Belarus
06.08.2021
Zwölf Monate Unterdrückung sind genug
Reporter ohne Grenzen und die Weltorganisation gegen Folter (OMCT) zeichnen in einem neuen Bericht detailliert nach, wie massiv das Regime von Alexander Lukaschenko in den vergangenen zwölf Monaten die unabhängige Berichterstattung unterdrückt hat. Lukaschenko hatte sich nach der mutmaßlich gefälschten Wahl vom 9. August 2020 zum Sieger erklärt. Der Bericht enthält eine umfassende Liste mit den Namen derer, die für die Verfolgung von Medienschaffenden sowie für Gewalt und Folter verantwortlich sind. Täter und Täterinnen müssen vor Gericht gestellt und persönlich für ihre Taten verantwortlich gemacht werden.
„Die freie und unabhängige Presse, eine Säule der Demokratie, ist Alexander Lukaschenkos Hauptfeind“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Journalistinnen und Journalisten und sogar ihre Familien werden seit einem Jahr unerbittlich physisch, juristisch sowie wirtschaftlich verfolgt und psychologisch unter Druck gesetzt. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, alles zu tun, um dieses Gebaren vor den Toren Europas zu stoppen. Die Verantwortlichen müssen vor Gericht gestellt werden."
RSF und die Weltorganisation gegen Folter (OMCT) beschreiben in dem Bericht detailliert die massive Unterdrückung unabhängiger Berichterstattung durch das Regime von Alexander Lukaschenko im vergangenen Jahr. Seit der international nicht anerkannten „Wiederwahl“ des Autokraten am 9. August 2020 haben Sicherheitskräfte in Belarus rund 500 Medienschaffende kurzzeitig festgenommen, 29 von ihnen sitzen derzeit im Gefängnis. Anfangs wurden Reporterinnen und Reporter, die über die Proteste gegen Lukaschenko berichtet hatten, meist zu mehreren Tagen Arrest verurteilt, inzwischen verhängen Gerichte mehrjährige Gefängnisstrafen. So wurden Daria Tschulzowa und Kazjaryna Andrejewa, Reporterinnen des Exilsenders Belsat TV, im Februar zu jeweils zwei Jahren Haft verurteilt, weil sie eine Demonstration gefilmt und live darüber berichtet hatten.
Bericht dokumentiert 70 Fälle von Gewalt und Folter
Bei Festnahmen und auf den Polizeirevieren behandelten Sicherheitskräfte die Gefangenen häufig äußerst brutal. Fast 70 Fälle von Gewalt sowie von Folter in den Gefängnissen sind dokumentiert. Darunter der von Natalja Lubneuskaja, Reporterin der Zeitung Nascha Niwa, die durch ein Gummigeschoss schwer am Bein verletzt wurde. Ruslan Kulewitsch, der für die lokale Nachrichtenseite Hrodna.life arbeitet, brachen Polizisten bei der Festnahme beide Handgelenke und hielten ihn zwei Tage in Gewahrsam, ohne dass er medizinisch behandelt wurde. Hinzu kommen unmenschliche Zustände in den Gefängnissen. Aljona Dubowik von Belsat TV etwa wurde mit 50 anderen Frauen in eine Vier-Personen-Zelle gezwängt, geschlagen und erhielt 24 Stunden nichts zu essen.
Darüber hinaus beschreibt der Bericht, wie das Regime zuletzt die Mediengesetze verschärft hat, und zeichnet nach, wie die Behörden gegen Organisationen und unabhängige Medienhäuser vorgehen: Der Belarussischen Journalistenvereinigung BAJ, seit langem die Partnerorganisation von RSF in Belarus, droht die Auflösung, der Gerichtsprozess beginnt am 11. August. Das Personal des Presseclubs Belarus sitzt im Gefängnis oder ist ins Ausland geflohen. Tut.by, der größten unabhängigen Nachrichtenseite, wurde zunächst der Status als Massenmedium aberkannt, inzwischen ist die Seite in Belarus blockiert. Chefredakteurin Maryna Solatawa sitzt unter dem fadenscheinigen Vorwurf der Steuerhinterziehung im Gefängnis.
Entführter Regimekritiker nun im Hausarrest
Noch immer beunruhigend ist das Schicksal von Roman Protassewitsch (Raman Pratassewitsch). Der Journalist und Blogger war am 23. Mai in Minsk verhaftet worden, nachdem ein belarussischer Kampfjet den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius umgeleitet hatte, in dem auch Protassewitsch und seine Freundin saßen. Beide stehen mittlerweile unter Hausarrest. Protassewitsch hatte den populären Telegram-Kanal Nexta mitgegründet, über den auch Proteste gegen das Regime koordiniert wurden. Zu Beginn seiner Haft wurde er mehrfach öffentlich im Fernsehen vorgeführt, legte ein mutmaßlich erzwungenes Geständnis ab und musste Präsident Lukaschenko „bedingungslosen Respekt“ schwören. Spuren an Protassewitschs Körper sowie sein genereller Zustand legten den Verdacht nahe, dass er gefoltert wurde. RSF hat gemeinsam mit sechs weiteren Organisationen die Vereinten Nationen (UN) ersucht, seinen Arrest formell als willkürlich zu erklären. Bereits zwei Tage nach der Entführung hatte RSF nach dem Weltrechtsprinzip in Litauen Strafanzeige gegen Lukaschenko gestellt. Die litauische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen.
In ihrem Bericht fordern RSF und OMCT eine umfassende und unabhängige Untersuchung der Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten in Belarus. Zudem fordern RSF und OMCT die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten auf, Medienschaffende, die vor Verfolgung durch das Regime Lukaschenko fliehen mussten, zu unterstützen und ihnen, wenn nötig, Asyl zu gewähren.
Zur Lage der Pressefreiheit in Belarus spricht RSF-Geschäftsführer Christian Mihr am Sonntag, 8. August, bei einer von Razam e.V. organisierten Kundgebung in Berlin.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt Belarus Rang 158 von 180.
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