Deutschland 30.01.2018

Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz

© picture alliance/Ulrich Baumgarten

Reporter ohne Grenzen hat gemeinsam mit fünf zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz eingereicht, in der sich internationale Journalisten gegen Überwachungsbefugnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes wehren. Die Kläger sind überwiegend investigative Journalisten, unter anderem die Trägerin des alternativen Nobelpreises, Khadija Ismajilowa aus Aserbaidschan, und der mexikanische Investigativjournalist Raul Olmos, der Teil des internationalen Reporter-Teams war, das die Paradise Papers ausgewertet hat. Auch die internationale Organisation von Reporter ohne Grenzen mit Sitz in Paris zählt zu den Klägern, die vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Verletzung der Pressefreiheit und des Rechts auf geschützte Kommunikation geltend machen.

 

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„Das Gesetz erlaubt es dem Bundesnachrichtendienst, Journalisten im Ausland praktisch schrankenlos zu überwachen und die Informationen mit anderen Geheimdiensten zu teilen. Das ist eine inakzeptable Einschränkung der Pressefreiheit, weshalb wir die Betroffenen bei ihrem Gang vor das Gericht unterstützen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Projekte wie die Paradise Papers zeigen, dass investigativer Journalismus zunehmend in internationalen Kooperationen entsteht. Wenn der BND ausländische Journalisten überwacht, höhlt er damit auch das Redaktionsgeheimnis in Deutschland aus.“

Das BND-Gesetz ist im Oktober 2016 vom Bundestag verabschiedet worden und seit Anfang 2017 in Kraft. Die Große Koalition hatte sich zu einer grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes entschieden, nachdem im Zuge des NSA-Skandals höchst fragwürdige Praktiken des BND bekannt geworden waren. Insbesondere die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung führte der Geheimdienst offensichtlich ohne ausreichende Rechtsgrundlage durch. Bei dieser Form der Massenüberwachung zapft der BND große Datenleitungen an und filtert sie mit sogenannten Selektoren. Dies können Wörter sein oder auch Telefonnummern und Email-Adressen von Personen, für die sich der BND interessiert. In der Vergangenheit war immer wieder bekannt geworden, dass der Geheimdienst dabei auch Journalisten im Visier hat. So enthüllte im Februar 2017 der Spiegel, dass der BND ab 1999 offenbar gezielt ausländische Journalisten von renommierten Medien überwachte, unter anderen von BBC, Reuters und der New York Times.

Anstatt dem BND künftig Schranken zu setzen, legalisierte die Bundesregierung die Praktiken mit dem neuen BND-Gesetz. Es schützt Menschen unterschiedlich vor Überwachung abhängig von ihrer Nationalität: Kommunikation von Deutschen darf der Auslandsgeheimdienst nicht abfangen, von EU-Bürgern unter Einschränkungen und von Nicht-EU-Bürgern immer dann, wenn es die „Handlungsfähigkeit Deutschlands“ wahrt. Letzteres ist eine Quasi-Vollmacht, außerhalb der EU massenhaft Kommunikation zu filtern. Schutzrechte für Journalisten wie im verwandten Artikel 10-Gesetz oder der Strafprozessordnung fehlen vollständig.

Verschärft wird diese Problematik durch die ausdrückliche Ermächtigung, Informationen mit anderen Geheimdiensten zu teilen. So wird ein gefährlicher „Ringtausch“ legalisiert, bei dem zum Beispiel der BND die Washington Post anzapfen könnte und mit der NSA tauscht, die „im Gegenzug“ deutsche Medien abhört. Dagegen wehren sich die Journalisten nun mit ihrer Verfassungsbeschwerde. Es ist die einzige Möglichkeit, das Gesetz noch zu kippen, nachdem die Bundesregierung und der deutsche Bundestag massive Kritik ignoriert hatten. Unter anderem hatten drei UN-Sonderberichterstatter Deutschland kritisiert, weil die Regelungen nicht im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards stünden.

Kläger recherchieren zu Korruption und Menschenrechtsverletzungen

Zu den Beschwerdeführern zählen die Journalisten Khadija Ismajilowa (Aserbaidschan), Paul van Gageldonk (Niederlande), Richard Norton-Taylor (Großbritannien), Blaz Zgaga (Slowenien), Raul Olmos (Mexiko) sowie Goran Lefkow (Mazedonien). Sie arbeiten alle als investigative Journalisten in ihren Ländern, die meisten zu Themen wie Korruption, Steuerbetrug, organisierte Kriminalität und Menschenrechtsverletzungen in ihren Ländern. Dies sind Themen, die zum sogenannten Aufklärungsauftrag des BND gehören. Gespräche unter Kollegen oder mit Informanten sind nach dem BND-Gesetz jedoch nicht geschützt, sondern können abgefangen werden. Damit läuft der journalistische Auftrag einer Kontrolle staatlichen Handelns ins Leere, wenn diese Staaten bei Recherchen in der Leitung hängen. Außerdem werden Quellen eingeschüchtert, sich mit sensiblen Informationen an Journalisten zu wenden. Weitere Beschwerdeführer sind der deutsche Menschenrechtsanwalt Michael Mörth, der seit 20 Jahren in Guatemala lebt und arbeitet, sowie die internationale Organisation von Reporter ohne Grenzen. Mit Hauptsitz in Paris haben die Reporters Sans Frontières intensiven Kontakt zu Journalisten auf der ganzen Welt, der ebenfalls nicht geschützt ist durch das Gesetz.

 

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Ziel der Beschwerde ist es, die Verfassungswidrigkeit des BND-Gesetzes feststellen zu lassen. Die Bundesregierung betrachtet die Presse- und Kommunikationsgrundrechte offenbar als deutsche Exklusiv-Rechte, um deren Einhaltung sie sich im Ausland nicht scheren braucht. Dies missachtet jedoch, dass diese Freiheiten menschenrechtlich begründet sind und sich Deutschland etwa im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu deren Achtung verpflichtet hat. Das Bundesverfassungsgericht könnte in einem Urteil Vorgaben für eine verfassungskonforme Ausgestaltung des BND-Gesetzes machen, in der etwa auch Journalisten und andere Berufsgeheimnisträger wirksam geschützt werden.

Reporter ohne Grenzen ist für diese Verfassungsbeschwerde Teil eines Bündnisses, das über ein Jahr an diesem Projekt gearbeitet hat. Hierzu zählen außerdem der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten- Union, das Netzwerk Recherche, das Journalisten-Netzwerk n-ost sowie die Gesellschaft für Freiheitsrechte.

In einem anderen Verfahren hat ROG bereits 2015 vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen unrechtmäßige BND-Überwachung geklagt. Ein Teil dieser Klage liegt derzeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in einem anderen Teil erhielt ROG im Dezember 2017 Recht. Seitdem darf der BND keine Verbindungsdaten aus Telefongesprächen von Reporter ohne Grenzen in seinem Metadaten-Analysesystem „VerAS“ speichern.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 16 von 180 Staaten.



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