete die Abteilung „Cyber“ der Pariser Staatsanwaltschaft eine gerichtliche Untersuchung der Fälle ein. Die Ermittlungen des jetzt ernannten Untersuchungsrichters sollen Aufschluss darüber geben, wer in dem Spionageskandal, der Hunderte von Medienschaffenden in verschiedenen Teilen der Welt ins Visier nahm, verantwortlich war.
Weitere 17 Journalistinnen und Journalisten aus sieben Ländern haben sich als mögliche Opfer der Pegasus-Überwachungssoftware der Klage von Reporter ohne Grenzen angeschlossen. Gemeinsam mit zwei Journalisten mit französischer und marokkanischer Staatsbürgerschaft hatte RSF sie bereits am 20. Juli in Paris eingereicht. Die 17 Betroffenen beschuldigen die israelische NSO Group und alle weiteren Personen, die im Zuge der gerichtlichen Untersuchung identifiziert werden, der gezielten Überwachung. RSF hat ihre Fälle an vier Sonderberichterstattende der Vereinten Nationen weitergeleitet.
„Die Zahl der Beschwerden bestätigt einmal mehr das Ausmaß der Überwachung durch Pegasus“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Untersuchung muss alle Beteiligten an diesem Skandal klar benennen, egal ob es Führungskräfte der NSO Group oder hohe Regierungsbeamte in den betroffenen Ländern sind. Der Schaden für die Pressefreiheit ist weltweit so groß, dass es hier keine Unklarheiten geben darf.“
Zwei der Klägerinnen und Kläger kommen aus Aserbaidschan, fünf aus Mexiko, fünf aus Indien, zwei aus Ungarn und jeweils eine Person aus Spanien, Marokko und Togo. Sie wissen oder müssen befürchten, dass sie wegen ihrer journalistischen Tätigkeit von ihren Regierungen ausspioniert wurden. Insgesamt sind fast 200 Journalistinnen und Journalisten aus 20 Ländern von einer möglichen oder tatsächlichen Überwachung durch Pegasus betroffen. Das hatten die Enthüllungen des Pegasus-Projekts offengelegt.
Pegasus wurde weltweit und seit mindestens fünf Jahren eingesetzt
RSF hatte die Klage am 20. Juli bei der Pariser Staatsanwaltschaft eingereicht, da Frankreich sehr stark von der Überwachung betroffen ist. Die Staatsanwaltschaft hat bereits begonnen zu ermitteln. Die Journalisten Maati Monjib und Omar Brouksy hatten die Beschwerde mitunterzeichnet. Mit den 17 weiteren Betroffenen untermauern nun insgesamt 19 konkrete Fälle die RSF-Beschwerde. Sie zeigen, dass die Überwachungssoftware der NSO Group vielfach gegen Journalistinnen und Journalisten eingesetzt wurde, weltweit und seit mindestens fünf Jahren. 2020 hatte RSF die NSO Group bereits als „Feind des Internets“ eingestuft.
Das Smartphone der freien Journalistin Sevinj Vaqifqizi Abbasova aus Aserbaidschan war 2019 und 2020 mit Pegasus infiziert. Sie arbeitete unter anderem für die unabhängigen Medien Meydan TV und Azadliq.info, die für ihre kritische Haltung gegenüber dem politischen Establishment in Aserbaidschan bekannt sind. Die Überwachenden konnten womöglich sämtliche Kommunikation der Journalistin auslesen. Sie ist derzeit RSF-Stipendiatin in Berlin. Neben ihr beteiligt sich aus Aserbaidschan auch der von Pegasus-Angriffen betroffene Journalist Mushfig Jabbar an der Klage.
In Ungarn wurde Szabolcs Panyi Opfer von Überwachungsangriffen. Panyi geriet mutmaßlich ins Visier, weil er sich als investigativer Journalist für Direkt36 vor allem mit nationaler Sicherheit, Verteidigung und konkret mit den russischen Interessen in Ungarn beschäftigt hat. Auch András Szabó beteiligt sich an der Klage. Er arbeitet ebenfalls für Direkt36.
In Mexiko fließen die Fälle von gleich fünf Journalistinnen und Journalisten in die RSF-Beschwerde ein. Álvaro Delgado, Jorge Carrasco, Marcela Turati, Alejandra Xanic von Bertrab und Ignacio Rodríguez Reyna wurden bereits im Jahr 2016 mit Pegasus angegriffen. Eine tatsächliche Infektion konnte aber nicht in allen Fällen nachgewiesen werden.
