Türkei
03.12.2020
Can Dündar endlich freisprechen
Reporter ohne Grenzen fordert die türkische Justiz auf, die haltlosen Vorwürfe gegen Can Dündar endlich fallenzulasen. Am Freitag (4.12.) geht in Istanbul der Prozess gegen den im deutschen Exil lebenden Journalisten weiter. Dündar steht wegen eines Artikels aus dem Jahr 2015 vor Gericht, der über Indizien berichtet hatte, die eine Beteiligung des türkischen Geheimdienstes an Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien nahelegten. Die Justiz wirft ihm Spionage und Unterstützung einer Terrororganisation vor. Dündar war bereits 2016 für die Veröffentlichung verurteilt worden, das Oberste Gericht der Türkei hob das Urteil jedoch auf und forderte, den Prozess gegen ihn neu aufzurollen. Am bislang letzten Prozesstag Mitte Oktober forderte die Statsanwaltschaft bis zu 35 Jahre Haft. Diese Woche wird wahrscheinlich ein Urteil gesprochen.
„Kaum ein Fall steht so exemplarisch für die juristische Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten in der Türkei wie dieses Verfahren gegen Can Dündar. Ob Spionage, Beleidigung des Präsidenten, oder Unterstützung einer Terrororganisation – mit absurden Vorwürfen zeigt die politisierte türkische Justiz, dass unbequeme Recherchen unerwünscht sind und kritischer Journalismus unter Strafe gestellt wird. Auch wenn Can Dündar in Freiheit in Deutschland lebt, fordern wir seinen sofortigen Freispruch“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.
Die Tageszeitung Cumhuriyet hatte am am 29. Mai 2015 Fotos und ein Video veröffentlicht, die eine Beteiligung des türkischen Geheimdienstes an Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien nahelegen. Dündar war damals Chefredakteur der Zeitung. Daraufhin hatte der türkische Präsident Erdogan im Staatssender TRT gedroht, der Journalist werde einen hohen Preis für die Veröffentlichung bezahlen und nicht ungestraft davonkommen.
Ende November 2015 wurden Dündar und Erdem Gül, der damalige Cumhuriyet-Büroleiter in Ankara, wegen „Spionage“ und der „Verbreitung von Staatsgeheimnissen“ verhaftet und saßen drei Monate in Untersuchungshaft. Ende März 2016 wurde der Prozess gegen Dündar und Gül eröffnet. Reporter ohne Grenzen hat das Verfahren intensiv unter anderem als Prozessbeobachter vor Ort begleitet. Dündar wurde im Mai 2016 wegen der „Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen“ zu fünf Jahren und zehn Monaten sowie Gül zu fünf Jahren Haft verurteilt, beide mussten die Strafe bis zum Beginn des Berufungsverfahrens aber nicht antreten. Während des Prozesses hatte ein Attentäter in einer Pause mehrere Schüsse auf Dündar abgegeben, den Journalisten aber verfehlt. Dündar lebt seit Sommer 2016 im Exil.
Im März 2018 hob das Oberste Gericht der Türkei in Ankara das Urteil von 2016 gegen Dündar auf und forderte, den Prozess gegen ihn neu aufzurollen und um den Vorwurf der Spionage zu erweitern. Gül wurde freigesprochen. Das aktuelle Verfahren begann im April 2019 in Istanbul. Am 14. Oktober forderte die Staatsanwaltschaft wegen „politischer oder militärischer Spionage“ sowie „Unterstützung einer Terrororganisation“ bis zu 35 Jahre Haft.
Reporter ohne Grenzen beobachtet eine Reihe weiterer Prozesse im Land. Am 3. Februar etwa beginnt das neue Verfahren gegen den RSF-Türkei-Repräsentanten Erol Önderoglu, nachdem kürzlich ein Berufungsgericht seinen Freispruch aus dem Jahr 2019 aufgehoben hat. Wegen einer Solidaritätsaktion für die pro-kurdische Zeitung Özgür Gündem im Jahr 2016 drohen ihm 14 Jahre Gefängnis. Ebenfalls im Februar 2021 geht der Prozess gegen die Journalistin Mesale Tolu wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ weiter.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 154 von 180 Staaten.
nach oben
Folgen Sie uns!