Kritik am BND-Gesetz

#NotYourSource-Kampagne

08.02.2021 - Mit der Kampagne #NotYourSource forderte RSF ein Ende der Überwachung ausländischer Journalistinnen und Journalisten. Über Twitter, Facebook und Instagram riefen wir die Abgeordneten dazu auf, entsprechende Änderungen am neuen BND-Gesetzentwurf vorzunehmen. Der Deutsche Bundestag hat damit die Möglichkeit international ein Zeichen für die Menschenrechte zu setzen. Unterstützerinnen und Unterstützer waren eingeladen, den Aufruf zu teilen oder sich per E-Mail an Ihre Abgeordneten zu wenden.  

Gesetz erlaubt Überwachung ausländischer Journalisten

Das BND-Gesetz hat es dem Bundesnachrichtendienst bislang erlaubt, die gesamte Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten, ganzen Redaktionen und Medienverlagen im außereuropäischen Ausland völlig legal zu überwachen, wenn es im politischen Interesse Deutschlands liegt. Infolge der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde von Reporter ohne Grenzen muss der Deutsche Bundestag das Gesetz bis Ende 2021 ändern. Im Mai 2020 gab das Bundesverfassungsgericht RSF in seiner Argumentation Recht, dass der BND auch die Kommunikation ausländischer Medienschaffender besonders schützen muss. Denn Pressefreiheit und Quellenschutz setzen wirksamen Schutz vor unverhältnismäßiger staatlicher Überwachung voraus.

Im Frühjahr 2021 will der Bundestag deshalb ein neues BND-Gesetz beschließen, das nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts umfassende Schutzrechte für ausländische Journalistinnen und Journalisten sowie eine wirksame Kontrolle der Geheimdienstarbeit festschreiben muss.

Die Kernforderungen von RSF:

  • Das BND-Gesetz muss Vertraulichkeitsbeziehungen beispielsweise zwischen Medienschaffenden und ihren Quellen umfassend vor Überwachung schützen. Dieser Schutz muss sämtliche mit der journalistischen Arbeit verbundenen Informationen und Daten einschließen. Dazu gehören personenbezogene Daten (Namen, Telefonnummern, IP-Adresse, etc.) ebenso wie Recherchematerial und Verkehrsdaten, wie zum Beispiel Mailadressen oder Betreffzeilen von E-Mails der Beteiligten.
     
  • Die anlasslose Massenüberwachung muss eingeschränkt werden. Der verdachtsunabhängige Zugriff auf Hunderte Millionen von E-Mails aus dem weltweiten Internetverkehr pro Jahr ist mit Pressefreiheit und Bürgerrechten nicht vereinbar. Sowohl die Zahl der angezapften Kommunikationsnetze als auch die Suchbegriffe, mit denen der BND diese durchkämmt, müssen enger begrenzt und auf ihre Zweckmäßigkeit kontrolliert werden.
     
  • Nur spezifische Anhaltspunkte für den Verdacht staatsgefährdender Bedrohungen können die Verletzung von Vertraulichkeitsbeziehungen rechtfertigen.
     
  • Die Aufsicht über die deutschen Geheimdienste muss gestärkt und mit angemessenen Befugnissen ausgestattet werden, um die Mechanismen zum Grundrechtsschutz überprüfen und missbräuchliche Überwachung aufdecken zu können.

Grundsatzurteil gegen im Eiltempo beschlossenes Gesetz

Das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts hatte RSF gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und mehreren ausländischen Journalistinnen und Journalisten erstritten. Nach einer mündlichen Verhandlung im Januar 2020 erklärte das Gericht das BND-Gesetz am 19. Mai 2020 unter anderem wegen unzureichender Vorkehrungen zum Schutz der Pressefreiheit für verfassungswidrig.

