Recht auf Vergessenwerden 27.11.2019

Verfassungsgericht betont Pressefreiheit

Lupe mit Logos von Suchmaschinen
© picture alliance / dpa Themendienst

Reporter ohne Grenzen begrüßt, dass das Bundesverfassungsgericht den Rang der Pressefreiheit bei der Anwendung des Rechts auf Vergessenwerden gestärkt hat. In zwei am Mittwoch veröffentlichten Beschlüssen betont das Gericht, bei der Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gegen die Presse- und Meinungsfreiheit müsse ein Ausgleich gefunden werden, der einen ungehinderten Zugriff auf die Originalberichte in Online-Pressearchiven möglichst weitgehend erhalte.

„Dass das Verfassungsgericht die Wirkung des problematischen Rechts auf Vergessenwerden relativiert, ist eine gute Nachricht für die Pressefreiheit“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das ist eine lange überfällige Klarstellung, dass der Schutz des Persönlichkeitsrechts nicht grundsätzlich schwerer wiegt als das Grundrecht auf Pressefreiheit. Zumindest für Deutschland ist damit die Gefahr deutlich kleiner geworden, dass Online-Archive von Medien durch überzogene Restriktionen unbrauchbar zum Beispiel für journalistische Recherchen werden.“

Ein 1982 verurteilter, im Jahr 2002 aus der Haft entlassener Mörder hatte Verfassungsbeschwerde erhoben, weil er sein Persönlichkeitsrecht dadurch eingeschränkt sah, dass bei einer einfachen Suchmaschinen-Abfrage nach seinem Namen an erster Stelle mehrere Artikel des Spiegel über seinen Fall angezeigt wurden. Dazu betont der erste Senat des Verfassungsgerichts, aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folge kein Recht auf Vergessenwerden in einem umfassenden Sinn.

„Zugriff auf den Originaltext möglichst weitgehend erhalten“

Solche Artikel in Online-Archiven zum Beispiel auf eine anonymisierte Form zu beschränken, würde eine gewichtige Beschränkung von Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit bedeuten wie auch des Rechts der Presse, selbst zu entscheiden, worüber sie wann, wie lange und in welcher Form berichtet, führte der Senat aus. Solche Archive ermöglichten einen einfachen Zugang zu Informationen und seien eine wichtige Quelle für journalistische und zeithistorische Recherchen wie auch für Bildung und Erziehung. Ein Verlag dürfe rechtmäßig veröffentlichte Berichte grundsätzlich auch in ein Onlinearchiv einstellen; Schutzmaßnahmen könnten erst dann geboten sein, wenn Betroffene sich ihre Schutzbedürftigkeit geltend gemacht und näher dargelegt hätten.

Für den Ausgleich zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheitsind seien zudem Abstufungen bei der Art möglicher Schutzmaßnahmen seitens des Presseverlags zu berücksichtigen, die auch der Frage Rechnung tragen müssten, wie lange der ursprüngliche Anlass der Berichterstattung zurückliege. Wörtlich heißt es dazu in dem Beschluss: „Anzustreben ist ein Ausgleich, der einen ungehinderten Zugriff auf den Originaltext möglichst weitgehend erhält, diesen bei Schutzbedarf – insbesondere gegenüber namensbezogenen Suchabfragen mittels Suchmaschinen – aber einzelfallbezogen doch hinreichend begrenzt.“

Im konkreten Fall urteilte das Gericht, dass die Anforderungen an den Schutz des Persönlichkeitsrechts nicht in jeder Hinsicht erfüllt worden seien. So hätte geprüft werden müssen, ob dem Verlag auf die Beschwerde des Betroffenen hin „zumutbare Vorkehrungen hätten auferlegt werden können und müssen, die zumindest gegen die Auffindbarkeit der Berichte durch Suchmaschinen bei namensbezogenen Suchabfragen einen gewissen Schutz bieten, ohne die Auffindbarkeit und Zugänglichkeit des Berichts im Übrigen übermäßig zu hindern.“

Im zweiten Fall kam das Gericht aufgrund ähnlicher Abwägungen zum gegenteiligen Ergebnis und wies die Verfassungsbeschwerde ab. Hier hatte eine Frau dagegen geklagt, dass bei einer Suchmaschinen-Anfrage an prominenter Stelle das Transkript eines NDR-Beitrags von 2010 angezeigt wurde, in dem die Klägerin als damalige Geschäftsführerin eines Unternehmens namentlich zitiert wurde.

Rechtsabwägung an Plattformbetreiber delegiert

Ende September hatte bereits der Europäische Gerichtshof dem Recht auf Vergessenwerden Schranken gesetzt und in zwei Urteilen klargestellt, dass es in jedem Einzelfall sorgfältig gegen andere Grundrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit abgewogen werden müsse.

Der Grundkonflikt zwischen einem individuellen Rechtsanspruch auf Vergessenwerden auf der einen und dem Recht der Öffentlichkeit auf ungehinderten Zugang zu Informationen auf der anderen Seite blieb dabei aber ungelöst. Problematisch an diesen Urteilen war aus Sicht von ROG auch, dass der EuGH darin die Abwägung zwischen den Rechtsgütern weiterhin den Plattformbetreibern überließ.

Deutschland belegt Platz 13 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit.



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