Kolumbien 07.05.2020

Hintergründe aufklären, Journalisten schützen

General Nicacio Martínez mit Präsident Iván Duque (vorne) © picture alliance / AP Photo

Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilt die illegale Überwachung von zahlreichen nationalen wie internationalen Journalistinnen und Journalisten in Kolumbien. Wie die Wochenzeitschrift Semana jetzt enthüllte, haben Einheiten der kolumbianischen Armee zwischen Februar und Dezember 2019 Akten mit persönlichen Informationen von 130 Personen angelegt, der Großteil von ihnen Medienschaffende. Gesammelt wurden unter anderem Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Wohn- und Arbeitsadressen, Namen von Familienmitgliedern, Freunden und Kolleginnen sowie journalistischen Quellen. Auch NGOs, Oppositionspolitiker, Gewerkschafterinnen und weitere Personengruppen waren betroffen.

Den am 1. Mai von Semana veröffentlichten Informationen zufolge hatte das Verteidigungsministerium und damit die Regierung spätestens seit dem 13. Januar Kenntnis von den Vorgängen. RSF hat deshalb gemeinsam mit der kolumbianischen Stiftung für Pressefreiheit (FLIP) und dem Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) darum gebeten, ihr für den 16. März geplantes Treffen mit Präsident Iván Duque nachzuholen, das aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt worden war. 

„Regierung und Militär müssen offenlegen, wer diese Überwachungen zu welchem Zweck angeordnet hat“, sagte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. „Das Abgreifen, Speichern und Clustern von Daten ist ein Angriff auf die Sicherheit und die Privatsphäre von Journalistinnen, Journalisten und ihren Quellen und widerspricht der kolumbianischen Verfassung. Die Behörden müssen jetzt alles tun, um den entstandenen Schaden zu begrenzen und die betroffenen Medienschaffenden und Redaktionen zu schützen.“ 

Gemeinsam mit der Internationalen Pressevereinigung in Kolumbien (APIC), die einige der betroffenen Medienschaffenden vertritt, hat RSF Forderungen an das Verteidigungsministerium und den militärischen Geheimdienst aufgelistet. RSF und APIC fordern die Behörden auf, darüber Auskunft zu geben, welche Abteilung die Überwachungen zu welchem Zweck durchgeführt hat und auf wessen Anweisung hin. Auch muss geklärt werden, wer auf die Daten Zugriff hatte und welche Mittel ergriffen werden, um diese Praktiken zu beenden. Zudem fordern die Organisationen, dass Kopien aller gesammelten Inhalte an die Betroffenen ausgehändigt werden. Auch 34 der ausgespähten Medienschaffenden haben inzwischen in einem Brief die Regierung aufgefordert, die Vorgänge aufzuklären und ihnen Schutz bei ihrer Arbeit zu garantieren.

In den Akten finden sich unter anderem Organigramme zu den Kontakten von Journalistinnen und Journalisten, biografische Details und Karten zu ihren Rechercheorten. Besonders viele Daten wurden über Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von US-Medien gesammelt, darunter den ehemaligen Leiter des Anden-Büros der New York Times, Nicholas Casey. Casey hatte im Mai 2019 über armeeinterne Anweisungen berichtet, die Anzahl der Tötungen von Rebellinnen und Rebellen zu erhöhen, sowie über die Sorge, dass dies wie in der Vergangenheit zu sogenannten „falsos positivos“ führen könnte, also dazu, dass Zivilistinnen und Zivilisten getötet und als Rebellinnen und Rebellen deklariert werden. Casey musste 2019 nach Drohungen das Land verlassen.

Aber auch prominente kolumbianische Medienschaffende sowie kleinere kolumbianische Medien wurden ausspioniert, darunter das alternative Online-Medium Rutas del Conflicto, das sich auf die Berichterstattung über Folgen des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts spezialisiert hat.

Unter den Betroffenen ist auch der Fotograf Andrés Cardona. Er kritisierte auf seinem Facebook-Profil, dass Semana vor der Veröffentlichung seiner privaten Daten nicht seine Erlaubnis eingeholt hatte. Inzwischen wurden die Daten in der Online-Version geschwärzt. Cardona hat zahlreiche Familienangehörige im bewaffneten Konflikt zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla verloren. Mit einer Fotostrecke, in der er ältere Fotos seiner ermordeten Angehörigen und nachgestellte Szenen seiner Familiengeschichte verwebt, hat Carona sich an dem Bildband „Fotos für die Pressefreiheit 2020“ beteiligt, den Reporter ohne Grenzen am 3. Mai 2020 herausgebracht hat.

Kolumbien ist für Medienschaffende nach wie vor eins der gefährlichsten Länder Lateinamerikas. Morddrohungen, körperliche Angriffe und Entführungen sind keine Seltenheit, immer wieder kommt es vor allem im ländlichen Raum auch zu Morden. Besonders gefährlich sind Recherchen über Landkonflikte, Korruption, Drogenkriminalität oder die trotz des Friedensabkommens von 2016 weiter bestehenden bewaffneten Konflikte.

Bewaffnete Gruppen wie die ELN, Terrorgruppen wie die „Schwarzen Adler“ („Aguilas Negras“) sowie Dissidentinnen und Dissidenten der FARC schüchtern vor allem lokale Medienschaffende ein.

Im vergangenen Jahr gab es laut Jahresbilanz der Stiftung für Pressefreiheit FLIP 515 Angriffe auf die Pressefreiheit, darunter 137 Bedrohungen, vier Entführungen und zwei Morde. 66 Medienschaffende wurden allein während des 40-tägigen Generalstreiks und den landesweiten Demonstrationen im November und Dezember 2019 attackiert. Die Behörden sorgen kaum für Schutz, die Justiz bestraft nur wenige Taten. FLIP zufolge bleiben 78 Prozent der Journalistenmorde im Land unbestraft.   

Aufgrund von Selbstzensur wird so aus einigen Gebieten Kolumbiens, gerade den Grenzgebieten, kaum berichtet. Laut einem aktuellen Bericht der kolumbianischen Journalistengewerkschaft FECOLPER, Partnerorganisation von RSF, ist es den dort ansässigen Medien aufgrund von Drohungen und gewalttätigen Übergriffen seitens bewaffneter Gruppen, aber auch seitens der zunehmend polarisierten Bevölkerung sowie aufgrund von politischem Druck, mangelnder Informationsfreiheit und einer unsicheren wirtschaftlichen Lage kaum möglich, unabhängig zu berichten. 

Auf der neuen Rangliste der Pressefreiheit 2020 liegt Kolumbien auf Platz 130 von 180 Ländern. 



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