Türkei
23.10.2019
Ahmet Altan und Nazli Ilicak freilassen
Reporter ohne Grenzen fordert die sofortige Freilassung der Journalistin Nazli Ilicak und des Journalisten Ahmet Altan. Nach mehr als drei Jahren im Gefängnis sitzen beide nun seit kurzem erneut auf der Anklagebank. Zwar hob ein oberstes Gericht im Juli ihre lebenslangen Haftstrafen auf, es ordnete jedoch eine Wiederaufnahme des Verfahrens an. Beiden Journalisten wird nun vorgeworfen, eine Terrororganisation unterstützt zu haben.
„Nazli Ilicak und Ahmet Altan sitzen trotz ihres fortgeschrittenen Alters schon mehr als drei Jahre im Gefängnis. Damit wurden sie schon genug bestraft. Wir fordern die türkische Justiz auf, die haltlosen Terrorvorwürfe gegen Ilicak und Altan fallenzulassen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
Nazli Ilicak und Ahmet Altan wurden im Juli beziehungsweise September 2016 festgenommen und rund anderthalb Jahre später zunächst zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen verurteilt – also zu Isolationshaft ohne Möglichkeit der vorzeitigen Haftentlassung oder Begnadigung. Laut Gericht hatten sie versucht, die „verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen“, weil sie die Regierung während einer Fernsehsendung am Vorabend des Putschversuches im Juli 2016 kritisierten. Anfang Oktober 2018 bestätigte ein Gericht das Urteil gegen die damals 74-jährige Ilicak und den 68-jährigen Altan im Berufungsverfahren.
Im Juli 2019 hob das Kassationsgericht – das oberste türkische Berufungsgericht – die lebenslange Haftstrafe gegen die Journalistin und den Journalisten auf. Es sprach sie jedoch nicht frei, sondern ordnete eine Wiederaufnahme des Verfahrens an. Ihnen wird nun vorgeworfen, eine Terrororganisation unterstützt zu haben. Bei der ersten Anhörung des Prozesses am 8. Oktober entschied das Gericht, dass die Angeklagten weiter im Gefängnis bleiben müssen. Reporter ohne Grenzen war bei der ersten Anhörung als Prozessbeobachter vor Ort. Das Verfahren geht am 4. November weiter.
Ilicak und Altan hatten wie viele inhaftierte Medienschaffende in der Türkei das türkische Verfassungsgericht angerufen. Am 3. Mai, dem Welttag der Pressefreiheit, hat das Gericht die Beschwerden gegen ihre Inhaftierung jedoch abgelehnt. Die Klagen beider Journalisten sind noch am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängig. Der Gerichtshof in Straßburg behandelt ihre Verfahren mit Priorität.
Rechtsstaat in der Türkei zerstört
Ahmet Altan war im September 2016 zusammen mit seinem Bruder Mehmet Altan festgenommen worden. Dieser sitzt zwar mittlerweile nicht mehr im Gefängnis, doch sein Fall zeigt, wie sehr der Rechtsstaat in der Türkei zerstört ist und wie mühsam der Weg bis zur Freilassung sein kann.
Mitte Januar 2018 gab es zunächst Grund zur Hoffnung, als das türkische Verfassungsgericht mit der Begründung, die Untersuchungshaft des Journalisten sei verfassungswidrig, Mehmet Altans sofortige Freilassung anordnete. Doch ein Istanbuler Gericht weigerten sich, der Anordnung des höchsten Gerichts nachzukommen, und ignorierte sogar eine Entscheidung des EGMR. Dieser entschied im März, dass die Untersuchungshaft weder „notwendig“ noch „angemessen“ war und das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzte. Altan kam nach fast zwei Jahren Haft erst im Juni 2018 vorläufig frei. Rund ein Jahr später sprach das Kassationsgericht Mehmet Altan frei. Im Wiederaufnahmeverfahren am 8. Oktober hoben die Richter seine Ausreisesperre auf.
Neben Mehmet und Ahmet Altan sowie Nazli Ilicak saßen Anfang Oktober auch die Medienschaffenden Yakup Simsek, Fevzi Yazici and Sükrü Tugrul Özsengül auf der Anklagebank. Ihnen wird die „Mitgliedschaf in einer Terrororganisation“ vorgeworfen. Zusammen mit 21 weiteren Organisationen fordert Reporter ohne Grenzen, die Vorwürfe fallenzulassen.
Seit dem Putschversuch im Juli 2016 liegt die Pressefreiheit in der Türkei am Boden. Mehr als 100 Medienschaffende sitzen derzeit im Gefängnis, mindestens 29 von ihnen sind eindeutig wegen ihrer journalistischen Arbeit in Haft. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 157 von 180 Staaten.
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