RSF-Korrespondent und Reporterin des Jahres in Indien betroffen
Ebenfalls fünf Fälle betreffen Indien. Swati Chaturvedi, eine der bekanntesten investigativen Journalistinnen des Landes, ist schon seit Jahren Ziel von Hetzkampagnen im Internet. RSF hat sie 2018 als eine von mehreren Journalistinnen als „Reporterin des Jahres“ ausgezeichnet. Sie wurde mutmaßlich in den Jahren 2018 und 2019 mit Pegasus überwacht. Mit Sushant Singh, Siddharth Varadarajan, MK Venu und dem RSF-Korrespondenten Shubhranshu Choudhary wurden vier weitere bekannte indische Journalisten Ziele der Spyware. Im Fall von Venu konnte eine Pegasus-Infektion im Juli 2021 nachgewiesen werden.
Auch das Handy von Hischam Mansuri wurde erst vor kurzem infiziert. Zwischen Februar und April 2021 wurde es etwa 20-mal mit Pegasus angegriffen. Mansuri arbeitete in der Vergangenheit für die Marokkanische Vereinigung investigativer Journalisten (AMJI), für die auch Maati Monjib tätig war. Monjib ist wie auch Omar Brouksy Mitunterzeichner der RSF-Klage vom 20. Juli.
RSF legt zudem den Fall von Ferdinand Ayité aus Togo in der Beschwerde dar. Der Journalist ist Direktor der investigativen Zeitung L'Alternative und Mitglied des Internationalen Konsortiums investigativer Journalisten (ICIJ). Ayité war 2016 an den Enthüllungen der Panama Papers beteiligt. Sein Handy wurde mutmaßlich 2018 mit Pegasus infiziert.
In Spanien geriet der freie Journalist Ignacio Cembrero, jahrelanger Maghreb-Korrespondent für verschiedene spanische Medien, ins Visier der Überwachung. Die marokkanischen Behörden hatten ihn in der Vergangenheit wegen seiner Arbeit mehrfach attackiert. Auch die Pegasus-Angriffe kommen mit großer Wahrscheinlichkeit aus den Kreisen der dortigen Behörden.
Forderungen an vier UN-Sonderberichterstattende
Zusätzlich zu den neuen Beschwerden, die in Frankreich eingereicht wurden, hat RSF die Fälle dieser 17 Journalistinnen und Journalisten formell an die Vereinten Nationen überwiesen. RSF forderte die Sonderberichterstattenden für Meinungsfreiheit, das Recht auf Privatsphäre, Menschenrechtsverteidigung und den Schutz der Menschenrechte bei der Terrorismusbekämpfung auf, Erklärungen von denjenigen Staaten einzuholen, die im Verdacht stehen, Pegasus gegen die freie Presse eingesetzt zu haben.
RSF forderte sie außerdem auf, sich für eine strenge internationale Regulierung des Exports, des Verkaufs und der Nutzung von Überwachungssoftware wie Pegasus sowie für ein internationales Moratorium für den Verkauf solcher Software starkzumachen. Ein solches Moratorium hatte RSF gemeinsam mit weiteren Organisationen bereits am 27. Juli gefordert. Schließlich bat RSF die Sonderberichterstattenden, sich beim UN-Menschenrechtsrat für die Einrichtung eines Ad-hoc-Mechanismus einzusetzen, der den Verkauf und die Verwendung von Überwachungssoftware untersuchen und aufklären soll.
Dass die Produkte der NSO Group auch durch die EU-Staaten Zypern und Bulgarien exportiert wurden, zeigt das Versagen der EU-Exportkontrolle. Möglicherweise liegt hier auch ein Verstoß gegen EU-Richtlinien vor. Zypern und Bulgarien unterliegen als EU-Mitgliedsstaaten auch der im März reformierten europäischen Dual-Use-Verordnung, die im September 2021 in Kraft treten soll.
Neben der politischen und individuellen Nothilfearbeit wird sich Reporter ohne Grenzen demnächst auch mit einem digitalforensischen Labor stärker für die Dokumentation und Aufarbeitung digitaler Übergriffe einsetzen. In mindestens der Hälfte der von RSF betreuten Nothilfefälle spielen digitale Übergriffe eine Rolle.
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