Die Große Koalition von CDU/CSU und SPD hatte das BND-Gesetz 2016 im Eiltempo und gegen breiten Protest aus der Zivilgesellschaft und die Bedenken der OSZE-Beauftragten für Medienfreiheit sowie von drei UN-Sonderberichterstattern beschlossen. Die Regierungsparteien vertraten dabei die Auffassung, im Grundgesetz garantierte Menschenrechte wie Meinungsfreiheit und Telekommunikationsgeheimnis gälten für Ausländer nicht oder nur eingeschränkt. Dieser Argumentation erteilte das Verfassungsgericht eine Absage: Deutsche Agentinnen, Agenten und Behörden sind auch im Ausland verpflichtet, die Grundrechte zu achten.

Regierungsentwurf bleibt hinter Anforderungen zurück

Im Dezember 2020 verabschiedete die Bundesregierung einen Gesetzentwurf für die nun nötige Reform, über den nun der Bundestag beraten muss. Doch der Entwurf wird den Anforderungen des Verfassungsurteils nicht gerecht. Aus Sicht von RSF muss er in den parlamentarischen Beratungen deutlich überarbeitet werden, um Journalistinnen und Journalisten künftig besser vor Überwachung zu schützen. Ausführliche Kritik an dem Entwurf und konkrete Verbesserungsvorschläge hat Reporter ohne Grenzen mit einer Stellungnahme in die politische Diskussion eingebracht.

Der Regierungsentwurf sieht zwar Vorgaben zum Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen vor, will konkret aber nur einige ausgewählte Daten schützen. Demnach wären beispielsweise journalistische Rechercheergebnisse für BND-Mitarbeitende nicht eindeutig tabu.

Ebenso wenig sieht der Entwurf vor, Verkehrsdaten zu schützen, die zum Beispiel Aufschluss darüber geben, wer wann und wie lange mit wem gesprochen hat. Diese Daten machen jedoch den Großteil der gesammelten Informationen aus. Seit den Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden ist bekannt, welch hohe Bedeutung sie für die Arbeit der Geheimdienste haben. Würden solche Daten ungefiltert an andere Geheimdienste weitergegeben, könnte dies Medienschaffende in vielen Staaten in Gefahr bringen.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum BND-Gesetz

Was ist strategische Überwachung?

Für die strategische Fernmeldeaufklärung lässt der BND – anders als bei individuellen Aufklärungsmaßnahmen gegen Einzelne – massenhaft Internetkommunikation durch Telekommunikationsunternehmen ausleiten. Mithilfe von Suchbegriffen wie Mailadressen oder inhaltlichen Schlagwörtern durchsucht der Geheimdienst diese Daten nach „nachrichtendienstlich relevanten“ Informationen. RSF sieht in dieser Praxis eine unverhältnismäßige, anlasslose Massenüberwachung, da der technische Zugriff und die ausufernden Suchkriterien des Geheimdienstes keiner wirksamen Beschränkung unterliegen.

Das Bundesverfassungsgericht hat gefordert, schon den technischen Zugriff auf Kommunikationsnetze zu begrenzen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht dazu eine Beschränkung auf 30 Prozent der globalen Telekommunikationsnetze vor; das liegt noch immer weit über dem technisch überhaupt Leistbaren.

Warum wurde das BND-Gesetz 2016 novelliert?

Infolge der Snowden-Enthüllungen setzte der Deutsche Bundestag den sogenannten NSA-Untersuchungsausschuss ein. Dieser brachte ans Licht, dass der BND in fragwürdige Überwachungsprogramme verwickelt war und es an einigen Stellen grundsätzlich an einer rechtlichen Grundlage dafür fehlte. Die Bundesregierung kündigte daher an, mit einem neuen BND-Gesetz die Arbeit des Geheimdienstes besser zu kontrollieren und auf eine solidere rechtliche Grundlage zu stellen. Das neue, seit Anfang 2017 geltende BND-Gesetz war jedoch ein Schock für alle, die Kommunikations-, Presse- und Medienfreiheit weltweit für ein schützenswertes Grundrecht halten.

