Südosteuropa
05.10.2021
Pressefreiheit muss Thema des EU-Gipfels sein
Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert, die Stärkung des investigativen Journalismus zu einem der Kernthemen des EU-Westbalkan-Gipfels am 6. Oktober in Slowenien zu machen. In den sechs Ländern des westlichen Balkans – Albanien, Bosnien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien – sind Journalistinnen und Journalisten, die zu Korruption, zur Covid-19-Pandemie und anderen wichtigen Themen recherchieren, durch einen Mangel an richterlicher Unabhängigkeit bedroht und müssen mit Wellen an Desinformation konkurrieren. Obwohl die Achtung der Pressefreiheit eine Voraussetzung für den Beitritt zur Europäischen Union ist, steht sie nicht auf dem Programm des Gipfeltreffens.
„Das wäre aber dringend notwendig, denn keines dieser Länder hat nennenswerte Fortschritte im Bereich der Pressefreiheit gemacht“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Investigativen und professionellen Journalismus auf dem Balkan jetzt zu stärken, wäre enorm wichtig, um zwei der größten Probleme der Region zu bekämpfen – Korruption und die Pandemie. Die EU sollte die Strahlkraft, die sie auf den westlichen Balkan ausübt, noch ehrgeiziger einsetzen, um den Bürgerinnen und Bürgern der Region den Zugang zu zuverlässigeren Nachrichten und Informationen zu ermöglichen.“
Gewaltverbrechen gegen Journalisten und Reporterinnen bleiben in den westlichen Balkanländern in beunruhigendem Maße straffrei. In Serbien wurden bis heute weder die Verantwortlichen für den Mord am Investigativjournalisten Slavko Curuvija im Jahr 1999 noch die Täter des Molotowcocktail-Angriffs auf Milan Jovanovic, einen anderen Investigativjournalisten, verurteilt. Auch für die Bombenexplosion vor dem Haus des Reporters Elidon Ndreka in Albanien im vergangenen Jahr oder für den brutalen Angriff auf den Journalisten Visar Duriqi vor seinem Haus im Kosovo im Februar 2021 wurde bislang niemand verurteilt. Die Ineffizienz der Justiz liegt vor allem an der fehlenden Unabhängigkeit. Das wurde auch in Montenegro deutlich, wo der preisgekrönte Journalist Jovo Martinovic seit 2015 willkürlichen Verfahren ausgesetzt ist.
Wer zu Themen von großem öffentlichem Interesse wie die Corona-Pandemie oder Migration recherchiert, wird ebenfalls häufig von den Behörden behindert. Ana Lalić, eine serbische Reporterin, Tatjana Lazarevic, die für das kosovarische Medienunternehmen KoSSev arbeitet, und die bosnische Freiberuflerin Nidzara Ahmetasevic wurden im vergangenen Jahr jeweils willkürlich verhaftet oder von der Polizei schikaniert, als sie über diese Themen berichteten.
Desinformation hat auf dem Balkan inzwischen Hochkonjunktur, selbst etablierte Medien gehen inzwischen mit Fake News hausieren. Vor dem Hintergrund der Pandemie stellt beides ein großes Problem für die Gesellschaften des Westbalkans dar. Viele Boulevardzeitungen verbreiten Covid-19-Verschwörungstheorien, während TV Happy, ein Sender, der in mehreren Ländern der Region empfangen wird, zweifelhafte Impftheorien verbreitet.
Unabhängige Medien, die verlässliche Nachrichten und Informationen verbreiten, werden wegen ihrer regierungskritischen Haltung häufig durch undurchsichtige und ungerechte Zuteilung staatlicher Werbung benachteiligt. Gleichzeitig werden sie zum Ziel drakonischer Gesetze, die eigentlich, wie in Albanien, Fake News bekämpfen sollen.
Alle sechs Staaten des Westbalkans sind Beitrittskandidaten zur Europäischen Union. Doch auch innerhalb ihrer Grenzen muss die EU die Pressefreiheit stärker verteidigen. Der slowenische Premierminister Janez Janša greift häufig Journalisten an. Seine Regierung organisiert nun den EU-Balkan-Gipfel, hat jedoch willkürlich die Finanzierung der nationalen Nachrichtenagentur STA eingestellt und deren Direktor kürzlich zum Rücktritt gezwungen.
Mit Ausnahme von Bosnien haben sich alle Länder des Westbalkans auf der Rangliste der Pressefreiheit 2021 verschlechtert. Bosnien steht aktuell auf Platz 58 von 180 Staaten, Kosovo auf Platz 78, Albanien auf Platz 83. Nordmazedonien belegt den 90., Serbien den 93. und Montenegro den 104. Rang.
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