EU-Rechtsstaatsmechanismus
05.11.2020
Wirksamkeit liegt in der Hand der Regierungen
Reporter ohne Grenzen (RSF) begrüßt die Einigung der Europäischen Union im Streit über die Kopplung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit.
„Dass sich die EU endlich ein glaubwürdiges Druckmittel gegen Rechtsstaatsverstöße verschafft, ist bei allen Abstrichen im Detail ein guter und längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung“, sagt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Jetzt müssen die Regierungen der EU-Staaten in der Praxis zeigen, ob sie wirklich bereit sind, Sanktionen in den eigenen Reihen durchzusetzen und das neue Instrument auch bei Verstößen gegen die Pressefreiheit anzuwenden. Entscheidend ist, ob es mit diesem Mechanismus gelingt, den immer weiteren Abbau der Pressefreiheit in EU-Ländern wie Ungarn oder Polen zu stoppen.“
Unterhändlerinnen und Unterhändler des EU-Parlaments und des Rats der Mitgliedsstaaten verständigten sich am Donnerstag (5.11.) nach wochenlangem Ringen auf einen Kompromiss, dem nun noch das Europäische Parlament und der EU-Ministerrat zustimmen müssen. Der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus soll gemäß der Einigung nicht nur beim unmittelbaren Missbrauch von EU-Geldern zur Anwendung kommen, sondern auch bei systematischen Verstößen gegen EU-Grundwerte. Um dies zu verdeutlichen, soll der Geltungsbereich durch eine offene Liste möglicher beispielhafter Anwendungsfälle erläutert werden.
Positiv zu bewerten ist aus RSF-Sicht auch, dass der Rechtsstaatsmechanismus schon vorbeugend zur Anwendung kommen kann und nicht erst, nachdem es bereits zu Verstößen gekommen ist.
Automatismus oder qualifizierte Mehrheit?
In die abschließenden Verhandlungen war das Europäische Parlament mit der Forderung gegangen, dass EU-Gelder bei Verstößen gegen Rechtsstaatskriterien quasi automatisch gekürzt würden; dies hatte auch die Europäische Kommission ursprünglich vorgeschlagen. Doch die EU-Staaten hatten sich im Juli nur darauf einigen können, dass bei Verstößen zunächst die Kommission Sanktionen vorschlagen solle, über die der Rat der Mitgliedsländer dann mit einer – schwer erreichbaren – qualifizierten Mehrheit entscheiden sollten.
Mit dieser Linie haben sich die Regierungen nun im Grundsatz durchgesetzt. Nach dem ausgehandelten Kompromiss muss ein Ratsbeschluss über solche Sanktionen innerhalb eines Monats, in Ausnahmefällen innerhalb von drei Monaten nach dem Vorschlag der Kommission gefasst werden. Dazu müssten jeweils 15 von 27 EU-Mitgliedstaaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung zustimmen.
Deutsche Ratspräsidentschaft für mehr Schutz der Pressefreiheit nutzen
RSF hatte im Juni die Bundesregierung aufgefordert, ihre EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte zu nutzen, um sich auf europäischer Ebene für einen besseren Schutz von Journalistinnen und Journalisten einzusetzen, gegen die erodierende Rechtsstaatlichkeit in Mitgliedsstaaten wie Ungarn und Polen vorzugehen und starke Exportkontrollen für digitale Überwachungstechnologie zu erreichen.
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