Was kritisierte RSF an dem neuen BND-Gesetz?

Das seit 2017 geltende BND-Gesetz hat die bis dahin üblichen, weitreichenden Überwachungspraktiken des Geheimdienstes kaum begrenzt, sondern im Wesentlichen nur gesetzlich legitimiert. Zum Beispiel ermöglicht es das Gesetz dem BND, ohne konkreten Anlass jede E-Mail, jede SMS und jedes Telefonat von im Ausland lebenden Ausländerinnen und Ausländern zu erfassen und ohne angemessene Einschränkungen zu verarbeiten. Die Voraussetzungen für diese strategische „Ausland-Ausland-Überwachung“ sind vage und weit gefasst, effektiv kontrolliert wird sie nicht. Die Regelungen sind damit viel laxer als bei inländischen Überwachungsmaßnahmen nach der Strafprozessordnung, wie sie zum Beispiel bei Ermittlungen zur organisierte Kriminalität angewandt werden: In diesen Fällen darf nur mit konkretem Verdacht und Gerichtsbeschluss überwacht werden.

Schutzrechte für Medienschaffende sieht das 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz nicht vor. Tatsächlich wäre es wohl auch mit diesem Gesetz möglich gewesen, wie in der Vergangenheit Mitarbeitende international renommierter Medien wie der BBC und der New York Times zu überwachen.

Ging es bei der Klage um Sonderrechte für Journalistinnen und Journalisten?

Nein. Journalistinnen und Journalisten klagten deshalb, weil sie von anlassloser Überwachung besonders betroffen sind. Anlasslose Massenüberwachung verstößt gegen das Recht auf Privatsphäre – ein universelles Menschenrecht, das weltweit für alle Menschen gilt. Es darf nur eingeschränkt werden, wenn es dafür triftige Gründe gibt. Der BND darf jedoch laut BND-Gesetz willkürlich und unbegrenzt globale Kommunikation filtern, wenn er glaubt, dass dies für die Interessen Deutschlands bedeutsam sein könnte. Dagegen wehrten sich die Gesellschaft für Freiheitsrechte und mehrere Medien-Organisationen stellvertretend für alle Menschen, deren Kommunikation der Geheimdienst abfängt.

Medienschaffende tragen in einer demokratischen Gesellschaft eine besondere Verantwortung, weil sie staatliches Handeln durch kritische Nachfragen und investigative Recherchen kontrollieren. Daher genießen sie bestimmte Schutzrechte: Sie müssen beispielsweise vor Gericht nicht ihre Quellen verraten. Doch solche analogen Schutzrechte laufen im digitalen Zeitalter durch ausufernde Datenerfassung zunehmend ins Leere. Wenn der Staat die Kommunikation von Medienschaffenden abhört und weiß, was sie über ihn recherchieren, können sie ihre Arbeit nicht mehr wirksam ausfüllen. Zudem schreckt dies potenzielle Informantinnen und Informanten davon ab, sich ihnen anzuvertrauen. Kritische Berichterstattung wird so langfristig erschwert. Spionage gegen Journalistinnen und Journalisten – egal wo auf der Welt – ist deshalb ein Angriff auf die Pressefreiheit.

Was muss nun geschehen?

Der am 16. Dezember 2020 vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf zur Reform des BND-Gesetzes bleibt aus Sicht von Reporter ohne Grenzen deutlich hinter den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zurück. Jetzt ist der Bundestag gefordert, im weiteren Gesetzgebungsverfahren klare und transparente Vorgaben und effektive Kontrollen zum Schutz der Pressefreiheit in die Arbeit des Geheimdienstes einzuziehen. Der Bundestag könnte die Reform noch im ersten Quartal 2021 beschließen. Bis spätestens Ende 2021 muss gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine neue gesetzliche Grundlage für die Arbeit des BND geschaffen werden.

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