Irak 04.11.2010

ROG-Bericht zur Lage der Pressefreiheit in der kurdischen Region: Kaum unabhängige Berichterstattung trotz steigender Zahl von Medien

Für die Entwicklung einer freien Presse in der Autonomen Region Kurdistan im Norden Iraks sind grundlegende politische und rechtliche Reformen erforderlich. Zu diesem Schluss kommt Reporter ohne Grenzen (ROG) in einem am Mittwoch, den 3. November, veröffentlichten Bericht zur Lage der Pressefreiheit in dem Kurdengebiet.

Die Zahl der Medien in der Region hat sich in der vergangenen Dekade zwar vervielfacht. Die überwiegende Mehrheit der Medien ist jedoch nicht unabhängig und fungiert als Sprachrohr politischer Gruppierungen. ROG stellt zudem eine Zunahme von Gewalt gegen Journalisten in dem Gebiet fest. Besorgt verfolgt ROG außerdem die derzeitige politische Diskussion, Pressegesetze zu verschärfen. Damit könnte die juristische Verfolgung von kritischen Journalisten weiter zunehmen. Schließlich gibt es weder bei Politikern noch bei vielen Journalisten ein ausgeprägtes Verständnis für die zentrale Rolle der Medien bei der unabhängigen Meinungsbildung in einem demokratischen System.

Die Autoren des 21-seitigen ROG-Berichts geben in der ersten Hälfte einen Überblick über die Medienlandschaft und deren historische Entwicklung: Insbesondere der Sturz des irakischen Machthabers Saddam Hussein im Jahr 2003 eröffnete neue Freiräume für die Arbeit von Medienmitarbeitern in der vorderasiatischen Region. Die Zensur lockerte sich, dank eines einfachen Lizenzverfahrens entstand eine Vielzahl von Medien.

Nur wenige der heute rund 850 offiziell registrierten Medien versuchen allerdings, sich als unabhängige Organe zu positionieren. Die meisten Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen unterstehen direkt oder indirekt dem politischen und finanziellen Einfluss der regierenden oder oppositionellen Parteien.

Im allgemeinen können Journalisten in der Region immer noch ungefährdeter arbeiten als viele ihrer Kollegen in den übrigen Provinzen des Irak. Anlass zur Sorge bieten aber vermehrte Angriffe gegen Medienvertreter in den vergangenen zwei Jahren – vor allem durch Sicherheitskräfte und Polizisten. Auch das anhaltende Klima der Straflosigkeit für Verbrechen gegen Journalisten schreckt Reporter davon ab, brisante und umstrittene Themen aufzugreifen. Vor allem die Entführung und anschließende Ermordung des Journalisten Sardascht Osman im Mai 2010 hat Ängste unter Medienmitarbeitern geschürt. Einige Journalisten berichteten gegenüber ROG zudem von regelmäßigen anonymen Todesdrohungen per SMS, E-Mail oder Fax.

Die Drohungen sind auch Ausdruck zahlreicher Tabuthemen für die Medien: Dazu gehört beispielsweise Kritik an hohen Amtsträgern, religiösen Würdenträgern, Stammesführern oder am Iran. Wenn Medien dennoch solche Themen aufgreifen, riskieren sie Klagen. Eine von Politikern geforderte Verschärfung von Strafgesetzen und Änderung des Pressegesetzes könnte die rechtliche Position von Journalisten schwächen. Die mangelnde Unabhängigkeit vieler Richter ist ein weiterer Teil des Problems und erklärt schleppende Ermittlungen bei Angriffen auf Journalisten.

Reporter stoßen bei ihren Recherchen zudem schnell auf Grenzen: Es gibt keine große Bereitschaft von Politikern oder Behördenvertretern, Journalisten Rede und Antwort zu stehen.

Schließlich gibt es auch von Seiten der Medien wenig Bestrebungen, sich von politischen Gruppierungen unabhängig zu machen. Berufsethische Grundsätze spielen eine zu geringe Rolle. ROG bemängelt in diesem Zusammenhang die unzureichenden Aus- und Fortbildungsstrukturen für Journalisten in der Region. ROG gibt in dem Bericht zahlreiche weitere Empfehlungen für Maßnahmen und Reformen zur Verbesserung der Lage der Pressefreiheit und Stärkung des demokratischen Systems.

Der Bericht basiert auf Recherchen zweier ROG-Vertreter vom 19. bis 28. Juli 2010 in der Region.



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