Russland
05.05.2021
Russische Online-Zeitung kämpft ums Überleben
Die russischsprachige Nachrichtenseite Meduza kämpft ums Überleben, nachdem die Behörden sie als „ausländische Agentin“ eingestuft haben. Wenige Tagen nach der Entscheidung musste die reichweitenstärkste unabhängige Online-Zeitung im russischsprachigen Internet ihre Büro-Räume in Riga und Moskau schließen. Sie verlor zahlreiche Werbeverträge sowie etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Redaktion richtet sich nun mit einem groß angelegten Spendenaufruf an die internationale Öffentlichkeit.
„Der Kreml versucht unverhohlen, vor der Parlamentswahl im September das einflussreichste unabhängige Medium im russischsprachigen Internet zu zerstören“, sagt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Was wir jetzt brauchen, ist eine internationale Welle der Solidarität, um den Machthabenden im Kreml zu zeigen: Die Zivilgesellschaft lässt sich nicht mit solch plumpen Mitteln zum Schweigen bringen.“
Das russische Justizministerium hatte Meduza am 23. April zur „ausländischen Agentin“ erklärt. Die Nachrichtenseite verlor daraufhin nach eigenen Angaben einen Großteil seiner Werbekundinnen und -kunden. Um Kosten zu sparen, wurden die Büros in Moskau und im lettischen Riga, dem Hauptsitz der Redaktion, geschlossen, die Gehälter der Mitarbeitenden um 30 bis 50 Prozent gekürzt und die Zusammenarbeit mit sämtlichen Freelancern beendet. Dennoch fürchtet die Zeitung den finanziellen Ruin. Sollte die russische Medienaufsicht Meduza in Russland blockieren – was wegen Verstößen gegen die strengen Regularien für „ausländische Agenten“ leicht möglich ist –, verlöre die Seite zudem ihr Kernpublikum.
Unabhängige Informationen von jenseits der Grenze
Meduza erreichte bislang nach eigenen Angaben mehr als 13 Millionen Menschen im Monat, fast drei Viertel davon in Russland. Die Seite sprach mit Instagram-Stories, News Games und Podcasts vor allem ein junges Publikum an. Galina Timtschenko, die aus politischen Gründen entlassene Chefredakteurin der Internet-Zeitung lenta.ru, hatte Meduza im Oktober 2014 in Lettland gegründet und so dem Zugriff der russischen Medienaufsicht entzogen.
Zunächst war Meduza vor allem ein Nachrichten-Aggregator, der Meldungen und Reportagen aus russischsprachigen Quellen zusammenstellte – besonders über Themen, die in staatlichen Medien nicht vorkamen. Mit der Zeit wurden mehr und mehr eigene Artikel veröffentlicht, Anfang 2015 ging eine englischsprachige Version online. Die rund 30-köpfige Redaktion in Riga mit Korrespondentinnen und Korrespondenten in Russland finanzierte ihre Arbeit über Werbebanner, Native Advertising und mithilfe nicht bekannter Investoren.
Agenten-Gesetze gegen kritische Stimmen
Grundlage für die Entscheidung des Justizministeriums, Meduza in die Liste „ausländischer Agenten“ aufzunehmen, ist ein Gesetz vom November 2017. Es betrifft Medien, die im Ausland registriert sind oder von dort finanziert werden. Die ersten Medien, die unter die Regelung fielen, waren der US-Auslandssender Voice of America und Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) sowie mehrere Regionalprogramme von RFE/RL, etwa auf der von Russland annektierten Krim, in Sibirien oder im Nordkaukasus. Im Dezember 2019 wurde die Agentengesetzgebung auf einzelne Journalistinnen und Journalisten ausgedehnt.
Seit Dezember 2020 können auch andere Einzelpersonen und nicht registrierte Organisationen zu ausländischen Agentinnen und Agenten erklärt werden. Sie müssen umfassende Rechenschafts- und Finanzberichte vorlegen und sämtliche Inhalte, die sie veröffentlichen, mit dem Zusatz „ausländischer Agent“ versehen.
Die jetzige Situation stellt deshalb auch für jedes einzelne Redaktionsmitglied von Meduza eine große Gefahr dar, denn die Gesetze erlauben es den Behörden, Einzelpersonen nahezu nach Belieben in die Agentenliste aufzunehmen. Diese wiederum können den damit verbundenen Auflagen und Regularien kaum gerecht werden, wofür im schlimmsten Fall mehrere Jahre Haft drohen.
Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf Rang 150 von 180 Staaten.
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